Die letzten Zeugen - Das Buc

KARL ROTH


 
 

KARL ROTH

geb. 1920-02-13
lebt heute in den USA


Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.

  • Martin Reichstam, 16, Schüler am BG/BRG Knittelfeld in der Steiermark, ist als Botschafter der Erinnerung in New York dem
  • Überlebenden Karl Roth, 87, begegnet, der das NS-Regime auf der Flucht im Exil überleben konnte.

Die Lebensgeschichte von Karl Roth

„A Mensch ist a Mensch“


„Kennst du das Spiel Bemmerl?- Du kennst Bemmerl net?- Kuglspün? - Das war mein Lieblingsspiel als ich ein Kind war, damals in Wien.“ Karl Roth erzählt über sein Leben. Er wurde am 13.Februar 1920 in Wien in der Springerstraße 15 geboren und verbrachte dort zusammen mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern die ersten achtzehn Jahre seines Lebens. Es war keine leichte Zeit, aber Karl Roth konnte immer wieder Freude daran finden sich mit seinen Freunden zu treffen, zu plaudern, eine Runde „Bemmerl“ mit ihnen zu spielen und einfach ein wenig Kind zu sein. Mit einer Murmel in ein Loch zu treffen, das war, was Spaß bereitete. Während seiner Jugend begann Karl Roth zu „Lernen“ und trat eine Ausbildung zum Vulkaniseur (heute: Mechaniker/in für Reifen- und Vulkanisationstechnik) in einem Wiener Betrieb an. Es galt zu lernen, Autoreifen so gut zu reparieren, dass sie wieder voll einsatzbereit waren. Als Kontrast zu diesen beruflichen Herausforderungen war an den Wochenenden angesagt, die Freunde zu treffen und Partys zu feiern, allerdings nicht in Gasthäusern, Bars etc., sondern im kleinen Rahmen in den Wohnungen der Kumpane. Trotz der schwierigen politischen Verhältnisse im Österreich der damaligen 30er Jahre und der schweren Arbeit, die Herr Roth täglich zu verrichten hatte, gab es immer wieder kleine Lichtblicke, an denen man sich erfreute; wie die guten Freunde die einem immer Beistand leisteten, wenn man sie brauchte, die Freunde, die sich einander aufrichteten in dieser harten Zeit.

Und dann kam der 12.März 1938. Hitler marschierte in Österreich ein - eine drastische Wende im Leben des Karl Roth. Gerade erst achtzehn Jahre alt, ohne Ahnung was kommen könnte, als Jude in Wien lebend, brach der dunkle Schleier des Nationalsozialismus über Österreich herein. “Ich erinnere mich, es war die Nacht von Freitag auf Samstag“, erzählt Herr Roth. Von einem Tag auf den anderen wandten sich Nachbarn und Freunde von den jüdischen Familien, so auch von der Familie Roth ab. Das Geld auf den Konten wurde gesperrt und Soldaten mit Hakenkreuzschleifen marschierten durch die von den euphorischen Wienern gesäumten Straßen. Bereits in diesen ersten Stunden lag eine sehr Unheil verheißende Stimmung in der Luft, bereits in den ersten Tagen begannen die Freveltaten der Nationalsozialisten, bereits am 14.März, am Sonntag, kamen sie. Heftiges Klopfen an der Wohnungstüre der Familie Roth. SS-Männer standen vor dem Tor - keine Deutschen, nein es waren Wiener SS-Soldaten - und nahmen alle männlichen Juden mit. Einfach so, so einfach trieben sie die Kinder und Männer das Stiegenhaus hinunter, unmenschlich und brutal, wie die Arbeit die unter anderem auch auf Karl Roth wartete. Mit Putzlappen waren die Straßen zu säubern, mit Putzlappen von zuhause und Wasser. Rote Farbe am Straßenpflaster, „Wählt die Sozialdemokraten“, rote Farbe die zu entfernen war, durch Juden, durch Unschuldige die an diesem Tag zu „Rabern“ (Reibern) deklassiert waren. Und das Volk, die Mitbürger, Nachbarn und ehemaligen Freunde jubelten. Wie weit war es in nur zwei Tagen nach dem Anschluss gekommen? Weiter als es jemals kommen hätte dürfen! Und wieder waren es Wiener, die Karl Roth zwangen, mit den Fingernägeln Aufkleber der Sozialdemokraten von den Laternenmasten am Straßenrand zu kratzen, ohne Hilfsmittel nur mit den Fingernägeln. Das Leben wurde Gefahr. Gefährlich war es, auf die Straße zu gehen und einen Judenstern zu tragen, tödlich war es, dabei erwischt zu werden den Judenstern nicht zu tragen. Essen wurde knapp, so musste sich die Familie Roth in dieser Zeit von den mitgebrachten Gulaschkanonen der Deutschen ernähren, die auf den Straßen für arme Leute ausgeschenkt wurden.

