Die letzten Zeugen - Das Buc

KURT REINHARD


 
 

KURT REINHARD

wirkte in Polen, Tarnow

Der Fotograf, der eine Familie rettete

Kurt Reinhard lernte in Polen eine jüdische Familie kennen. Als die Deportationen begannen, brachte er im Laufe der Zeit die ganze Familie nach Deutschland und Österreich und verschaffte ihnen Arbeitsplätze. Onkel Thum wurde in einem Fotoatelier in Spittal an der Drau, Loscha in St. Valentin und Onkel Lazek bei einem Bäcker in München beschäftigt. Reinhard konnte die Arbeitgeber mit Zigarren, Zigaretten und Schokolade bestechen und rettete viele Juden vor der Ermordung in einem KZ.

Der 29-jährige Wiener Kurt Reinhard war ein Fotoamateur. Als er nach der Eroberung Polens durch die Deutschen in der Stadt Tarnow als Gehilfen des Zahlmeisters stationiert war, betrat er eines Tages das Fotogeschäft TUMFOTO in der Krakowskastraße, das dem Juden Elieser Thum gehörte.

Reinhard interessierte sich für die Fotoapparate und Thum erzählte ihm, dass er als Jude Schwierigkeiten hätte, neue Fotoapparate zu bekommen. Reinhard, der an Thum Gefallen fand, versprach zu helfen. Sie freundeten sich an und Kurt Reinhard besuchte oft das Fotogeschäft und brachte immer Brot und andere Lebensmittel für die Familie Thum mit. Aus seinem Urlaub in Wien brachte Kurt Reinhard Fotogeräte und andere Waren, die damals in Polen rar waren, für Herrn Thum mit.

Im Laufe der Zeit lernte Reinhard die Familie kennen, darunter auch die Cousine Thums, Mina Scharf. Sie war bei Kriegsausbruch mit ihren Eltern vor der deutschen Wehrmacht in Richtung Ostpolen geflohen und schließlich in der Geburtsstadt ihrer Mutter, in Tarnow, gelandet.

Im Juni 1940 wurde Reinhard nach Kattowitz versetzt. Der Vater von Mina Scharf hatte dort vor dem Krieg ebenfalls ein Fotogeschäft, das von den Deutschen beschlagnahmt wurde. Diese hatten den ehemaligen Laboranten Scharfs, Rudi Bewei, als Treuhänder eingesetzt. Scharf ersuchte Reinhard, sich in Kattowitz zu erkundigen, was das Geschäft für die geringe Summe von 30.000 Zloty enteignet habe. Einer der Angestellten, Francisek Borowski, der 15 Jahre im Geschäft Thums gearbeitet hatte, gab ihm Geld für Thum. Reinhard überwies es sofort nach Tarnow. Er besuchte das Geschäft mehrere Male und Borowski bat ihn jedes Mal, weitere Summen an die Familie Thum nach Tarnow zu schicken.

1941 wurde Reinhard aus Kattowitz zurück nach Österreich versetzt. Er hielt ständigen Kontakt mit den Familien Thum und Scharf. Er warnte sie vor der Gefahr und riet ihnen, sich so rasch wie möglich falsche Papiere zu beschaffen und Tarnow zu verlassen.

Die Familien Thum und Scharf fuhren nach Lemberg, wo sie sich in Sicherheit fühlten. Hier wurden jedoch der Vater Minas und ein Onkel verhaftet. Sie sind seither spurlos verschwunden gewesen. Mina wandte sich an Reinhard, der in Niederösterreich stationiert war und  berichtete ihm über die Verhaftung des Vaters und des Onkels und ersuchte ihn, in Erfahrung zu bringen, was mit ihnen geschehen sei und in welches KZ sie verschickt wurden. In Lemberg erfuhr Mina, dass ihr Vater und ihr Onkel umgekommen waren. Sie besorgte sich für viel Geld einen gefälschten Geburtsschein, der sie als Christin ausgab.

Als Mina Ende 1941 nach Tarnow zurückkehrte, fand sie zu ihrer Überraschung Reinhard in ihrer Wohnung in der Brodzinskigasse. Reinhard wollte auf dem Weg zur russischen Front die Familie besuchen. Als er über den Tod ihres Vaters und Onkels hörte, sagte er: "Schaut, dass ihr alle von hier herauskommt". Er sah ihren gefälschten Geburtsschein und versprach, für sämtliche Familienangehörige gefälschte Papiere zu besorgen.

Anfang 1942 begannen im Ghetto in Tarnow die ersten Aktionen. Die Juden wurden angewiesen, sich zur Zwangsarbeit zu versammeln. Reinhard warnte die ganze Zeit in seinen Briefen an Mina, dass sie sich und ihre Familie in Sicherheit bringen müssen.

Nach vier Monaten Frontdienst wurde Reinhard aus Russland zurückgeschickt, weil er dort erkrankte und wurde nach Krakau versetzt.

Im April 1942 wurde Mina auf der Straße von Mitgliedern der Gestapo überfallen und blutig geschlagen. Sie berichtete Reinhard über das Geschehen und Reinhards Mutter schickte Mina aus Wien 50 Mark und Reinhard schrieb an sie: "Schau, dass du herkommst. Du brauchst keine Sorgen zu haben. Ich sorge weiter, für dich und für deine Familie."

