Die letzten Zeugen - Das Buc

KURT GOLDBERGER


 
 

KURT
GOLDBERGER

geb. 1925-08-05
lebt heute in den USA


Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.

Lilly Maier ist als Botschafterin der Erinnerung in New York dem Überlebenden Kurt Goldberger, der den Holocaust als Kindertransport-Flüchtling überleben konnte, begegnet. 

Sammelschule für Juden: 40 Plätze für 60 Jungs


Mazballsuppe, gefüllte Krautrouladen und Sieben-Schichten-Kuchen – mein erstes koscheres Essen! Kurt Goldberger meinte zwar, in New York könnte man auch wienerisch Essen gehen, aber er wollte mir lieber etwas Neues zeigen und so brachten seine Frau und er mich zu Ben´s, einem jüdischen Restaurant im Herzen Manhattans.
Am Anfang war ich noch ziemlich aufgeregt, weil es das erste Mal war, dass ich Kurt Goldberger persönlich gegenüber saß, aber das legte sich schon beim Auspacken meines Pakets der Erinnerung. Als er meine Fotos seines Geburtshauses sah, begann er gleich zu erzählen.

Kurt Goldberger wurde am 5. August 1925 in Wien geboren. Sein Vater Paul Goldberger war Geschäftsleiters eines Schuhgeschäfts. Seine Mutter Emilie (geb. Bergmann) arbeitete als Köchin. Ungewöhnlicherweise sogar in England, was sich später als großes Glück erweisen sollte.
Kurt Goldberger wohnte in der Esslinggasse 8 und besuchte die Volksschule in der Börsegasse. Bis 1938 die ging er dann in die Realschule in der Schottenbastei. Im Religionsunterricht hatten die jüdischen Schüler einen speziellen Jugendgottesdienst, den sie aber jedes Mal schwänzten. Netterweise hat sie der Rabbi aber nie verraten. Zu dieser Zeit hatte Kurt auch einen nicht-jüdischen Freund, von dem er mir erzählte: „Ich war öfters mit anderen Jungen bei ihm zu Besuch, aber irgendwann sagte er immer: ‚Ihr müsst jetzt gehen, mein Bruder darf nicht wissen, dass ich mit Juden spiele.’ Jahre später stellte sich dann heraus, dass der Bruder von meinem Freund auch jüdische Freunde hatte - und sich auch nie traute, es seinem Bruder zu sagen.“

Ab 1938 musste Kurt dann in eine Sammelschule für Juden in der Krügelgasse gehen. Die Zustände dort waren mehr als schwierig. Es gab nur 40 Sitzplätze für 60 Jungen und die jüdischen Lehrer mussten sich verpflichten Österreich unter keinen Umständen zu verlassen, damit sie überhaupt unterrichten durften!
In seiner Freizeit spielte Kurt am liebsten Fußball. Entweder verbotenerweise auf einer Wiese am Kai beim Schwedenplatz, meistens aber bei der Austria-Jugend. Mit seinem Vater besuchte er internationale Fußball-Matches. Außerdem war er ein Wölfling in der 49. Kolonne der Wiener Pfadfinder. In den Sommerferien fuhr er mit seiner Familie oft auf den Semmering.

Mit 14 Jahren, im Juli 1939, kam Kurt Goldberger mit einem Kindertransport nach England. Möglich gemacht hatte dies seine Mutter: Sie arbeitete schon seit mehreren Monaten in England als Köchin und Haushälterin. So gelang es ihr, ihren Sohn aus Wien herauszuholen. Noch im selben Jahr wurden die Kinder und Jugendlichen aufs Land, in einen Vorort von London, evakuiert. Dort lebte Kurt bei einer Pflegefamilie und besuchte eine englische Schule.
Obwohl Mutter und Sohn gleichzeitig in England waren, konnten sie sich für ganze zwei Jahre nicht sehen. In einem Internierungslager kamen sie schlussendlich wieder zusammen. Seine Mutter lebte dort, weil sie Österreicherin war und deswegen, wie viele andere, der Spionage verdächtigt wurde. Das Lager war aber kein Gefängnis, sondern eine große Anlage voller Hotels. Kurt selber beschrieb mir das Lagerleben mit einem einfachen Satz: „Wir waren 16 Jungen und 4 000 frustrierte Frauen!“

Sein Vater hatte es inzwischen geschafft, nach Amerika auszuwandern. Davor war er nur knapp einer Verhaftung und der Deportation entgangen: Durch einen anonymen Anruf (Kurt vermutet von einem Nazi) war er davor gewarnt worden ins Geschäft zu gehen. Er befolgte den Rat und blieb zu Hause. An diesem Tag wurden alle Juden in der Straße des Schuhgeschäfts verhaftet.

