Die letzten Zeugen - Das Buc

GERTRUDE MARIA ROTHSCHILD


 
 

GERTRUDE MARIA
ROTHSCHILD

(früher Silber)
geb. 1923-02-18
lebt heute in Australien


Diese Geschichte wurde im Projekt "3808 - Einladung" erstellt.

Im Projekt »38/08« war Gertrude Rothschild im Mai 2008 zu Gast an dem BG 18 Klostergasse,  jene Schule, die ´sie als Kind und Jugendlichee selbst besucht hat. Die lebensgeschichte basiert auf einem Interview geführt von Frau Suzanne Rutland, Prof. für jüdische und hebräische Geschichte in Sydney (8. September 2008)  und wurde von Katja Seidel, vom Team »A Letter To The Stars«,  niedergeschrieben und ergänzt.

Und plötzlich begann der Krieg.


Die ersten Jahre meines Lebens waren sehr schön, ich erinnere mich an eine glückliche Kindheit. Geboren wurde ich im Jahr 1923, ein Jahr nachdem meine Eltern geheiratet hatten. Ich war ein Einzelkind, Tochter von Sigmund und Marie Silber. Der Vater war Prokurist bei einer Bank, wir waren wie man so schön sagt gut situiert. Doch 1929 kam der wirtschaftliche Kollaps und die Bank brach zusammen. Wir lebten dennoch weiterhin im 9. Bezirk, in der Währingerstrasse 16, im 4ten Stock. Ich kann mich daran noch gut erinnern - wir hatten keinen Lift.
Ich ging in die Volkschule in meinem Bezirk – übrigens dieselbe Schule, die ich heuer im Mai in Wien besuchte während meines Aufenthalts in Wien. Nebenan gab es ein humanistisches Bundesrealgymnasium und es lag nahe, dass ich dieses besuchen sollte. 1933, als ich 10 Jahre alt war und dort eingeschult hätte werden sollen, entschied die Direktion des Gymnasiums keine Mädchen mehr anzunehmen. Um mir dennoch eine gymnasiale Ausbildung zu ermöglichen mussten meine Eltern nun um eine Erlaubnis anfragen, mich im 18. Bezirk in die Klostergasse schicken zu dürfen. Als wir mit der Genehmigung vor den Direktor traten sagte dieser zu, kommentierte meine Aufnahme jedoch mit der Bitte, von dieser Zusage nicht zu vielen Freunden oder Verwandten zu erzählen, damit nicht sonst: „bald alle Juden herkommen werden“. Meine Eltern ließen der Aussage des Direktors keine große Bedeutung zukommen, ein klarer Hinweis darauf wie unschuldig wir noch waren – 1933, als Hitler gerade an die Macht kam.
In Österreich da war die Nazionalsozialistische Partei in der Zeit noch verboten. Ich war damals ja ein junges Mäderl, war sehr interessiert daran, in die Schule zu gehen und so viel wie möglich zu lernen.
1938, nach der Machtübername, ich war gerade 15 Jahre alt, standen die Wiener auf, es veränderte sich etwas in den Herzen und Seelen der Menschen – keine angenehme Veränderung für die jüdischen Mitbürger, besonders in den ersten Tagen. Wenn man aus dem Haus ging, wurde man gezwungen die Strassen zu waschen, man durfte nicht mehr auf den Bänken im Park sitzen, alles war verboten. Meine Eltern geboten mir daher in der Wohnung zu bleiben. Doch mir war langweilig, was sollte ich daheim tun den ganzen Tag lang? Eine Woche später erklärte ich meinen Eltern, dass ich nun wieder zur Schule gehen würde.
Die Schule fing um 8 Uhr an, ich war etwas zu früh dran. Als ich die Treppen hinaufkam, begegnete ich Prof. Haberda, unserem Schuldoktor. Er bat mich in sein Büro zu kommen. Dort angekommen beteuerte er, dass er mich und meine Eltern, die er auch kannte, sehr gern haben würde und dass es ihm schrecklich leid täte, was mit uns gerade geschähe. „Versuche einen anderen Platz zu finden, wo du hingehen kannst. Bis dahin und solange ich jeden Tag an der Schule bin, kannst du an die Schule kommen, ich kann dich beschützen. Ich habe großen Einfluss an der Schule, ich bin ein Illegaler, das heißt einer, der schon zu den Nazis gehörte, als die Partei noch verboten war. Ich war für den Anschluss an das Deutsche Reich, aber ich wusste nicht, was mit den Juden passieren würde. Versuche Österreich zu verlassen, und wenn du das nicht kannst, dann geh weg aus Wien, ich werde dich nicht beschützen können.“ Prof. Haberda sagte mir auch, dass ich auf Provokationen nicht reagieren sollte, er wusste schon damals, wie ich reagierte, wenn mich jemand an den Haaren zog oder ähnliches. Zurück in der Klasse war auf meinem Pult MAGEN DAVID – ich habe nicht reagiert, gar nicht. Die Buben haben später gelernt, diese Dummheiten wegzuwerfen und entschieden sich mich zu verteidigen „lasst unsere Gerti in Ruhe“.

