KURT
geb. 1925-08-15 |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "3808 - Einladung" erstellt.
Kurt Sonnenfeld wird 1925 in Wien geboren, wo er im Bezirk Brigittenau aufwächst. Sein Vater arbeitet in der Sozialdemokratischen Partei. Nach dem Anschluss versucht die Familie, auszuwandern, was schließlich auch gelingt. Kurt Sonnenfeld kann mit seinen Eltern über Frankreich, Spanien und Portugal nach Amerika entkommen. Dort studiert er, wird Sozialarbeiter und engagiert sich in der Jugendbetreuung. Er lebt heute in N.Y. und hat vier Kinder.
Als ehemaliger Schüler des Wasagymnasiums im 9. Wiener Bezirk war Kurt Sonnenfeld im Mai 2008 auch an seiner
früheren Schule eingeladen.
Fußballspielen gegen Deutsche in New York
Kurt Sonnenfeld wuchs in sozialdemokratischem Umfeld auf, konnte dem NS-Regime entkommen und wurde Sozialarbeiter in New York.
Meine Familie war sich ihrer jüdischen Herkunft bewusst, aber nicht religiös. Ich war vielmehr vom sozialistischen Glauben meines Vaters und seiner Kollegen sowie den Aktivitäten in der sozialdemokratischen Partei umgeben. Meine erste Erinnerung ist der Blick aus dem Wohnzimmerfenster auf den Gemeindebau auf der anderen Seite der Straße, es war dies der spätere Georg Schmiedl-Hof. Ich bin im 20. Wiener Bezirk, Brigittenau, aufgewachsen und dort in die Volksschule in der Greiseneckergasse gegangen. In der ersten Klasse fragte der Lehrer jeden in der Klasse, was sein Vater sei oder was er mache. Die Schüler haben gesagt: Tischler, Schneider, Kaufmann ... Als ich an die Reihe kam, habe ich, ohne mit der Wimper zu zucken, gesagt: »Mein Vater ist ein Sozialdemokrat«.
Meine Eltern wollten, dass ich ins Gymnasium in der Wasagasse im 9. Bezirk gehe, in der Hoffnung, dass ich dann vielleicht weniger im Dialekt sprechen würde. Außerdem arbeitete mein Vater um die Ecke des Gymnasiums in der Kolingasse als Abteilungsleiter in der Krankenkasse. Ich ging mit dem anderen Brigittenauer meiner Klasse jeden Tag zu Fuß über die Friedensbrücke zur Schule. Außer Latein, Griechisch und den anderen Gegenständen lernte ich an der Schule Violine und spielte im Schulorchester, einmal auch bei einem Elternabend sowie der Maturafeier der damaligen Oktavaner.
Ich hatte ein gutes Verhältnis zu allen Mitschülern, gleich welcher Herkunft, doch das brach nach dem 11. März 1938, der Kapitulation der österreichischen Regierung und dem darauf folgenden Anschluss an das Dritte Reich der Hitlermacht zusammen. Von diesem Zeitpunkt an, ich war gerade in der 3. Klasse, hatten sich die meisten der nicht-jüdischen Schüler von uns abgesondert und sprachen nicht mehr mit uns. Manche hatten sich auf Schimpfwörter verlegt, aber es gab auch einige wenige, die auf uns zugekommen sind und uns begrüßt haben – das hat uns natürlich gut getan.
Am 28. April wurden die nicht-jüdischen Schüler vom Wasagymnasium transferiert und zur gleichen Zeit jüdische Schüler von Gymnasien der Bezirke 13, 18 und 19 zugeschult. Im Mai wurde das Gymnasium schließlich für die Gestapo verwendet und alle Schüler in das damalige Gymnasium in der Kalvarienberggasse im 17. Bezirk verlegt. Nach dem Sommer hat es für jüdische Schüler nur noch ein einziges Gymnasium in Wien gegeben und das war das Chajes-Gymnasium, das damals im 20. Bezirk lag. Dort war aber nur Platz für etwa zwei Prozent der damaligen jüdischen Gymnasialschüler Wiens, mein Zeugnis hatte mich gerade noch hineingebracht. Bis zu unserer Emigration im Herbst 1938 bin ich zwei Wochen geblieben. Es war höchst Zeit für uns auszuwandern, denn am nächsten Morgen standen plötzlich drei Männer vor der Tür unserer verlassenen Wohnung, um meinen Vater abzuholen. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung und seiner politischen Vergangenheit war er immer gefährdet. Einer der drei Nazis war ein Hausbewohner, den wir kannten, und der hat gesagt: Dieser Vogel ist uns ausgeflogen. Meine Großeltern, die ja im selben Haus wohnten, haben das gesehen und gehört. Wir konnten nicht früher weg, weil man ja Einreisebewilligungen brauchte und die waren nicht so leicht zu bekommen. Ein Kollege meines Vaters, ein früherer Obmann der sozialistischen Arbeiterjugend, Karl Heinz, der schon in Schweden war, wollte uns zu sich holen, aber das hätte noch etwas Zeit gebraucht. Und daher wurde mit Schweizer Parteibüros abgemacht, dass meine Eltern und ich an der Schweizer Grenze erwartet würden, wo wir bei Basel über die Grenze geführt werden sollten. Aber nach einigen Tagen in Basel wurde uns gesagt, dass wir nicht in der Schweiz bleiben könnten, wir würden mit Sicherheit zurückgeschickt. So mussten wir nach Genf fahren, um den einzigen möglichen Weg aus der Schweiz zu nehmen, den illegalen Gang über die hohen Berge der französischen Grenze. Inmitten dieser hohen Alpenberge wurde es schon sehr dunkel, meine Mutter wollte ein Auto aufhalten, wovon mein Vater und ich sehr abrieten, aber dann hat sie es dennoch gemacht und das hat uns gerettet.
