Die letzten Zeugen - Das Buc

Porträt von Anna Fischer: Anna Fischer wurde am 12. 8. 1893 geboren, ihr Geburtsort ist uns leider nicht bekannt. Ob sie Geschwister hatte konnten wir nicht recherchieren und auch den Ort, wo sie ihre Jugendzeit verbracht konnten wir leider nicht herausfinden. Kurz nach ihrem 49. Geburtstag am 31. 8. 1942, wurde sie abgeholt, von ihrer damaligen Wohnung in der Vereinsgasse 7/19 im 2. Wiener Bezirk. Sie wurde mit dem sogenannten „Transport 39/130“ nach Maly Trostinec „deportiert“, wo sie am 4. 9. 1942 ermordet wurde. Über den Verbleib ihrer Familienmitglieder ist nichts bekannt.

Dieser Brief stieg im Mai 2003 in den Himmel

Liebe Anna! Wir, Bettina, Alexandra, Anna, Bernhard, Konstantin und Theresa wollen mit der Teilnahme am Projekt ,,Letter to the stars“ die Erinnerung an dich und dein Schicksal aufrecht erhalten. Wir wissen, dass wir nicht all dein Handeln, dein Denken und deine Ängste und Hoffnungen empfinden und selbst erfahren können. Dennoch wollen wir anhand einiger Daten uns deiner erinnern: Du bist am 12.8.1893 geboren, an einem Ort, den wir nicht kennen, zu einer Zeit, die wir nicht kennen, in eine Welt, die wir so nicht mehr kennen und in Lebensumstände, die wir nicht kennen. Du hattest es sicher nicht leicht, in deiner Jugendzeit, denn du wuchst auf ohne Komfort oder andere Bequemlichkeiten und musstest dir deinen Lebensweg durch viele andere Gefahren bahnen. Dann, als du gerade an der Schwelle des ,,Erwachsenseins“ gestanden bist, brach der Erste Weltkrieg aus. Es war sicherlich eine schwere Zeit für dich, als der Krieg in den Jahren 1915 und 1916 seinen Höhepunkt erreichte. Als du 25 Jahre alt gewesen bist, endete der Erste Weltkrieg, wahrscheinlich warst du damals vom Krieg gezeichnet und hofftest auf nichts sehnlicher als auf den endgültigen Frieden. Vielleicht hast du danach eine Familie gegründet, wir wissen es nicht. Auf jeden Fall soll dieser Brief auch an all deine Verwandten und Freunde erinnern und an all jene Menschen, die ebenfalls in der Vereinsgasse im zweiten Wiener Bezirk gelebt haben und dich kannten. Als du ungefähr 48 Jahre hinter dir hattest; Jahre in denen du hart geschuftet, viele Quallen erlitten und viele gute Dinge getan und auch einige Fehler begangen und vielleicht auch eine Familie gegründet hast; kam schließlich der Nationalsozialismus an die Macht. Du musstest sicherlich viele Folterungen und Schikanierungen auf dich nehmen, nachdem die Nationalsozialisten dich als einer ,,minderwertigen Rasse“ angehörig erklärt hatten – und dies nur wegen deiner Religion, deinem Glauben, deiner Hoffnung. Kurz nach deinem 49. Geburtstag kam der Tag der Wende in deinem Leben, der 31.8.1942, sie kamen um dich zu ,,deportieren“, wie man es damals ausdrückte. Sie zwangen dich mit ihnen zu kommen und du durftest nur einige Erinnerungen mitnehmen. Wir hätten nicht gewusst, was wir alles mitnehmen sollten. Du jedenfalls musstest dich deinem Schicksal beugen und mitkommen. Du wurdest in einen Zug, den sogenannten ,,Transport 39/130“ nach Maly Trostinec gepfercht, und du musstest es vermutlich tagelang ohne Wasser und Nahrung in diesem ,,Transport“ aushalten. Wir wissen nicht, ob es in diesem Transport Menschen gab, die dich trösteten, wir wissen auch nicht, ob du geahnt hast, was dir bevorstand. Wir werden wohl nie erfahren, was du gefühlt hast, als du das Gut von Maly Trostinec zum ersten Mal gesehen hast, was du gedacht hast, als dir deine letzten Habseligkeiten abgenommen wurden und was du empfunden hast, als du in die hasserfüllten Augen der Wächter gesehen hast. Am 4.9.1942 wurdest du gewaltsam umgebracht, wegen deiner Religion und deiner Art zu beten, falls du religiös warst. Vielleicht war es Zufall, vielleicht auch Schicksal, dass wir dich ausgewählt haben, jedenfalls werden wir dich nie vergessen und für dich auf unsere Art beten. Und wir hoffen auch, dass dich dieser Brief erreichen wird, egal, wo du nun bist. Liebe Grüße!