WALTER ARIE
geb. 1918-01-29 |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.
- Sophie Menasse, Studentin aus Wien,ist als Botschafterin der Erinnerung im März 2008 dem Überlebenden Walter Arie Pollak in Israel begegnet.
Die Geschichte seines Lebens
Die Lebensgeschichte von Walter Arie Pollak durch die Augen von Sophie Menasse.
Vorab möchte ich mich ganz herzlich bei Walter Pollak bedanken, dass er mir das Vertrauen entgegengebracht hat, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass es nicht leicht ist, diese schlimmen Erinnerungen wieder aufleben zu lassen; und dass es besonders viel Überwindung kostet so etwas einer fremden Person zu erzählen. Danke, dass Sie es dennoch getan haben!
Da Walter Pollak sehr anschaulich erzählt und viele Dinge wesentlich besser beschreibt, als ich es könnte, habe ich beschlossen nicht alles nachzuerzählen, was ich von ihm gehört habe, sondern ihn viel selbst reden zu lassen.
Kindheit und Jugend vor 1938
Walter Arie Pollak wurde am 29. 1. 1918 in Wien geboren. Nach Volks- und Hauptschule besuchte er noch zwei Jahre die Handelsschule und begann anschließend in einem Geschäft für Nähbedarf zu arbeiten. Später wechselte er in eine Schuhfabrik, aus der er 1938 als Jude entlassen wurde. Wie die meisten jüdischen Familien im Wien der Zwischenkriegszeit fühlten sich auch die Pollaks bis zum Anschluß Österreichs an Deutschland in erster Linie als Wiener, nicht als Juden.
Wir waren Alteingesessene Wiener, das ist das Ganze. „Drum hob i Wearn so gern...“
Sie wissen, ich hab in Gasthäusern gesungen. Ich hab nichts dafür bekommen, ich hab das für die Freude von meinem Vater gemacht. Immer. Wienerlieder.
Aber einmal hat er doch etwas dafür bekommen: Seine Bar Mitzwa wurde ihm nämlich von dem Wirten bezahlt, bei dem Walter Pollak als Kind immer gesungen hat. Und selbstverständlich auch das anschließende Schweinsbratenessen – ganz koscher! – erzählt er lachend.
Seine Familie hatte im Wiener Wurstelprater ein Haus mit zwei Geschäften, das im August 1938 arisiert wurde. Göring bestand darauf, dass der Prater „judenrein“ sein müsse. Aber das war schon nachdem Walter Pollak seinen Job in der Schuhfabrik im Frühjahr 1938 verloren hatte.
1938-1945
Im Monat März 1938 ist für mich die Welt gestorben. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Freunde wurden auf Befehl Feinde. Die Nazis waren die Herren. Wir Juden waren immer in Gefahr in einem Konzentrationslager zu enden. Nur schwere Arbeit konnte zeitweise Rettung sein.
Manche Freundschaften haben dennoch – dem Druck von außen trotzend – überlebt, ließen sich nicht auf Befehl zu Feindschaften machen.
Ein Freund von mir hat mir wirklich viel geholfen, der war SS-Mann. Er hat in der Stuwerstraße gewohnt, auch im Prater, der hat mit mir Fußball gespielt. Er hat mich gesehen, wie ich vor einem Geschäft mit „Kauft nicht beim Juden“ gestanden bin. Da ist er gekommen, hat das Schild weg genommen, mich nach Hause geführt und gesagt: „Bleib zu Haus, geh nicht weg.“ Das waren Freunde, die mir geholfen haben.
Nach seiner Entlassung aus der Schuhfabrik, arbeitete Walter Pollak vorübergehend im Straßenbau in Döbling; während seine Mutter die Immigration nach England vorbereitete.
Die Schwester ist nach England gegangen, meine Mutter nach England. Ich bin vom Straßenbau nach Haus gekommen, und es war niemand mehr da, nur mein Vater.
Ich wusste nicht, dass meine Mutter und meine Schwester nach England gegangen sind. Erst als es mir mein Vater erzählt hat. Bis ich im englischen Militär war, hab ich auch nicht gewusst, wo meine Mutter und meine Schwester sind, ich hab keine Adresse gehabt. Erst beim Militär hat man nachgefragt und hat die Adresse von meiner Mutter in London gefunden. Und von der Mutter hab ich dann erfahren, wo die Schwester ist.