Eines Nachts wurde mein Vater abgeholt. Erst 12 Tage später kam er zurück. Zuvor hatte er Briefe in die verschiedenen Länder geschrieben, auch nach Australien. (ER KAM VON POLEN) Als er nach Australien um eine Einreiseerlaubnis schrieb, erwähnte er nicht, dass er ein Bankier war, sondern beschrieb sich als Teppichmacher. Die Genehmigung zu Einreise kam gerade rechtzeitig, genau als er von der Gestapo-Gefangenschaft zurückkam. Das Visum galt jedoch nur für eine Person, nur einer konnte fahren. Vater meinte, das mache nichts, nur die Männer seien in Gefahr und dass er, sobald er dort sei, auch für uns Einreiseerlaubnis bekommen wird. 1939 brach er auf.

Alle Schiffe waren zu jener Zeit ausgebucht und er musste erster Klasse reisen, was praktisch unser ganzes Geld verschlang. Wir verloren die Wohnung und das Ferienhaus im Wienerwald. Und Mutter und ich, wir kamen bei Verwandten unter und warteten. Warteten – bis wir Nachrichten von Vater erhielten.

Und plötzlich begann der Krieg.

Ich folgte dem Ratschlag meines Professors und fuhr (meistens) mit dem Rad aufs Land. Im Jahr 1940, zwischen den Klassen, waren wir nur noch zwei Mädchen in der Klasse. Eine andere Freundin gab mir ihren Personalausweis und wir fuhren mit den Rädern nach Königsberg. Wir waren jung und haben die Gefahr nicht gespürt. Als die neuerliche Matrikulation begann war ich wieder erfolgreich. Doch Prof. Haberda hat mir immer wieder gesagt, ich müsse raus, raus aus Wien.

Meine Mutter wurde gezwungen, in einer Fabrik zu arbeiten. Ich bin dann nach Moravia gegangen, wohin mich meine Eltern immer gebracht hatten in schlechten Zeiten. Vater hat für sie gearbeitet, für IGLAUB; in dem Dorf kannten mich alle als das Stadtmäderl. Ich musste mich nicht einmal registrieren.

Ich blieb dort und lernte jede Menge Dinge, unter anderem wie man eine Kuh molk. Natürlich konnte ich nicht zur Universität gehen, es gab keinen Prof. Haberda. Als der Winter kam bekam ich Heimweh und außerdem langweilte ich mich zu Tode.
Ich muss erwähnen, dass ich bevor ich 18 geworden bin, einen Zahnarzt kannte, (nicht derselbe, der war ein NAZI) der auch in Gefahr war, weil er homosexuell war. Und er hatte mir gesagt, dass ich mich an ihn wenden sollte, wenn ich je in Schwierigkeiten geraten sollte, er hätte Kontakte zum Untergrund.

Er stellte mich zwei jungen Männern vor, welche mich anwiesen, in eine Fabrik zu gehen, wo sie Gasmasken herstellten. Sie sagten mir ich sollte in das Physiklabor gehen – sie wussten, dass ich in Mathematik ausgezeichnet war – und mich dort vorstellen, ohne jedoch meinen Namen zu nennen, ich hätte gehört, dass sie jemanden suchten. Das tat ich und ich erzählte ihnen, dass Mathematik mein Spezialwissen war. Er fragte mich, ob ich auch auf equation arbeiten könnte – ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete, aber ich konnte mir vorstellen, wie ich dafür eine Lösung finden würde. Er war begeistert und stellte mich an.
Erst einige Monate später, als ich instruiert wurde, Röntgenstrahlen zu erzeugen, fand ich heraus, dass die Firma unter der Supervision der Wehrmacht stand. Die Maschine stand in einem Raum und es musste fließendes Wasser darüber geleert werden, damit sie kühl blieb. Die andere Person trug eine Schutzschürze, ich fragte, wo denn meine Schutzschürze sei. „Du brauchst keine, weil dein Leben ist unbedeutend“ war die Antwort.

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