1944 schafften es auch Kurt und seine Mutter, nach Amerika zu kommen. Sie erreichten New York in einer Gruppe von 80 Schiffen, die wochenlang im Zick-Zack durch den Atlantik gefahren waren, um den deutschen U-Booten auszuweichen. Kurt: „Thanks god kamen alle Schiffe unversehrt an.“ Nach der Landung blieben Kurt, der inzwischen 18 Jahre alt war, nur fünf Tage, um sich für die Army zu registrieren. Zum Glück für ihn war er aber untauglich und so konnte er endlich seinen Vater wieder sehen. Fast zwei Jahre lebte er dann mit seiner Familie im Mittleren Westen. Allerdings gefiel es ihm dort nicht sonderlich gut. „I was unhappy there“, erinnert sich Kurt. Also zog er 1945 nach New York – wo ich ihn über 60 Jahre später kennen lernen konnte.
Auch seine Frau Margaret, mit der er seit 58 Jahren verheiratet ist, kam mit einem Kindertransport von Berlin über England nach New York. Und auch ihre Eltern überlebten.
Kennen gelernt haben sich die beiden in einem österreichisch-amerikanischen Jugendklub, dem „Austria American Youth“, der später auch „Fellowship Club“ genannt wurde. Ganze 80 Ehen sollen übrigens aus diesem Klub hervorgegangen sein!

Nachdem er mir seine Geschichte fertig erzählt hatte, zeigte Kurt mir auch noch eine ganze Reihe von Fotos. Gleich beim ersten trat ich ordentlich ins Fettnäpfchen: auf dem Foto war ein wunderschönes, fünfjähriges Mädchen mit Pagenkopf zu sehen, das nett in die Kamera lächelte. Ich dachte, es sei seine Frau und rief begeistert: „Oh, this is the cutest girl I´ve ever seen.“ Wie sich herausstellte, war das Mädchen auf dem Foto aber er! Auf seinen Schulfotos erkannte ich dann aber eindeutig, dass er ein Junge war.
Heute ist Kurt, nachdem er jahrelang für B´nai Brith gearbeitet hat, in Pension, aber immer noch viel beschäftigt. Als Präsident der Kinder-Transport Association (KTA) reist er ständig durch Amerika und hält auch Vorträge in Schulen.

Der Abend bei Ben´s verging wie im Flug. Beim Sieben-Schichten-Kuchen erinnerte sich Kurt schwärmend an den berühmten Apfelstrudel seiner Mutter, die eine ausgewiesene Strudel-Spezialistin war. Im Herbst will Kurt nach Wien kommen – bis dahin muss ich herausgefunden haben, wo es den besten Apfelstrudel der Stadt gibt.


Berührende Begegnung in New York

Dieser Bericht von Lilly Maier ist im KURIER vom 30. April 2007 erschienen.

Kurt Goldberger ist im August 1925 in Wien geboren. Er war 14 Jahre alt, als er Juli 1939 mit einem Kindertransport nach England kam. Seine Eltern haben beide überlebt.
Johanna Trescher wurde im Mai 1933 als Hanna Trescher in Wien geboren. Schon fünf Jahre später verließ sie Österreich für immer. Ihre Mutter und ihr Großvater kamen mit, ihr Vater (ein Nichtjude) blieb in Wien.
Heute leben sie beide in Amerika und dort habe ich sie auch kennen gelernt.

Vom 10.-17. April war ich im Zuge des Projektes „A Letter To The Stars - Botschafter der Erinnerung“ in New York und hatte dort die Möglichkeit und die Ehre, Holocaust-Überlebende zu treffen, mit ihnen zu reden und mir von ihnen ihre Lebensgeschichten erzählen zu lassen.

Anfangs haben sie mir noch einfach Fakten erzählt: wo sie gewohnt haben, wo sie zur Schule gegangen sind, wie sie aus Österreich geflüchtet sind. Ziemlich schnell wurden die Gespräche aber viel persönlicher und sie haben angefangen, wirklich „Geschichten“ zu erzählen. Ganz einfach weil ein Leben aus viel mehr, als nur aus Daten und Adressen besteht.