Ab Juni 1938 machte Walter Pollak eine zionistisch organisierte landwirtschaftliche Umschulung in Moosbrunn.
Er war schon für einen Transport nach Theresienstadt vorgesehen, aber Bauern brauchten die Hilfe der Juden und Jüdinnen und so wurde er noch verschont.
Wir waren 80 Juden, die auf der Bahnstation in Gramatneusiedl gewartet haben. Nur weil man uns zur Zuckerrübenernte gebraucht hat, gingen wir zurück nach Moosbrunn. Also bin ich dort geblieben. Und konnte dann mit schwerer Mühe, nachdem der Krieg in Polen schon angefangen hat, Österreich verlassen. Schon im Krieg!
Gemeinsam mit vierzig anderen ist er am 12. September 1939 nach Bratislava geflüchtet.
Mit den Pässen haben wir ein Problem bekommen. Wir haben österreichische Pässe gehabt und drinnen ist gestanden „Jude“. Aber sie haben uns reingelassen. Haben uns zuerst eingesperrt, aber am nächsten Tag haben sie uns freigelassen.
Von Bratislava aus konnten sie mit drei tschechischen Donauschiffen weiter nach Sulina fahren.
Und in Sulina sind wir auf ein Lastschiff gekommen. Jeder hat einen halben Meter Platz bekommen. Ohne Klosett, ohne Waschmöglichkeit, ohne nix. Wir haben geglaubt, dass es sieben Tage dauern wird, dann werden wir in Palästina sein. Aber es hat drei Monate gedauert, am schwarzen Meer. Drei Monate sind wir in Baltschik gestanden (heute ist es Bulgarien, damals war es Rumänien), weil wir keine Bewilligung gehabt haben. Wir haben keine Visa gehabt. Wir wollten doch durch den Bosporus durchfahren um ans Mittelmeer zu kommen, aber wir haben keine Visa gehabt. Und dort sind wir gestanden. Kein Essen. Kein Trinken. Das Schiff war nicht darauf vorbereitet. Ich war damals schon in der Hagana. Und nicht nur ich, noch zwölf andere. Und wir sind in der Nacht herum gegangen und haben für Ohrringe, für Uhren, für alles mögliche, Essen gekauft.
Dann hat man uns aus Rumänien, das war damals noch nicht besetzt, hat uns die Kultusgemeinde von Rumänien Visa nach Südamerika gebracht. Und dann konnten wir den Anker heben um zu fahren. Aber bis dahin sind uns die ganzen Matrosen davongelaufen und wir haben das Schiff selber geführt. Der Kapitän ist da gewesen, den haben wir nicht runtergelassen, den haben wir mit Gewalt mitgenommen.
Und gleich auf der Insel Kos hat man auf uns geschossen – die Briten. Und sie haben das Schiff beschlagnahmt und uns mitgenommen. Haben uns mitgenommen nach – zufällig was wir gewollt haben – nach Haifa. Aber wir sind draußen vor Haifa gestanden und konnten nicht hinein. Sie wollten das Schiff nach Rumänien zurückschicken.
Was haben wir gemacht? Wir haben es demoliert. Alles haben wir zerbrochen, was gewesen ist, alles ins Wasser geworfen und sind ins Wasser gesprungen. Es war Dezember, Ende Dezember. Am 29. Dezember, sind wir in Haifa angekommen. Und erst am 12. Januar haben sie uns vom Schiff herunter gelassen. Und dann wurden wir eingesperrt. Die Tschechen sind frei gegangen, weil das noch kein Feindesland war. Die Österreicher und die Deutschen wurden eingesperrt, auf ein halbes Jahr. In Atlit, das war damals ein Gefangenenlager. Aber dort ist es uns nicht schlecht gegangen. Ohne Spaß. Wir haben es dort gut gehabt, wir haben Essen bekommen, die Juden haben uns zum Essen gebracht, zum Anziehen... Wir waren froh und glücklich, dass wir dort hingekommen sind! Warum? Weil man uns das erste Mal wieder gewaschen hat, nach drei Monaten! Wir haben frische Kleider gekriegt...
Und nachher bin ich in den Kibbuz gegangen, in Kutzat Kinneret, das ist am See. Ein schöner Kibbuz, ein alter Kibbuz.
Im März 1941 meldete sich Walter Pollak zum englischen Militär.
