- Gordian Fraydenegg, Student, trifft als Botschafter der Erinnerung im März 2008
- Fanny Englard in Israel.
Fanny Englard wurde am 01. Januar 1925 in Köln, als Tochter zweier polnischer Juden geboren. Diese waren als Kinder im ersten Weltkrieg aus Polen geflohen und hatten sich in Köln niedergelassen. Sie wuchs in einem Kreis religiöser, jüdischer Familien auf. Ihre Mutter erzählte ihr von vergangenen Pogromen, der Geschichte und dem Leiden des jüdischen Volkes. Da sie in ihrem Miethaus auch christliche Nachbarn hatte, lernte sie auch christliche Kinder kennen und erkannte, dass er einzige Unterschied zu diesen die Religion war.
Im Jahr 1933, als Hitler an die Macht kam, waren die jüdischen, in Deutschland lebenden Polen die ersten Opfer der Nationalsozialisten; diese erhielten nie die deutsche Bürgerschaft. Fanny war gerade 8 Jahre alt, als ihr Vater seinen Namen von Alter in Dominitz ändern musste. 1936 beschloss ihr Vater nach Polen voraus zu fahren um dort eine Existenz für seine Familie vorzubereiten, damit diese später nachkommen kann. So blieben Fanny, ihre Mutter und ihre vier Geschwister in Köln zurück. Sie selbst konnte die ersten fünf Jahre die Schule besuchen, bis sie am 28.November 1938 von ihrer Lehrerin aufgefordert wurden die Schule zu verlassen, weil ihre Mutter nach Polen abgeschoben wurde. Da sie nicht wusste welches Schicksal sie erwarten würde, entschied sie sich, ohne ihre Kinder zu reisen. Dennoch kamen Fanny´s ältester und ihr jüngerer Bruder mit ihr.
Fanny erzählte mir, dass dies der Moment war in dem sie erwachsen geworden ist, da sie damals, mit 13 Jahren, Verantwortung für ihre zwei kleinen Brüder übernehmen musste. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr lebte sie mit ihren Brüdern in einem Kinderheim und unterstützte ihre Mutter bestmöglich mit Decken und Federbetten. Ihr kleiner Bruder wurde 1939 mit einem Kindertransport nach England gebracht und Fanny selbst kam in ein jüdisches Jugendlager in Hamburg. Ihren Bruder Leo und ihre Schwester Isi musste sie im Kinderheim zurücklassen. Sie musste sich damals regelmäßig bei der nationalsozialistischen Polizeistelle melden. Dort arbeitete sie in einer Küche für Gäste und lernte Rav Carlebach, von dem sie noch viel lernen sollte, da er wie ein väterlicher Freund für die Jugendlichen war. Fanny musste noch einmal ihr Zuhause in ein jüdisches Kinderheim mit Haushaltsschule wechseln, bevor sie von der Gestapo am 4.Dezember 1941 zum arbeiten in den Osten verschickt wurde.
Während der tagelangen Zugfahrt herrschten schwere Bedingungen da, Platz- und Wassermangel herrschte. Erst kurz vor der Ankunft wurde bekannt, dass sie nach Riga kommen würden. Fanny berichtete, dass sie dort „einem anderen Typ“ Nazi begegnet sei als bisher in Deutschland. Die Nazis in diesem Lager waren unmenschlicher und sadistischer als die bis dahin bekannten. Bei der Ankunft wurden die Häftlinge mit Peitschen und Hunden dazu angetrieben sich in einer Reihe aufzustellen um zum Lager zu marschieren. Jene, denen die Kraft ausging und die aus der Reihe fielen, wurden erschossen. Während sie in der Stille wanderten ertönte ein Ausruf von Rav Carlebach, der sie noch die nächsten Jahre begleiten sollte. „Sch´ma Israel“ (Höre Israel) bedeutet soviel wie „Vielleicht wird es gut“ und war für Fanny ein Gebet dass ihr in schwersten Zeit die Kraft gab weiter zu machen.
In einem ehemaligen Bauernhof, genannt Jungernhof, wurden 4000 Menschen untergebracht und lebten unter unmenschlichsten Bedingungen. Als eines Tages nach 200 freiwilligen Mädchen gefragt wurde, die im Ghetto Riga arbeiten sollten, meldete Fanny sich, um dem Hof zu entkommen. Später erfuhr sie, dass alle Zurückgebliebenen, ein Monat nachdem sie das Lager verlassen hatte, erschossen worden waren. Ihre Arbeit im Ghetto bestand darin die leeren Häuser frei zu räumen und sie für die nächsten Menschentransporte vorzubereiten. „Die Augen haben gesehen, aber das Gehirn hat nicht aufgefasst“, so erzählte mir Fanny. Denn das Ghetto war vor ihrer Ankunft „geräumt“ worden. Im Ghetto traf sie ihre Tante, die sie vorher nie gesehen hatte und es fing, sofern möglich, ein geregeltes Leben an. Es bildeten sich sogar Schulen, Krankenhäuser und Kindergärten. Es wurden verschiedene schwere Arbeiten für die Nazis verrichten, doch „arbeiten bedeutet weiterleben“. Fanny hatte auch einige externe Arbeitseinsätze, wie in einer Gummifabrik, in der Zuckerrübenfabrik Libau und Torfabbau in Oleine. Mit 17 Jahren behielt sie trotz der Umstände ihren Glauben und war eine stolze Jüdin.
