Die letzten Zeugen - Das Buc

PETRA PAWLOWITZ


 
 

PETRA
PAWLOWITZ

geb. 1947-06-05
lebt heute in Österreich

Ermordete Verwandte


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Petra Pawlowitz, geboren 1947, ist eine so genannte Nachgeborene. Ihr Großvater wurde im KZ Majdanek vergast, ihre Großmutter konnte aus einem Lager befreit werden. Ihr Vater Kurt R. Pawlowitz überlebte in der "Ostmark", ihre Mutter Ellen Ruth Likwornik konnte nach England fliehen. Den Kontakt mit Schülern hat sie als "regelrechte Therapie" erfahren.

Ich habe den Kontakt mit Schülern als Therapie erfahren...

Schüler aus der BHAK Inssbruck haben Petra Pawlowitz persönlich getroffen und die Geschichte ihrer Familie recherchiert.

Frau Petra Pawlowitz ist die Enkelin von Dr. Pinkas Likwornik, der mit seiner Ehefrau Gisela 1938 aus Österreich ins Elsaß floh. Während ihr Großvater, er war Beamter bei der Wiener Städtischen Versicherung, 1942 in ein Auffanglager nach Drancy gebracht und von dort 1943 nach Majdanek deportiert wurde, wo er am 9. 3. 1943 in der Gaskammer umkam, wurde ihre Großmutter von deren Schwager Max Likwornik aus dem Lager in Gurs herausgeholt und überlebte bei ihm in Montauban.

Ellen Ruth Likwornik, die Mutter von Petra Pawlowitz, emigrierte 1938 von Wien nach England, wo sie sich als Hausmädchen, Fabriksarbeiterin und Hilfskrankenschwester durchschlug. Ihr Bruder Wolfgang Raphael kam im Rahmen eines Kindertransports ebenfalls nach England. Hofrat Prof. Kurt R. Pawlowitz, der Vater von Petra Pawlowitz, er war später Lehrer bzw. Direktor an einer HTL in Wien, konnte Österreich nicht mehr rechtzeitig verlassen und musste den Krieg in Wien „unter unwürdigen Umständen verleben“, wie uns Frau Pawlowitz mitteilte. Da er als Halbjude auch den Nürnberger Rassegesetzen unterlag, musste er ständig mit Anzeigen rechnen. Gemeinsam mit seinen Eltern, sein Vater war als akademischer Maler arbeitslos, musste er mehrmals die Wohnung wechseln, da sie aus dem Atelier hinausgeworfen worden waren.
Die Eltern von Frau Pawlowitz hatten sich schon vor dem Krieg versprochen, dass sie zusammenbleiben wollen. Es folgten aber sieben Jahre der Ungewissheit. „Mein Vater litt zusätzlich darunter, dass ihm in Wien die Hände gebunden waren und er so gar nichts ‚dagegen’ tun konnte. Meine Mutti hat in England wenigstens durch ihre Arbeit helfen können.“

Ellen Ruth Likwornik kehrte 1946 nach Wien zurück, sie heiratete Kurt Pawlowitz und gebar 1947 ihre Tochter Petra und 1951 Sohn Gregor. Petra Pawlowitz besuchte in Wien die Volksschule und anschließend bis zur 5. Klasse ein humanistisches Gymnasium. Da ihr Vater 1962 einen Auftrag für die UNESCO in Südkorea übernahm, begleitete sie ihre Eltern, anschließend verbrachte sie einige Monate bei ihrem Onkel in Manchester. Nach Wien zurückgekehrt, besuchte sie die Fachschule für Wirtschaftswerbung und begann 1966 ihre
berufliche Laufbahn. Von 1969 bis 1972 lebte sie in Berlin, um auch beruflich und gesellschaftlich Auslandserfahrung zu bekommen. Seit 1972 lebt Frau Pawlowitz wieder ständig in Österreich.

Wie ist es Frau Pawlowitz als Nachgeborener gegangen, wie fühlt sie sich heute?