Warum? Weil ich in Gefahr war von den Engländern eingesperrt zu werden. Weil die mich einmal mit Waffen erwischt haben. Wir haben doch irgendwie gegen die Engländer gekämpft, um die Unabhängigkeit zu kriegen.
Also sicherheitshalber zum englischen Militär, auch auf Anraten der Hagana. Gemeinsam mit vier anderen aus dem Kibbuz.
Wir sind nach Tel Aviv gekommen und sie haben uns gefragt: „Wo wollt ihr hin?“ Zwei wollten zur Artillerie gehen, die sind hier in Israel geblieben. Und einer wollte zur Infanterie und ich bin zu denen gegangen, die ins Ausland gehen, weil ich auf jeden Fall nach Österreich kommen wollte. Ich hab immer den Plan gehabt nach Österreich zu kommen. Um zu sehen, was los ist. Also bin ich mit den Engländern gegangen.
Und zwar über Libyen nach Malta.
Dort hat man die Invasion vorbereitet. In Malta sind wir 10 Monate gewesen und dann die Invasion nach Italien. Das war der schönste Tag, den man sich vorstellen kann. Wissen Sie warum? Das Meer war blau, der Himmel war blau — und die Kriegsschiffe haben auf Italien geschossen, den ganzen Strand haben sie ihnen dort zerschossen.
Da Walter Pollak in der Hagana sehr aktiv war, vor allem in der Organisation der illegalen Einwanderung nach Israel, wurde er gleich zum Lager Ferramonte geschickt.
Und was hab ich dort erlebt? Meinen Cousin hab ich dort gefunden! Seine Frau ist in Wien geblieben und jemand hat sie dort versteckt gehalten. Ich hab sie dann in Wien gefunden, aber das war schon viel viel später. Das war schon nach dem Krieg.
Von dort ging es dann weiter an die österreichische Grenze, aber die Engländer haben nicht erlaubt, dass die jüdische Brigade nach Österreich einmarschiert, aus Angst vor Rache. Deshalb wurden sie nach Belgien und dann nach Holland geführt um dort SS und SA Leute zu suchen.
Nach Kriegsende ist Walter Pollak dann nach Wien gekommen und hat dort auch einen anderen Cousin wieder gefunden:
Er ist ein Christ geworden. Seine Mutter hat gesagt, dass er nicht der Sohn von meinem Onkel ist. Und jemand hat ihr die Unterschrift gegeben, dass es sein Sohn ist. Also ist er Nicht-Jude geworden – obwohl er beschnitten war. So hat er überlebt!
Erinnern und Vergessen
Das erste Mal wieder in Österreich zu sein war...
... schrecklich. Schrecklich. Die Leute waren nicht anders. Und jeder hat gesagt: „Ich hab doch nichts gemacht, ich hab doch nichts gewusst...“ Keiner hat gewusst, dass es Konzentrationslager gab. Keiner hat das gewusst. Wie ist das möglich? Und alle waren doch im Militär, und haben gewusst, was los ist. Jeder hat plötzlich einen jüdischen Großvater gehabt. Jeder hat abgeleugnet. Geleugnet, dass er irgendwas von dem Ganzen gewusst hat. Sie haben alle gewusst was los ist, aber keiner hat es zugeben wollen.
Erinnern ist nicht immer leicht...
Jahre später hat Walter Pollak von Israel aus an einer Bulgarienreise teilgenommen:
Das war ein organisierter Ausflug, mit Reiseführer... Und wir sind nach Warna gekommen und ich hab den Führer gebeten, ich möchte gern nach Baltschik runter fahren, das ist gleich neben Warna. Warum? In Baltschik sind wir drei Monate am schwarzen Meer gestanden, das hab ich Ihnen erzählt. Da sind wir drei Monate gestanden. Hat er gesagt: „Hör zu, das wird doch einige Zeit dauern...“ Hab ich gesagt: „Nein, ich möcht runter gehen.“ Und mit mir sind noch vier oder fünf Leute mit gegangen. Und ich komm herunter und der Fischerhafen, wo das Schiff gestanden ist, ist immer noch genauso, wie er gewesen ist. Und dort, wo ich einkaufen gegangen bin... Und ich hab einen Weinkrampf gekriegt. Eine Hysteria. Warum hab ich eine Hysteria bekommen? Ich hab an meine erste Frau denken müssen.
