Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
"Niemand kennt das Gefühl ..."
Nina Blaskovic über ihre Begegnung mit Gerald Subak-Sharpe
Meine erste Begegnung mit Gerald fand im Museum of Jewish Heritage statt.
Wir waren gerade mit unserer Tour durch das Museum fertig, als mir Gregor, ein Wiener Schüler aus unserer Gruppe, sagte, dass mich ein gewisser Herr Gerald Subak suche.
Als ich im riesigen Saal war, wo unsere Präsentation stattfand und wo mich Gerald erwartete, wusste ich zuerst nicht, was ich jetzt überhaupt sagen sollte, wie ich mich mit ihm begrüßen sollte usw.
Doch als ich dann vor ihm stand, ging alles von selbst. Wir begrüßten uns und redeten sofort drauf los. Doch ich hatte mir die Zusammenarbeit mit den Überlebenden ganz anders vorgestellt, nicht so emotional und bewegend.
Mein Zeitzeuge ist ein Kindertransport-Überlebender. Doch was stellt man sich eigentlich vor, wenn man Kindertransport-Überlebender hört?
Vor New York hätte ich noch gesagt, es seien jüdische Kinder, die in jungen Jahren mit dem Zug entweder nach England oder Schottland gebracht worden sind. Dort haben sie eine neue Familie "bekommen", haben gearbeitet, sind in die Schule gegangen und sind in diesen beiden Fällen in die USA ausgewandert. So etwas stellt sich die Gesellschaft unter Kindertransport-Überlebende vor.
Doch niemand weiß, wie schmerzhaft zum Beispiel der Abschied zwischen den Familienmitgliedern war, oder wie liebevoll die Mutter deren Namen in die Sachen gestickt hatte, damit sie nicht verloren gingen. Niemand kennt die Geschichte, als die einzige Tochter eines Mannes, von ihm aus dem Zug wieder herausgezerrt wurde, weil er sie nicht gehen lassen wollte; weil der Schmerz so groß war, sie gehen zu lassen.
Niemand, außer dem Überlebenden selbst, kennt dieses zerreisende Gefühl, wenn man am Bahnhof steht und sich mit der klitzekleinen Hoffnung des Wiedersehens von seinen Eltern verabschiedet. Niemand kennt das Gefühl, wenn man noch als Kind, einen Brief bekommt, worin einem Bescheid gegeben wird, dass seine eigenen Eltern ermordet wurden.
Und dies sind nur wenige, der schrecklichen Situationen und Gefühle, die sehr viele Juden haben durchleben müssen; aber nicht nur Juden, sondern auch Homosexuelle, Roma, Sinti, usw.
Es bringt meiner Meinung nach nichts, einen seitenlangen Aufsatz über die Gefühle von Menschen zu reden, über die man sowieso nicht Bescheid weiß oder zumindest sich diese nicht einmal vorstellen kann. Man kann sie auch nicht nachvollziehen, denn niemand von uns, hat so etwas schon einmal durchgemacht.
Niemand kennt diese Gefühle, bis auf die Überlebenden und auch Verstorbenen selbst!
Und die Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs wünschen wirklich niemandem diese Zeit
durchgemacht zu haben.
Sie wünschen es nicht einmal ihrem schlimmsten Feind!