Nach ihrer eigenen Aussage wurde sie schon von klein auf mit rassistischen Aussagen konfrontiert. Das begann im Gymnasium in Wien
von Seiten der Lehrer, aber auch im Berufsleben bei Diskussionen mit KollegInnen oder bei Gesprächen über Tagesereignisse wurde sie
immer wieder damit konfrontiert.
„Ich habe einen Mechanismus entwickelt, um unangenehmen Überraschungen aus dem Weg zu gehen. Ich habe immer gleich beim Kennenlernen von Menschen das Thema ,darauf’ gebracht, um gleich die Fronten zu klären. So war ich selten gezwungen, selbst vom Tisch aufzustehen oder gar jemanden aus meiner Wohnung zu schmeißen ...“
Am wohlsten fühlte sich Frau Pawlowitz in West-Berlin, wo die Einstellung der Gleichaltrigen ihrer Aussage nach ganz anders war. Dort wurde aufgearbeitet und nicht verschleiert, es gab nie unangenehme Situationen oder Diskussionen für sie. In einem Mail an unsere Projektleiterin schrieb Frau Pawlowitz: „Ich hatte noch nie in meinem Leben die Möglichkeit – außer mit meiner allerengsten Familie – jemals über meine Gedanken, Gefühle, Emotionen usw. (als Nachgeborene) zu sprechen, da es erstens niemanden interessiert und sich zweitens niemand etwas darunter vorstellen kann oder will. Die Gespräche haben sich so immer im engsten Familienkreis gedreht.“
1989 verstarb der Vater von Petra Pawlowitz, im Jahr 2000 ihre Mutter.

Was hat Frau Ellen Ruth Likwornik ihrer Tochter Petra erzählt?
In einem Mail heißt es: „Meine Mutti trug vor dem Krieg z. B. leidenschaftlich gerne Dirndln mit weißen Stutzen. Sie hat mir diese Kleidung,
die im Nationalsozialismus von Mädchen getragen wurde, zwar nie verboten oder ausgeredet, konnte es aber nur sehr schwer ertragen,
sie an mir zu sehen. Das Gleiche galt für meine Reitstiefel. Der Anblick und der Schritt mit schwarzen Stiefeln ließ meine Mutti erschaudern. Meine Mutti hätte nie Deutsche Schäferhunde zu Hause haben können. Man sieht also, dass auch diese Wunden sehr schmerzhaft sind und nicht vergehen.“
Dass die Eltern von Frau Pawlowitz, die die NS-Zeit am eigenen Leib erfahren haben, in ihrem späteren Leben unter Erinnerungen an
diese schlimme Zeit litten, war uns von allem Anfang an klar. Solche Ereignisse können nicht vergessen werden und holen die Betroffenen wohl immer wieder ein, auch wenn sie jetzt ein „normales“ Leben führen bzw. es zumindest versuchen. Wolfgang Raphel Likwornik, der Onkel von Frau Pawlowitz, der nach dem Krieg in England blieb, britischer Staatsbürger wurde und auch eine Familie gründete, wurde mit seinen Erlebnissen nie fertig und verübte in den 70er-Jahren Selbstmord.

Aber auch Frau Pawlowitz hat Probleme, das Geschehene zu bewältigen. So schrieb sie uns: „Wenn ich gerade eine Doku oder Ausstellung über dieses Thema (= NS-Zeit) gesehen habe und dann auf die Straße muss, denke ich immer, wer wohl von der alten Generation meine Familienangehörigen ermordet hat, bzw. wer meine Eltern, wenn möglich, umgebracht hätte. Es braucht dann immer
eine Zeit, bis ich wieder locker auf der Straße gehen kann – ohne Aggression meinerseits.“
Das Sprichwort „Die Zeit heilt alle Wunden“ hat hier keine Gültigkeit. Frau Pawlowitz hat nicht nur ihren Großvater verloren, sondern
mehrere nahe Verwandte mütterlicherseits. In einem weiteren Mail an unsere Projektleiterin, in dem sich Frau Pawlowitz erkundigt, was mit ihren Informationen passiert, die sie uns zur Verfügung gestellt hat, heißt es: „Ich habe ... mein Innerstes nach außen gekehrt, was ich bis heute noch nie gegenüber wem auch immer getan habe ... Übrigens habe ich dies auch für mich als eine regelrechte Therapie
erfahren und habe das Gefühl, endlich Abschied von manchem nehmen zu können.“

Wir können nur hoffen, dass dieses Gefühl bei Frau Pawlowitz anhält und sie im Gegensatz zu ihren Eltern bzw. ihrem Onkel in England
nicht immer wieder mit den furchtbaren und menschenunwürdigen Ereignissen der NS-Zeit und den Umgang in Österreich damit bis herauf in die Jetztzeit konfrontiert wird.

Patrick Saller, Clemens Gapp, Felix Holzmeister, Michael Buchmayr, BHAK Innsbruck, 2005

Home > Die Letzten Zeugen > Petra Pawlowitz