Das Schiff auf dem sich Walter Pollak damals befunden hatte, hatte in Warna auf ein weiteres Schiff gewartet, dass noch 700 Menschen bringen sollte; um auch diese mit nach Palästina zu nehmen.
Wir sind schon 720 Menschen auf dem Schiff in Warna gewesen, werden noch 700 Menschen auf das Schiff kommen, wird einer am anderen sein, aber es dauert doch nur kurze Zeit.
Unter diesen 700 Menschen, die noch kommen sollten, war auch Walter Pollaks erste Frau. Doch das Schiff, das sie nach Warna bringen sollte, wurde von den Engländern bombardiert.
Nicht wie sie am Schiff waren, das Schiff ist leer gestanden, bereit um sie hier her zu bringen. Da haben die Engländer das Schiff auf der Donau bombardiert.
Und so mussten sie in Jugoslawien bleiben und konnten nicht nach Warna kommen und somit auch nicht weiter nach Palästina reisen.
Sie sind dann erst viel später nach Palästina gekommen, da haben sie Zertifikate bekommen, aber da war ich schon im Militär. Und wir haben dort darauf gewartet, dass sie kommen.
– umsonst. Am Ende mussten sie alleine weiter nach Palästina fahren.
Bei der Bulgarienreise hab ich mich an das Ganze erinnert und eine Hysteria bekommen.
Es regt mich immer wieder auf. Drum wollt ich überhaupt nicht sprechen über diese ganze Zeit. Sind so viele Sachen gewesen, die man vergessen will.
... aber vergessen ist auch nicht einfach.
Wien hab ich nie vergessen.
Mit einem amüsierten Kopfschütteln sagt seine Frau Tova: „Siebzig Jahre ist er hier in Israel; und zwanzig Jahre war er nur in Österreich: Die ganze Zeit spricht er von Österreich.“
Was soll man machen. Ich hab Wien gern gehabt; aber Wien hat mich nicht gern gehabt. Was soll man machen... Aber Gott sei Dank, ich bin nicht untergegangen.
... ja, so vieles ist schön gewesen. Aber eines kann ich ihnen sagen: Was mir in Wien passiert ist...! Ich war Soldat und wir sind nach Wien gekommen und haben im Hotel Post gewohnt, am Fleischmarkt. Und plötzlich hat jemand zu uns gesagt: „Auf den hat der Hitler vergessen!“ Wir haben nichts gemacht, sonst hätten wir uns strafbar gemacht, das war russisches Besatzungsgebiet dort. Wir waren englische Soldaten, ich hab eine Tommy Gun in der Hand gehabt, aber ich hab den Mund gehalten und bin weiter gegangen. Aber das zu sagen!
Von der anderen Seite haben sie zu uns gesagt, wir haben Österreich befreit. Ich hab für das zehn Jahre für meine Pension bekommen, aus Österreich. Zehn Jahre. Weil wir fünf Jahre im englischen Militär waren, haben sie uns fünf Jahre noch dazu gegeben, weil wir Österreich befreit haben. Und der sagt, der Hitler hat auf uns vergessen!
Später war Walter Pollak gemeinsam mit seiner Frau einmal mit einem Mietauto in Kärnten unterwegs, wo sie in einer kleinen Pension abgestiegen sind.
Und er erinnert sich, dass er während des Kriegs Kärntner in Libyen getroffen hat:
Wie ich noch in Libyen war, bin ich verwundet gewesen und hab auch Malaria bekommen und war dort im Feld Hospital von den Schotten. Und plötzlich hat mich die Schwester gebeten, es sind dort zwei schwer verletzte Deutsche, ob ich ihnen übersetzen kann, von Deutsch auf Englisch. Hab ich gesagt: „Ich will nicht mit Deutschen reden.“ Ist der Oberarzt gekommen und hat gesagt: „Hör zu, die zwei sind so verletzt, dass sie nicht überleben werden. Das sind die letzten Stunden von denen. Komm, red mit ihnen.“ Bin ich hingekommen, sind das zwei Österreicher aus Kärnten. Haben sie mich gebeten einen Brief an die Mutter zu schreiben, dass sie in Gefangenschaft geraten sind und hoffen bald frei zu sein und nach Hause zu kommen. Hab ich das geschrieben. Das rote Kreuz hat es dann nach Österreich geschickt.
Und der Zufall wollte, dass er diese Geschichte nicht vergaß.
