HERTA
(früher Griffel) |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
Im Mai 2008 war Herta Griffel-Baitch im Projekt »38/08« zu Gast an der Hauptschule Haag bei Direktorin Anna Kastner, die ihre Lebensgeschichte dokumentiert hat.
Herta Griffel-Baitch wird 1933 in Wien geboren. Ihre Eltern Beila und Wolf Griffel haben in der Novaragasse 2 in der Leopoldstadt eine Greißlerei. Der Vater wird in der »Kristallnacht« verschleppt, das Geschäft arisiert – nach der Entlassung aus dem Lager stirbt Wolf Griffel. Die Mutter kann ihre Tochter im Alter von 7 Jahren in die USA schicken. Sie selbst wird 1942 in Maly Trostinec ermordet. Herta Griffel kommt zu Pflegefamilien, geht zur Schule und arbeitet bei einem Kinderarzt. Sie heiratet Arthur Baitch, mit dem sie heute drei Kinder und sieben Enkel-kinder hat.
Mit 7 Jahren von Wien nach New York City
Herta Griffel-Baitch konnte auf einem Kindertransport entkommen, das Kleid, dass sie damals trug, erinnert sie an ihre ermordete Mutter.
Diese Dokumentation ist ein Denkmal für Beila und Wolf Griffel, damit sie nicht vergessen werden, und die Lebensgeschichte ihrer Tochter Herta.Die Mutter: Beila Griffel, geborene Nagel, geboren am 28. Mai 1896 in Majdan Sredni, einem kleinen Dorf im Osten Polens. Ermordet am 18.
September 1942 im Todeslager Maly Trostinec im heutigen Weißrussland.
Der Vater: Wolf Griffel, geboren am 29. Jänner 1888 in Krakau, Polen, gestorben am 3. November 1939 in Wien nach Aufenthalt im Arbeitslager, beerdigt auf dem jüdischen Friedhof in Wien.
Herta wird als einziges Kind der Familie am 10. März 1933 in Wien geboren. Sie lebt heute in Baltimore, USA, ist verheiratet mit Arthur Baitch, hat drei Kinder und sieben Enkelkinder.
Beila und Wolf hatten sich in Wien kennen gelernt und 1930 geheiratet. Gemeinsam führten sie eine Greißlerei in der Novaragasse 2, im 2. Bezirk Leopoldstadt, nahe dem Augarten.
Nachdem der Vater in der »Kristallnacht« verschleppt worden war, kam er in ein Arbeitslager. Das Geschäft musste geschlossen werden und wurde vom nationalsozialistischen Regime enteignet.
Herta kann sich nur wenig an diese Zeit erinnern, da sie noch sehr jung war. Aber der Name »Hitler« war auch für sie verbunden mit Angst und bösen Vorahnungen. Sie kann sich an Nazi-Paraden auf der Straße erinnern, die sie erschreckten. Bald nach dem Anschluss wurden die jüdischen Männer aus der Nachbarschaft in Lastkraftwagen abtransportiert. Und die LKW kamen immer wieder. Dies ging so Tag für Tag. Es war anzunehmen, dass sie in ein Arbeitslager gebracht wurden.
Eines Nachts wurde ihr Vater krank heimgebracht und verstarb am 3. November 1939. Er liegt am jüdischen Friedhof in Wien begraben.
Danach lebten die Mutter, Herta und eine Tante in einer kleinen Wohnung. Eines Nachts brachen drei Nazis ein, durchwühlten die Wohnung und suchten nach etwas, was sie nicht verstand. Bald nach diesem Vorfall fand die Mutter eine Möglichkeit, Herta wegzuschicken. Herta kann sich nicht mehr daran erinnern, wie sie von Wien durch ganz Europa nach Lissabon gelangte und von dort nach New York City. Ein Sozialarbeiter brachte sie nach Baltimore, Maryland, zu einer Pflegefamilie.
Herta war sieben Jahre alt, als ihr die Mutter erzählte, dass sie nach Amerika geschickt wird, wo sie geschützt sei vor dem, was hier in Österreich mit den Juden passiert. Herta weiß nicht, wie es ihrer Mutter gelungen ist, mit der Hilfsorganisation »German-Jewish Children’s Aid Society« Kontakt aufzunehmen. Nach einer psychischen und körperlichen Untersuchung verließ Herta im Dezember 1940 mit einer Gruppe von acht weiteren Wiener Kindern Wien. Zwei der Kinder waren 11 Jahre alt, vier waren 13 und zwei 15 Jahre alt.
Ihrer Mutter wurde die Ausreise nicht erlaubt, da die Einwanderungsbehörde Amerikas sehr streng war. Die Mutter erzählte ihr, sie wolle versuchen in ein Land zu kommen, das Kuba heißt und ein paar Tage später von dort in die USA gelangen.
Nach einigen wenigen Briefen hörte Herta aber nichts mehr von ihrer Mutter.
