In der Kristallnacht wurde Susans Schule angezündet
Susan Muller wurde am 14.7.1926 in Wien geboren. Ihre Mutter konnte für kostbare Ölbilder drei Schiffskarten nach Shanghai besorgen. Lisa Breit berichtet über Susans Leben.
In der Kristallnacht wurde Susans Schule angezündet

„Die Erinnerungen an Wien sind nicht so gut. Ich war einmal nach dem Anschluss mit meiner 85-jährigen Omi im Park und Omi saß auf einer Bank. Da kam eine Dame und sagte, dass die Bank nur für Arier sei. Omi stand auf und wir gingen nach Hause.“
Am Weihnachtsabend 1938 kam ein „Blutordensträger“ in das Haus ihrer Familie und zwang sie, binnen 24 Stunden die Wohnung zu verlassen, andernfalls würde ihr Vater verhaftet und ins KZ Dachau deportiert werden. Sie flüchteten zur Großmutter. Ihre alte Wohnung war voll mit Kunstgegenständen, unter anderem auch ein großer Bösendorfer- Konzertflügel, auf dem Susan Klavier spielen gelernt hatte und sie mussten viel zurück lassen. Die Mutter versuchte einige Wertgegenstände, wie Ölbilder und das Klavier zu verkaufen, da sie bereits wusste, dass sie Wien verlassen müssten. „Jemand wollte das Klavier kaufen, aber ich weinte so sehr, dass die Dame es nicht übers Herz brachte, es zu kaufen“, erinnert sich Susan. Ein Nazi übernahm den kleinen Laden der Familie ... „Einfach gestohlen! Mit Ware und allem Inhalt!“, schreibt sie. Susan, die mittlerweile die erste Klasse des Mädchengymnasiums Hietzing besuchte, musste mitten im Schuljahr in die jüdische Schule in der Stumpergasse wechseln. In der Kristallnacht wurde die Schule angezündet und ab diesem Tag gab es keine Schule mehr für sie.
Da sie keine Verwandten im Ausland hatten, die ihnen ein Aviso für die Einwanderung schicken konnten, war es sehr schwer zu emigrieren. Die einzige Möglichkeit bestand darin, nach Shanghai auszuwandern, da man dorthin kein Visum brauchte, doch eine Schiffskarte war ebenfalls schwer zu bekommen. Die Mutter schlich sich in die alte Wohnung zurück, holte zwei kostbare Ölbilder und gab sie einem Travel-Agenten, der ihnen dafür drei Tickets für die „Conte Bianca Mano“ verschaffte. „Für mich war das ein Abenteuer“, erzählt Susan, „doch meine Mutter weinte sehr“.
Die Familie wollte, dass die Großmutter, die eigentlich ihre Großtante war, und eine Tante mit nach China flüchteten. Doch die Tante war Opernsängerin und meinte, sie könne nicht ohne ihr Klavier fahren und so blieben die beiden in Wien zurück. Im März 1941 wurden Tante und Omi nach Lagov in Polen verschleppt, die alte Frau überstand die zehnstündige Fahrt in einem versiegelten Zug. Susan vermutet, dass die beiden in einem polnischen Lager verhungerten. Susan besitzt mehrere, von der Zensur schwarz gestrichene, Postkarten, die sie in China erhielten. „Wir versuchten von Shanghai etwas zu senden, es kam wahrscheinlich nie an. Omi wollte Spiritus zum Kochen.“
Nach Shanghai konnten sie nicht viel mitnehmen, sogar das goldene Halsband ihrer Mutter riss ihr ein Nazi vom Hals, als sie in den Zug einstieg, der sie zum Schiff nach Italien brachte. Sie fuhren von Genua nach Suez, Bombay, Colombo, Singapur und durften während der gesamten Überfahrt nicht ein einziges Mal an Land. Während Susans Eltern verzweifelt waren und nur die ungewisse Zukunft sahen, freute sich das Mädchen von Wien wegzukommen und die Welt zu sehen. „Shanghai war aber furchtbar. Als wir ankamen, erwartete uns ein

Susan, die 1946 geheiratet hatte, wollte gerne in Rio de Janeiro arbeiten, bekam aber kein Visum für Brasilien. Als Besucher kamen sie und ihr Mann nach Toronto, wo sie blieben. Auch hier galt „None is too many“, Juden konnten auf legalem Weg nicht ins Land. Erst sieben Jahre später, als sie selbst kanadische Staatsbürgerin geworden war, konnte Susan ihre Mutter zu sich holen. „Ich habe hier sehr schwer gearbeitet, aber ich bin zufrieden,“ schreibt Susan am Ende ihres langen Briefes und diesen Satz fand ich tröstlich.
„Wir sind mein Kind nie mehr zu Hause.
Vergiss das Wort, vergiss das Land,
und mach’ im Herzen eine Pause –
dann gehen wir. Wohin? Unbekannt.“
Dieses Gedicht schrieb Berthold Viertel, ein Jude, der aus Österreich floh, 1937 in Amerika.
Lisa Breit, BRG Pertoldsdorf