Am 11. Juni 1942 fand eine große Aussiedlungsaktion im Ghetto von Tarnow statt. Die Familie Minas überlebte die Aktion außer einem Onkel und einer Tante. Mina konnte rechtzeitig nach Krakau fliehen, wo sie mit ihrem gefälschtem Geburtsschein eine provisorische Kennkarte und einen Ausweis bekam, der sie als Beamtin der Stadtverwaltung auswies. Sie musste sich wieder an Reinhard um Hilfe wenden. Ein Bekannter von ihr, Stanislaw Dziuba, verkaufte Fotoapparate für sie, nachdem Reinhard für sie beim Kommissar für Film, Foto und Propaganda vorgesprochen hatte. Diese Tätigkeit musste jedoch eingestellt werden, da Dziuba von der Gestapo verhaftet wurde. Reinhard erreichte seine Freilassung und rettete ihn vor dem KZ.

Die Situation in Polen wurde schlimmer. Verwandten Minas, ihrer Mutter, ihrer Schwester, ihrem Onkel und ihrer Cousine drohte die Verhaftung. Mina telegrafierte an Reinhard und dieser erwiderte, dass ein Arbeitsschein für sie  bereits vom Arbeitsamt München unterwegs sei, wo Reinhard stationiert war. Sie solle sich bereit machen, als freiwillige Fremdarbeiterin nach Deutschland zu kommen.

Mina und ihre Cousine Moyla wurden im Zug nach München angehalten. Sie gaben sich mit gefälschten Papieren als Polinnen aus, die in Wien arbeiten wollen. Als sie in Wien ankamen und die Mutter Reinhards anriefen, sagte diese: "Kinder, kommt sofort zu mir." Reinhard telefonierte aus München, Mina solle sofort nach München kommen. Ihre Cousine Moyla wurde als Fremdarbeiterin nach Sankt Valentin geschickt.

Reinhard erwartete Mina am Bahnhof von München. Er arbeitete als Prüfer von Panzerwagen bei der Wehrmacht und nahm sich einige Tage Urlaub, um Mina zu helfen. Er ging mit ihr ins Arbeitsamt und sie wurde in ein Arbeitslager bei den BMW-Werken zugeteilt.

Im Lager arbeiteten viele polnische Fremdarbeiter und Mina befürchtete, dass diese entdecken könnten, dass sie Jüdin sei. Reinhard erfuhr, dass nur Deutsche oder Volksdeutsche das Recht hätten, außerhalb des Lagers zu arbeiten. Er ging zu den zuständigen Stellen und bezeugte, dass Mina deutscher Abstammung sei. "Woher wissen Sie das?" wurde er gefragt. "Ich kenne die Dame lange und sehr gut und kann das beweisen", erwiderte Reinhard.

es gelang Reinhard, Mina bei seiner Bekannten, der Besitzerin einer Pension, Frau Hauser, als Arbeitskraft unterzubringen. Dazu benötigte Mina jedoch einen Ausweis, den sie vom VDA ( Verband der Deutschen im Ausland) erhielt. Reinhard ging von einem Amt zum anderen, bis er Mina einen solchen Ausweis besorgte. Er ging mit ihr zum Polizeipräsidium in München und Mina bekam eine offizielle Erlaubnis, in München arbeiten zu können; eine Aufenthaltsbewilligung als ehemalige polnische Staatsbürgerin für das ganze Reich, eine Bewilligung außerhalb des Arbeitslagers wohnen zu dürfen und einen Pass auf den Namen Johanna Martha Scharf. Reinhard erklärte vor dem Polizeipräsidenten in München: "Als deutscher Soldat garantiere ich mit meinem Ehrenwort dafür, dass Frau Scharf eine Volksdeutsche ist."

Reinhard sagte Mina, nun sei auch die Zeit gekommen, für ihre Familie zu sorgen und sie in Sicherheit zu bringen. Es sei jedoch besser, wenn alle nicht zur gleichen Zeit kommen würden. Im Laufe der Zeit brachte Reinhard die ganze Familie Minas - Onkel Thum, ihre Mutter Helena, ihre jüngere Schwester Loscha, Cousins und Cousinen nach Deutschland und Österreich und verschaffte ihnen Arbeitsplätze. Onkel Thum wurde in einem Fotoatelier in Spittal an der Drau, Loscha in St. Valentin und Onkel Lazek bei einem Bäcker in München beschäftigt. Reinhard konnte die Arbeitgeber mit Zigarren, Zigaretten und Schokolade bestechen. Wenn irgendwem von der Familie die Arbeit schwer fiel, sorgte Reinhard für einen anderen Arbeitsplatz. Als München mehrere Male bombardiert wurde, brachte Reinhard die Familienmitglieder aufs Land.

Reinhard wusste, dass Mina nach dem Krieg nach Tel - Aviv, in Israel emigrierte. Als er in den 70er-Jahren Israel besuchte, fand er ihre Telefonnummer in der Dow Hos Straße 8 in Tel Aviv. Er rief an und erkannte sofort ihre Stimme. "Ist das Frau Scharf?" fragte er. Es dauerte lange, bis er eine Antwort bekam. Mina zitterte am ganzen Körper. "Kurt", brachte sie mit Mühe heraus. "Wieso hast du mich erkannt", fragte Reinhard. "Es ist ja so lange Zeit seither vergangen." "Dich und diese Zeit kann man nie vergessen ..." sagte Mina und lud ihn zu sich ein.

Quelle: Meisels (1996) "Die Gerechten Österreichs"
Siehe auch Gutman et al. (2005) „Lexikon der Gerechten unter den Völkern: Deutsche und Österreicher“


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