Eigentlich müsste ich also so anfangen: Kurt Goldberger ist im August 1925 in Wien geboren. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, (verbotenerweise) am Kai Fußball zu spielen. Johanna Trescher wurde im Mai 1933 in der Nähe des Stadtparks geboren. Ihr Lieblingsspielzeug war ein Teddybär, den sie, weil er so alt und dreckig war, in Wien zurücklassen musste. Sie hat zwar noch in Wien einen neuen Teddy und später in New York sogar eine richtige amerikanische Puppe bekommen, aber sie konnte sich nicht wirklich darüber freuen, weil sie einfach nur ihren alten Teddy haben wollte. Ich habe richtig gemerkt, wie wichtig ihr das damals (und auch noch heute) ist und ich bin sehr froh, dass ich sie treffen konnte und sie mir das alles erzählt hat. Sie hat mir auch gleich den „neuen“ Teddy gezeigt, den sie trotz allem seit 70 Jahren aufgehoben hat.

Eine andere berührende Geschichte von Frau Trescher ist die Ankunft der Gruppe von österreichischen Juden mit dem Schiff in Amerika. Als sie die Freiheitsstatue sahen, waren alle ganz aufgeregt und freuten sich, dass die Reise endlich vorbei war und sie in Sicherheit waren. Nur die damals fünfjährige HannaTrescher verstand die ganze Aufregung nicht. Einfach, weil ihr niemand die ungewohnte Situation (die Flucht, der Abschied vom Vater, ...) erklärt hatte. Jahre später entschuldigte sich ihre Mutter dafür- sie dachte, dass sie mit fünf Jahren zu jung gewesen wäre um alles zu verstehen. „Natürlich hätte ich es verstanden!“, meint hingegen Frau Trescher, und so wie ich sie und auch ihre Vergangenheit kennen gelernt habe, bin ich mir ganz sicher, dass sie Recht hat.

Auch von Kurt Goldberger, meinem anderen Kontakt, habe ich mehr erfahren als nur bloße Daten: zum Beispiel, dass seine Mutter eine „Apfel-Strudel-Spezialistin“ war oder dass er seine Frau Margarete in einem jüdischen Jugendklub in New York kennen und lieben gelernt hat. Ganze 80 bis 90 Ehen sollen übrigens aus dem „Fellowship Club“ in New York hervorgegangen sein.
Eine andere wundervolle Begegnung hatte ich mit jüdischen Überlebenden aus Österreich, die von der Organisation „Selfhelp“ betreut werden. „Selfhelp“ bietet verschiedene Programme an und unter anderem organisiert sie das „Wiener Kaffeehaus“, einen Kaffee und Kuchen-Nachmittag wo Wiener Musik gespielt wird. Gleich an unserem ersten Tag in New York nahmen wir mit rund 50 Überlebenden an so einer Kaffeehausrunde teil. Was mich persönlich dort am meisten beeindruckt hat, war, dass sich viele der ehemaligen Österreicher noch so gut an alles erinnern konnten. Sie fragten uns sofort über alle möglichen Plätze aus oder welche „richtigen“ Kaffeehäuser aus der Vorkriegszeit noch existieren. Und sie kannten sich teilweise sogar besser in Wien aus als ich! Noch genauer erinnerten sie sich aber an die Wiener Musik, wirklich jede und jeder mit dem ich gesprochen habe, konnte mir sagen, welches Lied gerade gespielt wurde und von wem es stammt. Sie fingen sogar an die Lieder zu singen, obwohl die Musiker dort nur die Musik (ohne Gesang) spielten! Gegen Ende habe ich sogar mit meinem Tischnachbarn, einem ehemaligen Frankfurter, Walzer getanzt - und als ich mich von ihm verabschiedete und ihn (auf die Wange) küsste, sagte er ganz gerührt zu mir: „I´ve got an Austrian kiss! I´ll never forget this moment.“

Und genau wie er bin ich mir ganz sicher, dass ich diesen Moment, diese ganze Reise, nie vergessen werde. Ich habe in der Woche zwar nicht viel von New York gesehen, aber ich finde das überhaupt nicht schlimm. Viel wichtiger waren für mich die Gespräche, die ich mit vielen Holocaust-Überlebenden geführt habe, die Geschichten die sie mir erzählt haben. Am Ende des „Wiener Kaffeehauses“ sagte eine der Organisatorinnen zu mir: „Es ist das erste Mal, dass keiner gehen will und ich mache das jetzt schon seit so vielen Jahren“.

Ich wollte auch nicht gehen.


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