Eines Tages wurde sie in das Konzentrationslager Kaiserwald versetzt, wo sie in der Kantine als Putzmädchen arbeitete. Dort kam der erste Hoffnungsschimmer für Fanny, als das Lager von russischen Flugzeugen bombardiert wurde. Doch wurde sie im August 1944 ein weiteres Mal versetzt, diesmal nach Stutthof bei Danzing. Auch dort musste sie mit ihren Leidensgefährten in überfüllten Baracken, unter grausamen Bedingungen hausen. Zusätzlich breiteten sich Läuse unter den Gefangenen aus und viele erkrankten an Disenteria (Ruhr). Als auch Fanny erkrankte meldete sie sich dennoch nicht für das Krankenrevier, da sie Angst hatte, nicht mehr als arbeitsfähig anerkannt zu werden. So wurde sie nach einer weiteren Musterung, zusammen mit ihrer Cousine nach Sophienwald bei Stolp versetzt. Dort mussten sie Baumwurzeln ausgraben, Schotter karren, und Gleise verlegen um der Wehrmacht einen schnelleren Rückzug zu ermöglichen. Fanny erinnert sich noch gut an ihr Geschenk zu ihrem 19.Geburtstag, dass sie von ihrer Cousine erhalten hatte: zwei kleine Pellkartoffeln.
Kurz nach Silvester 1945 erhielten sie den Befehl aufzubrechen, da sie 100km zum nächsten Lager marschieren müssen. Bedingt durch die Jahreszeit und den Tod ihrer Mutter war Fannys Cousine geschwächt und wollte sie nicht mehr begleiten. Doch Fanny hat sie sozusagen mitgeschleppt. Als sie in Lauenburg, einem Auffanglager ankamen, wurden sie nur mehr von älteren Soldaten bewacht und mussten auch nicht mehr zur Arbeit gehen. Doch die Gefangenen begriffen noch nicht was das zu bedeuten hatte. Als sei wieder weitermarschieren mussten, waren die Straßen überfüllt mit Militär und deutschen Flüchtlingen.
Als sie in einer Scheune Rast machten, war diese plötzlich von bewaffneten Soldaten umstellt und die Gefangenen fürchteten nun erschossen zu werden. Doch es waren russische Soldaten – sie waren befreit!
Doch noch war das Leiden nicht vorbei. Fanny, die wie viele andere an Typhus erkrankt war, kam in ein Hospital. Doch hatten die Befreiten auch Angst vor Vergewaltigungen durch russische Soldaten. Sie erhielten Personalien und wurden mit einem Zug nach Berlin, von dort nach Dresden und dann via Convoy nach Leipzig gebracht. Dort fing das Leben an sich zu normalisieren, da sie dort Arbeit und richtige Verpflegung bekam.
Dann begann für Fanny, wie für alle Überlebenden, die Suche nach Familie und Freunden. Fannys Vater war in Warschau umgekommen, ihre Mutter und ihr kleiner Bruder im Konzentrationslager Belzek und ihre zwei anderen Brüder im Lager Trostenez.
Fanny konnte lernte bald ihren zukünftigen Mann Arie kennen – ein britischer, jüdischer Soldat, mit dessen Hilfe sie nach Israel auswandern konnte. Dort baute sie sich in einem Kibutz eine Existenz und Familie auf. Mittlerweile hat Fanny zwei Töchter, sechs Enkelkinder und vier Urenkel. Sie hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Gedenken an die Shoa aufrecht zu erhalten, zu mahnen und zu lehren um so eine Katastrophe nie wieder möglich werden zu lassen. Sie ist Vorsitzende der Organisation der ehemaligen Nazi-Gefangenen Israels und freiwillige Mitarbeiterin im Zentrum für Antisemitismusforschung der Universität Tel Aviv. Ihre Energie ist unerschöpflich bei ihrer Suche nach Gesprächspartnern, vor allem unter jungen Menschen. Sie fordert auf gegen den Antisemitismus zu kämpfen, das von ihre gelernte weiter zu berichten und zur Tat zu für ihre Sache zu schreiten.
Ich habe Fanny als enthusiastische, freundliche, lustige Frau kennen lernen dürfen, die tief im Staat Israel und im jüdischen Glauben verankert ist.
Meine Erfahrungen in Israel
Unsere Reise nach Israel gehört für mich zu den spannendsten und beeindruckendsten Erlebnissen meines Lebens. Trotz jeglicher Vorbereitung konnte ich vor der Reise nicht annähernd erahnen was für imposante Eindrücke mich erwarten würden. Das Land, die Menschen, der Umgang, die Kultur, die Geschichte und das Leben in Israel waren für mich in jeder Hinsicht anders, als ich es bis dahin gekannt hatte. Alle diese Eindrücke zu verarbeiten stellte sich, aufgrund des vielen Inputs, als große Herausforderung heraus.