Und dann, eines Tages im Sommer wurde ein Entschluss gefasst. Karl sprach sich mit seinen Freunden ab, sprach über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, und die drei schmiedeten Fluchtpläne - allerdings schweren Herzens, denn allein der Gedanke, seine Mutter und seine an Kinderlähmung erkrankte Schwester im unberechenbaren Nazi-Österreich zurücklassen zu müssen, schmerzte in seinem Innersten, doch es blieb keine Wahl. Eines Nachts flüchtete Karl Roth mit zwei Freunden aus Wien über Klosterneuburg nach Tschechien, Mutter und Schwester blieben zurück - wurden 1941 deportiert und von den Nazis getötet. Ohne Essen und ohne Geld schlugen sich die Freunde wenige Monate in Tschechien durch, bevor sie weiter nach Ungarn flohen. Ständig begleitete sie Schmerz, Demütigung und Entbehrung auf ihrem Weg aber sie kämpften und schafften es bis nach Rumänien. Karl Roth beschloss nach Israel zu gehen und dort ein lebenswerteres Leben aufzubauen und vor allem einen lebenswerteren Ort zum Leben zu finden, denn Mitteleuropa war lebensfeindlich geworden. Konstanza war der Hafen der Hoffnung, Konstanza am Schwarzen Meer. Und eine Fähre die Arche Noah auf der Suche nach sicherem Land - ISRAEL, ohne Hab und Gut, ohne Essen nach Israel. Nur die Hoffnung führte die Herzen jener, die in dieser Nacht mit Fähre und Autobus versuchten das gelobte Land zu erreichen. Lange schon war Karl Roth mittlerweile von seinen Gefährten getrennt, da einer verhaftet wurde und der andere nicht nach Israel ging. Israel kaum gesichtet und in Tel Aviv angekommen, verhaftete die Polizei Karl Roth prompt wegen illegalen Aufenthalts, hatte er doch kein Visum für das Land, das Jahwe seinem Volk vor langer Zeit versprach. Sobald sich aber nun die Chance ergab, nahm er sein Leben in seine beiden Hände, fand Arbeit auf einer Orangenplantage und vor allem Wohnung und sein Lebensglück in Israel in seiner späteren Frau, die aus Polen emigriert war. Karl Roth blieb 22 Jahre mit seiner Frau in Israel und baute sich dort auch einen eigenen, kleinen Betrieb auf - eine Gummiartikelreparaturwerkstätte, denn er hatte nicht vergessen, welche Fähigkeiten er in seiner Lehre in Wien erworben hatte.1961 folgte Karl Roth mit seiner Frau dem Ruf seiner nach Amerika emigrierten Schwester und zog nach New York. In der Bennett Avenue (Nord-Manhatten) fand Karl Roth schließlich und endlich sein neues Zuhause. In einem Viertel, das sich heute mit einem Hauch von lateinamerikanischem Flair präsentiert, lebte Karl Roth nun seit 1961. Damals, als er sich dort niedersetzte, sprach die ganze Straße deutsch - eine kleine Gemeinde von geflohenen Österreichern und Deutschen, ein kleines Stückchen Heimat in der fremden Welt. Gegenseitig half man sich, wo man konnte und bemühte sich, den Zusammenhalt und die entstandene jüdische Gemeinschaft zu wahren. Karl Roth engagierte sich in dieser Zeit und auch in den kommenden Jahren vehement für diesen Zusammenhalt und die gegründete Gemeinschaft das „Jewish Committee”. Unter anderem unterstützte Karl Roth ein jüdisches Krankenhaus sowie auch viele Menschen die selbst, wie Karl Roth geflüchtet waren.

