MARIA POTESIL |
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Die Wienerin, die ihr Pflegekind rettete
Maria Potesil kämpfte mit allen Mitteln dagegen, dass ihr Pflegekind, das zum "Mischling ersten Grades" erklärt wurde, deportiert wurde.
Die Wienerin Maria Potesil war verwitwet. Sie hatte zwei erwachsene Kinder und ein Pflegekind, den 1924 geborenen Kurt Martinetz. Bis zum Anschluss zog sie Kurt ohne jede Schwierigkeit auf. Nachdem die Nürnberger Gesetze in Wien in Kraft traten, stellte sich heraus, dass Kurt ein "Mischling" war. Sein Vater war Jude und seine Mutter war Christin. Einen Monat nach seiner Geburt starb sie. Nach dem Anschluss verlor Kurts Vater die Vormundschaft der Gemeinde Wien. Maria Potesil unternahm alle Anstrengungen, um die Anerkennung Kurts als "Mischling ersten Grades" zu erreichen, doch die Nazibehörden lehnten ihren Antrag ab. Da Maria Potesil das Kind nicht aufgeben wollte, war sie bereit, auf die tschechische Staatsbürgerschaft zu verzichten, um die Vormundschaft für Kurt zu bekommen.
In ihrem Kampf kam sie oft mit der Gestapo in Konflikt und musste Beleidigungen wie "arisches Schwein" hinnehmen. Einmal wurde sie von einem SS-Mann tätlich angegriffen. Sie erlitt einen Herzanfall.
Sie richtete Gesuche an die Behörden, um Kurts Deportation zu verhindern. Die Gestapo gab nicht nach. 1942 wurde Kurt in ein von Juden bewohntes Haus im zweiten Bezirk überführt. Maria zog ebenfalls in den zweiten Bezirk, um bei Kurt zu bleiben. Kurt musste den Judenstern tragen und Maria wurde von den Behörden verpflichtet, einen Judenstern an ihrer Wohnungstür anzubringen. Sie durfte nur in für Juden bestimmten Geschäften einkaufen. Die Nazis verdächtigten sie, eine Jüdin zu sein, die sich weigerte, den Judenstern zu tragen. Sie ging oft mit Kurt auf die Straße. Niemand verstand, wie sie als "Arierin" das wagen konnte.
Im September 1944 wurde Kurt in ein Transitlager in der Sperlgasse gebracht, um nach Theresienstadt deportiert zu werden. Maria kämpfte weiter. Sie lief von Behörde zu Behörde und versuchte sogar eine Bestechung, um eine Freilassung Kurts zu erreichen. Diesmal hatte sie Erfolg. Nach seiner Freilassung versteckte Maria Kurt in Wohnungen von Freundinnen und Bekannten. Kurt konnte in diesen Wohnungen bis zum Kriegsende versteckt bleiben und überlebte.Nach dem Krieg wollte Maria Potesil die finanzielle Unterstützung Wiens für Martinetz, die sie bis Kriegsende nicht mehr erhalten hatte, nachbezahlt bekommen. Sie bekam keinen Groschen.
Siehe Meisels (1996) "Die Gerechten Österreichs"
Siehe auch Gutman et al. (2005) "Lexikon der Gerechten unter den Völkern: Deutsche und Österreicher"