Erste Pflegefamilie
Herta kam zu ihrer ersten Pflegefamilie, zu Joseph und Clara Baer, die in Baltimore lebten. Herta sprach kein Englisch, aber in dieser Familie wurde Jiddisch und Deutsch gesprochen. Es ging ihr gut. Es gab noch drei jüngere Kinder. Herta besuchte die öffentliche Schule.Herta kann sich nicht mehr daran erinnern, wie die Schule in Wien gewesen ist. Es scheint so, dass sie viele Erinnerungen mit dem Zeitpunkt verloren hatte, als sie ihre Mutter verlassen musste. Sie besuchte die amerikanische Schule, hatte eine schöne Handschrift, las Deutsch und Hebräisch.
Nach sechs Monaten gebar die Pflegemutter ein weiteres Kind und die Agentur, die sie untergebracht hatte, beschloss, dass Herta deshalb zu einer anderen Pflegefamilie wechseln muss. Inzwischen hatte Herta schon gut englisch sprechen gelernt und war bestens in der Familie integriert. Außerdem lebten in der Nachbarschaft viele im Ausland geborene Menschen. Herta fühlte sich behaglich in ihrer selbstgemachten Kleidung, die sie trug.
Zweite Pflegefamilie
In der neuen Pflegefamilie, bei Harry und Mary Friedlander, in der sie nun untergebracht wurde, fühlte sich Herta schon aufgrund der fremdartigen Kleidung, die sie tragen musste, unbehaglich, weil sie so ganz anders aussah als die anderen. Obwohl ihre neue Pflegeschwester Beverly nur eineinhalb Jahre älter war, schaute sie schon viel älter aus. Sie war auf Hertas Ankunft nicht vorbereitet worden und fand, dass das Auftauchen Hertas in ihrer Familie eine außerordentliche und schreckliche Zumutung und Last sei. Herta hatte viele Schwierigkeiten in diesem neuen Leben und sie vermisste ihre andere Pflegefamilie sehr, die sie verlassen hatte müssen und wo sie sich auch geliebt gefühlt hatte. Die Pflegemutter erkrankte bald nach Hertas Ankunft an einer Reihe schwerer Krankheiten. Es war kein glückliches Heim.Das größte Problem des Heranwachsens war für sie, dass sie sich so unterschiedlich zu den anderen Kindern fühlte. Sie hatte ganz wenig Erinnerungen an Wien und sie kannte auch niemanden, der so ein Schicksal hatte wie sie oder der so war wie sie. Die Kinderhilfsagentur dachte zu dieser Zeit, dass es besser sei, keine Kinder mit einem ähnlichen Schicksal kennen zu lernen, um sich leichter in die amerikanische Gesellschaft integrieren zu können.
Sie taten sicher das Beste, das sie in der damaligen Zeit unter diesen Umständen tun konnten. Herta fühlt sich zu großem Dank verpflichtet für die Gelegenheit, die sie ihr gaben. Herta lernte gut in der Schule. Sie besuchte auch die hebräische Schule, wie die Agentur es ihrer Mutter versprochen hatte. Diese Kinderhilfe-Gesellschaft, die »Children’s Aid Society«, bezahlte alle ihre Ausgaben bis zu ihrem 18. Lebensjahr, bis sie erwachsen war. Nach dem Schulabschluss erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Danach arbeitete sie einige Jahre als Sekretärin bei einem Kinderarzt. 1952 heiratete sie den Chirurgen Arthur Baitch.
Erst in den letzten beiden Jahren wurde es möglich, mehr Informationen aus den frühen Jahren zu erhalten. Herta fand zwei der Wiener Kinder, mit denen sie die Fahrt nach Amerika gemacht hatte: Melanie Ölbaum und Stella Bengel. Sie waren damals 11 und 13 Jahre alt. In vielen Gesprächen konnten sie Hertas Erinnerungslücken auffüllen. Außerdem erfuhr sie vom Schicksal ihrer Mutter. Diese wurde am 14. September 1942 in das Todeslager Maly Trostinec, südlich von Minsk in Weißrussland, transportiert und dort am 18. September 1942 ermordet.
Trotz der verschiedensten Probleme in den frühen Jahren wurde das Leben für Herta »wunderschön«. Herta und Arthur Baitch haben zwei Söhne und eine Tochter und sieben Enkelkinder.
Herta dankt Gott für das Glück, dieses Land erreicht zu haben. Sie ist dafür unendlich dankbar.
Ich freue mich sehr, dass ich die zwei liebenswerten Menschen Herta und Arthur Baitch kennen lernen durfte. Trotz des schweren Schicksals strahlt Herta Fröhlichkeit und Optimismus aus und begegnete uns mit Offenheit. Gleichzeitig bedanke ich mich sehr herzlich, dass mir Herta das Vertrauen schenkte, ihre Lebensgeschichte niederschreiben zu dürfen.
Herta Griffel-Baitch hat nach ihrer Heimkehr geschrieben: »Es war für mich eine sehr interessante Erfahrung, zu den österreichischen Schülern zu sprechen. Sie sind Generationen nach dem Holocaust geboren. Ihre Großeltern und Eltern haben diese Jahre, falls überhaupt, nur selten erwähnt, und doch haben sie sich so sehr für meine Geschichte interessiert. Das Projekt hat es möglich gemacht, dass sich Schüler von heute und Opfer von damals von Angesicht zu Angesicht treffen und ihre Erfahrungen teilen.«