Und die Heimat? Die immerwährende herzliche Verbindung zu Wien hielt trotz der unmenschlichen Zeit, welche Karl Roth auf ihren Straßen durchleben musste, und so kam es, dass Karl Roth bereits 1966 wieder in seine ehemalige Heimatstadt nach Österreich reiste. Mit gemischte Gefühlen, denn die Gewissheit, dass viele Menschen, die in diesen Tagen gemeinsam mit ihm durch die Straßen Wiens schritten, noch vor zwei Jahrzehnten in jener Masse beteiligt waren, die noch am Heldenplatz am 12.März 1938 jubelten, oder beispielsweise bei den Straßenwaschaktionen in der Heidenstraße die zu Boden gezwungenen jüdischen Mitbürger beschimpften. Natürlich lag der Nationalsozialismus lange zurück, jedoch für Karl Roth schwebte noch immer ein unangenehmer Geist in der Luft der Gassen. Nichtsdestotrotz blieb dieser Besuch nicht der letzte in Wien und so folgten noch einige Reisen Karl Roths in seine noch immer geliebte Heimat, nicht zuletzt um sich auch für die Restitutionszahlungen des Staates Österreich an die Opfer des Nationalsozialismus einzusetzen. Natürlich bewirkte nicht nur diese Arbeit die vielen Aufenthalte in Europa.

Die Erinnerung baut Brücken und wie auch Karl Roth bestätigte: „Die Jugend vergisst man nie!“. Man vergisst nicht das Beuschel aus dem Bairischen Hof, das Wiener Schnitzel aus Mutters Küche, sowie auch das Bemmerlspiel mit den Freunden. Denn, die Erinnerung ist das letzte Paradies aus dem wir nicht vertrieben werden können. Auch wenn sie so viele schwere Momente mit sich bringt sind es gerade die kleinen Lichtblicke, die auf ewig diese Erinnerung aufhellen. So ist es auch im Leben des Karl Roth der Fall, dass stets das Leben mit den Erinnerungen und der Umgang mit ihnen eine große Rolle spielt. Mut zu schöpfen aus dem Erlebten und vor allem weiterhin das Leben vor die Melancholie zu stellen, denn „A Mensch is a Mensch“ und „Wir alle kommen denselben Weg und gehen denselben Weg.“

Ein Mensch ist ein Mensch- schöne Worte mit denen Herr Roth die Unterhaltung mit mir beendete. Jedoch nicht nur dieser abrundende Satz verlieh dem Gespräch mit Karl Roth unglaubliche Interessanz, sondern auch der Wiener Schmäh und die Art des Erzählens, wie sie Karl Roth betrieb brachten Schwung und gleichermaßen Humor in die gemütliche Wohnung des ehemaligen Wieners. Am Vortag zur großen Party, einer Wiener Jause, die er unbedingt für mehrere Schüler unserer Gruppe veranstalten wollte, traf ich Karl Roth zum ersten Mal. Der Zweifel, wem ich an diesem Tag begegnen würde, war durch vorherigen Telefonkontakt, bereits ein wenig aufgehoben. Trotzdem hatte ich in meinem Kopf schon so einige Ideen, welchem freundlichen Menschen ich wohl gegenüberstehen würde, bei diesem ersten Treffen. „Bist du Mister Martin?“, hörte ich Herrn Roth fragen, als er bereits im Türrahmen seiner Wohnung( im Norden Manhattens) zum vereinbarten Zeitpunkt auf mich wartete. Freundlichkeit mir gegenüber und Nostalgie gegenüber der alten, immer noch ins Herz geschlossenen Heimat, bestimmten das lockere Gespräch, das wir an diesem Nachmittag führten (- wobei auch die Begeisterung über die 1000 TV Programme Herrn Roths eine große Rolle spielte(-: ). Sogleich dehnte sich ein kleines Treffen auf einen nachmittagsfüllenden Tagespunkt aus und als ich schließlich das Haus des Herrn Roth verließ, war ich schon zum „Chinees“ (Chinesen) geworden (so nannte er mich), nachdem wir als Abendschmaus beim Chinarestaurant noch eine große Portion Reis bestellt und anschließend auch verspeist hatten. Es war schön einfach locker zu reden, es war schön, selbst aus einem lockeren Gespräch, ohne eigentlichen Interviewcharakter, Einzelheiten über Karl Roths früheres Leben in Wien erschließen zu können. Ich empfinde größten Respekt vor Herrn Roth, der seine Erlebnisse schilderte, und seien sie noch so schrecklich, mit dem Gedanken helfen zu wollen, im Bewusstsein zu helfen. Wie schwer die Erinnerung an diese Vergangenheit allerdings auf Herrn Roth wirkte, bemerkte ich erst als dieser zu mir sagte: “Mein Herz tuat mir so weh! I kann net mehr!“
Und ich blieb Chinese, bis Montag, den 16.04.07 als ich Herrn Roth die Hand zum Abschied reichte und mich somit von einer beeindruckenden Persönlichkeit und auch von einer Persönlichkeit mit beeindruckender Menschlichkeit verabschieden musste. „Es hat mich sehr gefreut mit Ihnen plaudern zu dürfen Mr. Roth!“

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