Die Besonderheit des Staates liegt für mich vor allem in den zwei Gesichtern die es trägt. Auf der einen Seite gekennzeichnet von Kriegen, Konflikten und Problemen. Die permanente Anwesenheit von Militär, die Angst der Menschen, die festen und sich kontrastierenden Ansichten der Völker, die Art wie alte und junge Menschen ihren Standpunkt vertreten und für diesen kämpfen – alle das als Bestandteil des täglichen Lebens. Auf der anderen Seite Lebensfreude, Zukunftsvisionen und die herzlichen Menschen. Ich habe selten solche Offenheit und Freundlichkeit erlebt. Fremde laden uns in ihre Wohnung ein um uns einen Ausblick auf die Stadt Jerusalem zu ermöglichen, Fremde laden uns zum Mittagessen bei sich ein und bereiten uns in ihrer Wohnung Kaffee und Nachspeisen. Araber und Juden heißen uns gleichermaßen bei sich willkommen und am Anfang ist es einfach schwer zu begreifen, wie sich diese Völker nicht verstehen können.
Doch je länger ich dort bin, umso mehr erfahre ich über die Vergangenheit und über die dadurch entstandenen Konflikte der Gegenwart. Es ist schwer sich als Außenstehender eine klare Meinung zu bilden. Doch es ist beeindruckend, wie diese Kulturen auch miteinander Leben können und Ansätze für ein anhaltendes friedliches Miteinader zu sehen.
Das Ziel der Reise, die Begegnung mit Überlebenden des Holocaust, stand dennoch im Mittelpunkt. Bereits am ersten Abend durften wir Menschen begegnen, die in Gefangenschaft der Nazis waren, und sehen wie ihr Leben heute aussieht. Es sind Menschen, denen in ihrer Kindheit und Jugend schreckliches angetan wurde und die es geschafft haben, sich ein Leben aufzubauen. Es sind faszinierende Lebensgeschichten, von denen man viel lernen kann, an denen man sich orientieren kann. Sie teilten offenherzig Erfahrungen, Erkenntnisse, Warnungen und Erlebnisse mit uns, was ich für nicht selbstverständlich halte.
Yad Vashem, das Diaspora Museum die Festung Massada beim Toten Meer vermittelten mir sowohl einen historischen, als auch einen emotionalen Einblick in Geschichte des jüdischen Volkes. Es sind Stätten des Gedenkens und der Warnung, an die ich auch nach der Reise oft denke.
Als Christ kamen für mich zusätzlich die biblischen Schauplätze hinzu, die mir ein schwer beschreibbares Gefühl gaben. Vielleicht beschreiben Ehrfurcht, Faszination, Dankbarkeit und Respekt diese Gefühlsmischung am besten. Daher zähle ich auch den Ölberg, die Via Dolorosa und die Grabeskirche zu den vielen unvergesslichen Momenten dort.
Doch vor allem steht die Begegnung mit meiner Partnerin Fanny Englard. Diese starke Persönlichkeit hat so viel zu geben, dass es mir nicht leicht fällt alles aufzunehmen. Sie ist offen, ehrlich, überzeugt und großherzig. „Fanny macht aufmerksam, lehrt, mahnt, klärt auf, mischt sich ein, meldet sich zu Wort“ las ich über sie, bevor ich sie traf – all das stimmt. Doch mit welcher Motivation und Lebensfreude sie das tut, kann ich nur bewundern. Wir haben stundenlange Gespräche geführt und sie hat mir jede Frage beantwortet. Sie sammelt Artikel, Bücher, Briefe und Bilder um nicht nur ihre Geschichte, sondern auch die Geschichte des jüdischen Volkes und Israel zu erzählen. Der Mut zur Tat ist für sie wesentlicher Teil ihrer „Mission“ das Gedenken zu erhalten und zu warnen. Sie hat mich dazu aufgefordert, mich auch nach der Reise zu informieren, mir einen Standpunkt zu schaffen und diesen zu vertreten. Doch es fällt mir schwer diesen Anforderungen gerecht zu werden. Es fällt mir schwer mich neben meinem normalen Alltag für eine solch wichtige politische Sache stark zu machen. Natürlich erkenne ich genau darin das Problem des Staates Israels, denn wenn sich mehr Menschen mit der Situation befassen würden wäre auch die Moral des Volkes Israel gestärkt und würde vielleicht ihre Lage erleichtern. Doch der politische Konflikt mit den arabischen Völkern ist ein Konflikt der Paradigmen, wodurch es als Außenstehender schwer ist sich klar zu positionieren.
Ich habe während dieser Reise viel über andere Völker und Kulturen, über Menschen und Geschichte gelernt und Erfahrungen für mein Leben gesammelt.