Die letzten Zeugen - Das Buc

HEINZ KOPPEL


 
 

HEINZ KOPPEL

geb. 1920-12-26
(verstorben 8/1980)
lebte zuletzt in Australien


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Heinz Koppel wurde am 26.12.1920 in Krems geboren. Mit einer befristeten Einreiseerlaubnis konnte er nach England flüchten, wo man ihn nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges als "enemy alien" behandelte und nach Australien abschob. Dort lebt heute noch seine Frau Herta.

Lebensmittelpackerl für das Land, das sie verstoßen hat

Die Schülerin Sara M. F. aus dem BRG Waltergasse in Wien hat die Lebensgeschichte der beiden Überlebenden Heinz und Herta Koppel recherchiert.

Ich erforsche die Lebensgeschichte zweier Menschen, die mit der Geschichte meiner Schule eng verbunden sind.
Eigentlich ist es Heinz Koppel, er wurde am 26.Dezember 1920 in Krems geboren, der uns zuerst interessierte: Denn er wurde im April 1938 mit 17 Jahren aus unserer Schule, dem BG Waltergasse, gewiesen und musste an eine andere Realschule, die Schottenbastei, gehen. Er beendete das Schuljahr dort, was besonders schwer gewesen sein muss, denn es war einige Monate vor seiner Reifeprüfung. Aber er legte seine Matura erfolgreich ab.
Nach seiner Matura bekam er eine befristete Einreiseerlaubnis nach England, wo er am 25. März 1939 ankam. Als im September dieses Jahres der 2.Weltkrieg ausbrach, wurden absurderweise alle Flüchtlinge wie Kriminelle behandelt. So mussten sie sich täglich bei den Behörden melden und wurden wenig später alle interniert, weil man Spione unter ihnen befürchtete. Also war Heinz vor den Nazis geflohen, um hier wieder verfolgt zu werden …
Mehr noch - er wurde auf ein Schiff verfrachtet, dessen Ziel zuerst unbekannt war, dann aber in Australien landete. Sein Bruder wurde nach Kanada „deportiert“. Ich schreibe das absichtlich unter Anführungszeichen, weil das Wort „Deportation“ ja eigentlich für die Verfolgung und Vernichtung der Juden verwendet wird, die Bedingungen in so einer Situation aber ähnlich waren. Überdies wurde er zusammen mit italienischen und deutschen Kriegsgefangenen transportiert, die wie er schlecht behandelt wurden.
Das Schiff war übrigens übel bekannt unter dem Namen „Dunera“. Nach der Landung wurde Heinz nach Hay in North South Wales und später nach Tatura in Victoria gebracht. Dann musste er sich entscheiden, ob er in das Labor Corps der australischen Armee eintreten wollte. Da er unbedingt aus dem Internierungslager herauswollte, meldete er sich als Freiwilliger zur Armee und diente darin bis zum 5. Februar 1946.
Noch während seines Dienstes in der Armee studierte er am Royal Melbourne Institut für Maschinenbau und schloss sein Studium in Abendkursen innerhalb von 5 Jahren ab, da er ja tagsüber arbeitete. Er spezialisierte sich auf Armeefahrzeuge, reiste in der ganzen Welt umher, um Fahrzeuge für die extremen Witterungsbedingungen zu begutachten und einzukaufen. Er erreichte die Spitzenposition eines "Superintendent of the Engineering Design Establishment", wo er an seinen eigenen Autos werkte.
Heinz war an Sport ebenso interessiert wie an Opern und Konzerten in Australien und Europa und er war ein begeisterter Wanderer. Er starb plötzlich am 25. August 1980. Er lebte bis dahin glücklich mit seiner Frau Herta, seinen zwei Töchtern Anne und Jill und mit seinen Enkelsöhnen Scott und Tim. Seine Eltern und auch die Eltern seiner Frau wurden in Auschwitz ermordet.
All das wissen wir aus einem Brief seiner Frau Herta, die heute - muntere 84 Jahre alt - in Melbourne lebt und ausgezeichnet Deutsch spricht. Jetzt zu ihr.
Herta wurde am 3. Mai 1920 in Wien geboren und wohnte in der Malzgasse 17 oder 11 im 2.Bezirk. Nach der Volksschule in der Kleinen Pfarrgasse bekam sie einen Freiplatz im Gymnasium in der Hollandstrasse, weil sie so begabt war. Nach 4 Jahren aber beschlossen ihre Eltern, dass sie doch lieber eine Lehre machen und einen Beruf ergreifen sollte, weil die Familie die Schulbücher nicht mehr bezahlen konnte. Sie wurde Schneiderin.
Nach dem Einmarsch Hitlers erklärten ihre Kolleginnen an ihrer Arbeitsstelle in Döbling, dass sie mit einer Jüdin nicht länger zusammenarbeiten wollten. Sie verließ den Salon, und als schließlich ihr Vater nach Dachau gebracht wurde, beschloss die Mutter, dass Herta und ihre Schwestern das Land verlassen und sich in Sicherheit bringen müssten.
Herta ging zur Handelskammer, um ausfindig zu machen, welche Personen oder Firmen im Ausland jüdische Flüchtlinge aufnehmen würden, und stieß auf „Adelaide“, ohne zu wissen wo das war. Sie machte alle Behördengänge, bis sie für sich und ihre Schwestern die Papiere beisammen hatte. Sie verließen schweren Herzens ihre Eltern Moritz und Regine Gerstel.
Hertas Vater wurde, unter der Bedingung nach Palästina zu emigrieren, aus dem KZ Dachau entlassen. Er erhielt den Hinweis über Polen auszureisen und verschwand in der Folge spurlos.
Die Schwestern Gerta, Hella und Herta kamen im Juni 1939 in Adelaide an, wo die beiden älteren Schwestern blieben. Herta fand nach zwei Jahren eine Stelle in Melbourne bei zwei Wienern, die große Geschäfte in der Kärntnerstraße und am Graben gehabt hatten. Sie hießen Neuwelt und Unger.
Sie lernte Jersey-Strickwaren herzustellen und arbeitete sich auf der Strickmaschine ein, die für sie neu war. Sie lebte in Untermiete bei einem deutschen Ehepaar, das ihr zu Eltern und ihren Kindern später zu Großeltern wurde. 1949 wurde ihre erste Tochter Anne, 1957 ihre zweite Tochter Jill geboren. Anne hat zwei Söhne, Tim und Scott. Alle leben in Melbourne.
Herta Koppel ist sehr lebhaft und unternehmungslustig. Ihr Lebensmotto ist „Face up to the truth“, “Lauf vor der Wahrheit nicht davon“. Sie ist nicht verbittert und von unserer Aufzeichnung der Lebensgeschichten Verfolgter sehr angetan.
Herta hat in den 40er-Jahren mit anderen jüdischen Emigranten in Australien die Bewegung „Young Austria“ gegründet, die anti-religiös war und deshalb von anderen jüdischen Emigranten angefeindet wurde. Enstanden ist diese Bewegung durch den Gedanken, Freundschaft zwischen Austria und Australia zu stiften, da die Deutschen im australischen Exil ja, auch wenn sie selbst Verfolgte des Nazi-Regimes waren, doch als Feinde galten. Sie versuchten, österreichische Volksmusik (eine Dame spielte die „Klampfen“) und Volkstänzen heimisch zu machen!
Diese Gruppe organisierte sogar Nahrungsmittelpakete für das Nachkriegsösterreich - das muss man sich vorstellen: für das Land, das sie ausgestoßen hat!
Alles Gute, liebe Frau Koppel!
Ihre Sara M. F.

Sara M. F., BRG Waltergasse, Wien

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