Die letzten Zeugen - Das Buc

Dieser Brief stieg im Mai 2003 in den Himmel

An Herrn Desider Friedmann, Beinahe vergessen ist Ihr Name. Einst stolzer Präsident der jüdischen Kultusgemeinde in Wien, der letzte, bevor die Verbrecher auch in unserem Land gierig nach der Macht griffen. Nicht nur dies, erfolgreicher Anwalt, dessen Bürositz, liegend am Schottenring 26, Wien I, traurigerweise bekannter ist als Ihr Name. Kommend von der heutigen Tschechischen Republik, wo Sie am 24 November des Jahres 1880 das erste Mal das Licht der Welt erblickten. Wer konnte ahnen, dass sich im Laufe Ihres Lebens Menschen von einer unvorstellbaren Propagandamaschine manipulieren lassen werden? Niemand. Sonst hätte ihr Leben einen anderen Verlauf genommen. Wer weiß, hätten Sie wirklich am 6. Jänner 1921 in Wien, Ella Stiassni geheiratet? Wäre dadurch zwei weiteren Menschen das Leben auf dieser Welt verweigert worden? Ihren beiden Töchtern? Hätten Sie nur gemeinsam mit ihnen fliehen können, nach Isreal, wie sie es im Jahre 1939 taten. Aber durch ihre Anstrengung, Ihr Eintreten für die Kultusgemeinde leuchteten Sie aus den Listen der Verbrecher heraus wie es ein weißes Schaf unter zu vielen Schwarzen tun würde. Bis 1938 lebten sie ein Leben, dass man noch Leben nennen konnte. Als Sie dann aber Ihren Wohnsitz in der Börsegasse 14, den sie nach einem Umzug im Jahre 1934 von der Albertgasse 26, ebenfalls in Wien, bezogen hatten, verlassen mussten. Wieso? Sie waren zu wichtig als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinschaft um sich noch weiter einsetzen zu dürfen. „Prominententransport“ wurde der erste Transport, vollgeladen mit unschuldigen Opfern, von Österreich nach Dachau am 1. April 1938, genannt, Sie waren auch darunter – um für ihre guten Taten bestraft zu werden. Als ob das nicht genug Bestrafung wäre, Buchenwald war die nächste Station Ihres Leidenweges. Theresienstadt, eine der wohl am wirksamsten arbeitenden Manipulationsein-richtungen der Verbrecher, selbst dies mussten sie erleben, über sich ergehen lassen, mit einem gezwungenen Lächeln die Taten ihrer Mörder vor dem unwissenden Volk zu verbergen. Den schwersten und zugleich letzten Weg mussten Sie aber noch antreten – die Reise nach Auschwitz – der Hölle auf Erden. Später sollten Ihre Töchter erfahren, dass ihr letzter Atemzug 1944 ihre Lungen verließ. Oft gehen Menschen über einen bestimmten Platz in Wien um einfach nur an ein anderes Haus zu gelangen, wahrscheinlich tagtäglich. Was es mit diesem Platz auf sich hat interessiert die wenigsten, die paar, die dessen Namen nennen können, sind die Elite dieser nur-in-eine-Richtung-starrenden, marschierenden Masse. Aber zumindest können sie ihn dies: Desider-Friedmann-Platz. An Gedenken...wer weiß es? Wer weiß es wirklich? Niemand. Aber um diese Unwissenheit zu bekämpfen schrieb ich diesen Brief, einen Brief, um die Vergangenheit nicht ruhen zu lassen, um Ihren Namen zumindest etwas von seinem alten Ruhm zurückzugeben, damit blindgeglaubte passierende Menschen doch noch ihre Augen öffnen und sagen können: „Zurecht wurde dieser Platz nach Dr. Desider Friedmann benannt!“ Gerhard Adam