Denn Walter und Tova wollten von Kärnten aus für ein, zwei Tage mit dem Bus nach Venedig fahren und haben deshalb in der Pension gefragt, ob sie das Auto währenddessen dort stehen lassen könnten.
Bin ich zu ihr in die Wohnung gegangen und hab gefragt, ob ich das Auto da lassen kann. Und sie hat gesagt: „Lasst das Auto da und fahrt mit dem Autobus. Es gibt schöne Touren...“ Und ich schau an die Wand und seh' dort zwei Bilder, einer ein Soldat und einer ein Offizier, ein großer. Sag ich: „Wer sind denn die?“ Sagt sie: „Das sind mein Mann und mein Sohn, die sind in Libyen gefallen. Und ich schau mir das gut an und sag: „Libyen; ich war auch in Libyen.“ Sagt sie: „Die beiden haben mir so einen schönen Brief geschrieben.“ Bin ich erschrocken.
Ich könnt jetzt weinen, wegen dem.
Hab ich den Brief geschrieben und sie sagt, die sind dort gefallen. Hab ich nichts gesagt, aber sie hat wahrscheinlich verstanden. Jeden Tag hat sie mir Kaisersemmeln gebracht und an die Tür gehängt.
Ich wollte das nicht machen damals.
Aber es gibt auch schöne Erinnerungen an Österreich: Bei einer Österreichreise zum Beispiel....
... da waren wir beim Heurigen und da haben sie die ganze Zeit russische Musik gespielt. Bin ich hingegangen und hab gesagt: „Was heißt, jetzt komm ich zum Heurigen, wir wollen Heurigen-Lieder hören.“ Sagen sie, sie können das nicht. Sag ich: „Dann werd ich singen!“ Hab ich dort gesungen! Und alle waren so begeistert, dass sie gesagt haben: „Sing weiter, sing weiter!“
Das Leben geht weiter...
Aber alles ist gut gegangen, Gott sei dank! Bis heute. Viele meiner Freunde sind nicht mehr da. So ist das.
Aber zu denen, die noch da sind, hatte Walter Pollak immer Kontakt – auch zu seinen österreichischen Freunden:
Ja sicher, ich war in Wien, und da haben wir miteinander gegessen, sind zusammen ausgegangen. Ich hab immer Kontakte nach Wien gehabt. Und manche waren auch mich hier in Israel besuchen.
Nach dem Krieg ist Walter Pollak wieder in den Kibbuz gegangen und dann zu einer Transport-Kooperative.
War schwer hineinzukommen, weil ich kein Geld gehabt hab. Ich war doch im Kibbuz. Und vom Kibbuz bin ich dann hier in Tel Aviv geblieben. Ich hab nichts gehabt, musste alles erst abzahlen. Keine Wohnung, gar nichts. Und dann langsam hab ich alles gezahlt und bin Mitglied in der Kooperative geworden.
Heute ist es gut, ich hab eine schöne Pension von dort.
Von dieser Pension lebt Walter Pollak heute mit seiner Frau in Tel Aviv und hat eine große Familie in Israel ...
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
Doch endlich waren wir zufrieden, da wir nun in Palästina angekommen waren
Arie Walter Pollak erzählt uns seine Lebensgeschichte
Als die Deutsche Armee 1938 in Österreich einmarschierte, hat sich das Leben unserer Familie drastisch verändert. Davor haben wir im Prater 106 gewohnt, das Haus wurde 1860 von meinem Großvater mit zwei Geschäften und Wohnungen gebaut. Mein Vater, meine Schwester und ich sind alle in diesem Haus geboren. Wir hatten dort eine wunderschöne Jugend und sind mit Musik und Tanz aufgewachsen. Unsere Nachbarn waren Ringelspiele, Max und Moritz, Riesenschaukeln und die Geisterbahn.
Wir hatten viele Freunde, Herr Ratej war mit meinem Vater im Krieg bei der Infanterie Regiment Nr. $. Herr Ratej hatte das Gasthaus „ Zum Einsiedler“ und war der beste Freund unserer Familie. Er hat uns später, in einer Zeit, in der es verboten war, mit Mahlzeiten versorgt.