Das Auto hat uns zur nächsten französischen Eisenbahnstation gebracht, aber davor ist ein Gendarm gestanden. Der junge Mann im Auto hatte verstanden, dass wir keine Einreisepapiere hatten, er hat uns die Bahnkarten besorgt und dem Gendarm gesagt, er solle auf sein Auto aufpassen, um ihn von uns abzulenken. So konnten wir ungestört die Zugfahrt nach Paris antreten. In Paris ging ich in die Schule, ohne ein Wort Französisch zu können, aber mit der Zeit ging es immer besser. Wir mussten jeden Monat bei der Polizeistation, Prefecture, unsere Aufenthaltsbewilligung verlängern. Im Dezember 1938 wurde für Kinder österreichischer Sozialdemokraten im französischen Exil eine Jugengruppe gegründet, die sich zweimal pro Woche zu Diskussionen, Spielen, Ausflügen und Gesang traf und eine »Rote Falken«-Gruppe wurde. Im Sommer 1939 wurde dieser Gruppe ein mehrwöchiger Aufenthalt in einer Jugendherberge in der Nähe von Paris geboten, das tägliche Zusammensein hat die Gruppenmitglieder noch mehr verbunden. Als im September der Krieg erklärt wurde, ist diese Gruppe nicht mehr zurück nach Paris gefahren, sondern wurde vom früheren Wiener Gemeinderat und Pädagogen Ernst Papanek in ein Kinderheim einer jüdisch-französischen Hilfsorganisation gebracht. Zur gleichen Zeit wurde mein Vater – wie alle österreichischen und deutschen Männer – als sogenannter »feindlicher Ausländer« in Nordfrankreich interniert. Kurz vor dem Fall von Paris sind meine Mutter und ich so wie andere Österreicher, zumeist Sozialdemokraten, nach Montauban in Südfrankreich gefahren, da dieses Gebiet damals noch nicht besetzt war.
Nach einiger Zeit konnte sich uns mein Vater in Montauban anschließen, nachdem er im Wissen um die vorrückenden deutschen Truppen aus dem Lager geflüchtet war und gehört hatte, dass sozialdemokratische Österreicher in Montauban waren.
Wir hatten bereits vor einiger Zeit von Parteifreunden ein amerikanisches Visum erhalten. So wie wir zwei Jahre zuvor illegal über die Grenze nach Frankreich gehen mussten, mussten wir nun wieder illegal über die Grenze aus Frankreich heraus, weil wir keine Ausreisebewilligung bekommen konnten. Nach mehreren Versuchen, am Tag über die Grenze nach Spanien gehen zu dürfen, hat sich der Grenzbeamte zu mir gewandt und gesagt:
»Laufts, ich habe euch nicht gesehen«. Es folgten weitere Abenteuer in Spanien, wo uns in Barcelona ein jüdischer Gepäcksträger sehr behilflich war, Pesos zu bekommen, die notwendig waren, weil französische Francs nicht angenommen wurden. Dann weiter nach Lissabon und auf einem griechischen Dampfer namens »Nea Hellas« nach Amerika.
In New York bin ich bis zum 17. Lebensjahr in die High School gegangen. Ich habe die Ausbildung ein Jahr vor dem üblichen 18. Jahr beenden können und bin dann vier Jahre lang in ein College und danach an eine Universität für Sozialarbeit besucht, die ich mit dem »Masters degree« abgeschlossen habe. In späteren Jahren habe ich an der Columbia University mein Doktorat in »Education« gemacht. An der High School hatten wir genügend Flüchtlingsburschen, um Fußballspiele zwischen Österreichern und Deutschen veranstalten zu können. Im College hatten wir im Ess-Saal einen eigenen Wiener Tisch, an dem sich die vertriebenen Wiener getroffen haben und dann haben wir einen Klub gegründet, dessen Obmann ich war. Ich war auch Obmann der »Austrian Labor Youth«, die sich aus früheren Mitgliedern der Gruppe in Frankreich und neuen Mitgliedern zusammengesetzt hat. Ich war auch ein Mitglied der »Austro-American Youth«, die zwar progressive Ideen verfolgte, aber nicht spezifisch politisch war. Wir sind z.B. oft ins Naturfreundelager gefahren.
Als ausgebildeter Sozialarbeiter habe ich in Jugendcenters gearbeitet und war dann viele Jahre als Administrator und Ausbildungsdirektor im New Yorker Jugendamt tätig. Ich bin jetzt im Ruhestand, aber vor einigen Jahren wurde ich vom New Yorker Bürgermeister in die Jugendkommission berufen. Im Oktober 2007 erhielt ich von den Jugendämtern der Stadt sowie des Staates New York einen Lifetime Service Award. Ich habe vier Kinder, meine Frau, die auch Sozialarbeit betrieb, ist gestorben. Ich fahre oft zurück nach Wien, wo ich Cousins und deren Familien und Freunde habe und auch, um meine Wurzeln aufrecht zu erhalten, was sehr wichtig für mich ist. Ich habe auch die österreichische Staatsbürgerschaft wieder erhalten, neben der amerikanischen. Meine Großeltern, Onkeln und Tanten, die in Frankreich oder Belgien waren, haben den Holocaust nicht überlebt.