Für mich war das Leben in Wien vorbei, keine Schule, und auch in der Schuhfabrik war kein Platz mehr für Juden. Wo ich auch ging, wurde ich angepöbelt, beschimpft, angespuckt und auch geschlagen. Im April 1938 bekam ich mit noch vier anderen jungen Juden eine Arbeit, wir sollten die Straßen im Wiener Wald ausbessern. Wir waren alle fünf sehr kräftig, 20 Jahre alt, konnten arbeiten und schleifen in Zelten. Das Schlimme war halt, dass sie uns immer wieder fotografiert haben, immer wieder haben sie uns beschimpft und Fußtritte gab es auch nicht wenige.
Schließlich konnten wir im Juni 1938 endlich nach Hause fahren. Mein Vater erzählte mir, dass er so glücklich war, denn Mutter und Schwester haben es geschafft als Haushaltshilfen nach England zu gehen. Vater und ich hofften, dass auch für uns noch Hilfe kommt. Aber es kam anders. Eines Tages mussten wir das Tegetthoff-Denkmal am Praterstern mit Bürsten reinigen, viele Menschen haben zugeschaut und ich will gar nicht erwähnen, was sie uns alles zugerufen haben. Aber was dann kam war noch schlimmer: Unser Haus wurde „arisiert“ – wo sollten wir nun hin?
Vater sagte mir, ich solle zu den Zionisten gehen, da werde ich ein Dach über den Kopf haben und auch etwas zu essen bekommen. Vater hatte recht, aber an diesem Tag sah ich ihn zum letzten Mal.
Die Organisation hat mich nach Moosbrunn geschickt, dort war ich mit 70 Jungen und 30 Mädels zusammen. Im Grunde hat es mir dort sehr gefallen und wir haben auf dem Feld, im Kuhstall mit Hühnern und im Haushalt gearbeitet. Es war August 1938, wir waren zufrieden, denn der Gutsherr und die Bauern waren gut zu uns. Aber Sorgen hatten wir alle, denn wie lange würde es noch so bleiben?
Morgens, am 1.Juli 1939 kam die SA, wir sollten uns fertig machen – wir gingen zur Bahn nach Gramat-Neusiedl. Dort sahen wir zwei Waggons und unsere Begleiter sagten uns, dass wir nach Dachau gebracht werden. Wie unsere Gefühle waren, kann sich ein normaler Mensch nicht vorstellen. Aber Gott sei Dank – den Bauern und dem Gutsherrn gelang es uns zu retten, denn wir sollten weitrhin für sie die Zuckerrüben ernten. Wir waren so glücklich wieder in Moosbrunn zu sein!
Am 1.September bekamen wir 40 Jungs und 4 Mädels die Bewilligung nach Pressburg zu fahren, dort standen drei Schiffe, die deutsche Slowaken und uns über die Donau ans Schwarze Meer brachten. Dort wurden 720 Menschen auf einen kleinen Dampfer gebracht, der nicht für Menschen und schon gar nicht für so viele gebaut war. Jeder bekam einen halben Meter zugeteilt, einer lag über dem anderen. Fenster gab es keine und eine Toilette oder fließendes Wasser natürlich auch nicht. Wir hatten aber den festen Glauben in vier Tagen in Palästina zu sein.
Das Schiff brachte uns zu einem kleinen Hafen Baltschik, nahe Vama, in Bulgarien. Wir durften das Schiff jedoch nicht verlassen und mussten vom 19. September bis zum 26. September 1939 auf dem Dampfer bleiben. Alles was wir hatten, Ringe, Armbänder, Uhren oder andere Wertsachen, haben wir gegen Essen eingetauscht. Am 20. Dezember sind wir schließlich weiter durch das Marmor Meer und die Dardanellen in Richtung Haifa. Am Weg wurden wir auch noch von den Engländern gefangen genommen, die uns alle zurück schicken wollten. Nachdem wir aber alles am Schiff kaputt gemacht haben, brachten sie uns weiter nach Haifa. Unser Schiff konnten wir aber erst am 10.Jänner 1940 verlassen und wir alle, die einen deutschen Pass hatten, wurden für ein halbes Jahr in Atlif eingesperrt. Doch endlich waren wir zufrieden, da wir nun in Palästina angekommen waren.
Danach war ich für 5 Jahre in der 8. englischen Armee, ich sah Afrika, Malta und erlebte die Invasion nach Italien. 1945 kam ich schließlich als englischer Soldat nach Wien, aber keiner meiner Familie war mehr am Leben.