BIANCA GROSS(früher Wien (!))geb. 1924-02-07 lebt heute in den USA |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.
- Julian Perneczky, 17, Schüler am Gymnasium Fichtnergasse in Wien 13, ist als Botschafter der Erinnerung in New York der
- Überlebenden Bianca Gross, 83, begegnet, die nach dem Anschluss über die Schweiz in die USA fliehen konnte.
Plötzlich war die Zukunft voller Ungewissheit.
Bianca Gross wurde am 7. Februar 1924 in Wien, im Sanatorium Hera geboren. Nach zwei Jahren folgte ihre Schwester Rita. Zur dieser Zeit wohnten die beiden mit ihren Eltern in der Koellnerhofgasse 4, Wien I. Ihr Vater war Kaufmann mit der Geschäftsadresse Tuchlauben 17, Wien I.Beide Kinder hatten eine schöne Jugendzeit und besondere Erinnerungen an die Versammlungen im Stadionbad (Prater), wo sie die politischen Reden von Präsident Dollfuss, und später Kurt Schuschnigg mit jubelnden Fahnenwehen begeistert begrüßten. Sie waren im tiefsten Herzen treue Staatsbürger.
Die Familie übersiedelte in den 3. Bezirk, Beatrixgasse 14a. Bianca ging in die Volkschule in der Reisnerstraße und hat besonders schöne Erinnerungen von einer sehr lieben Lehrerin namens Bock. Nach der Volksschule wurde sie in das private Mädchen-Realgymnasium Linke Wienzeile 4 eingeschrieben, wo sie noch die vierte Klasse beenden konnte.
Ihre Jugendjahre waren schön und sorglos. Schule, Freundinnen, Eislaufen, Skifahren und Familienfeste. Doch dann, im September 1937, verstarb Biancas Vater. Er wurde nur 42 Jahre alt. Ihre Mutter war nun mit zwei jungen Töchtern, Bianca 12½ Jahre und Rita 10 Jahre, verlassen. Plötzlich war die Zukunft voller Ungewissheit.
Das Leben änderte sich grundlegend, erst recht, als Hitler im März 1938 nach Österreich kam, kaum sechs Monate nach dem Tod des Vaters.
Die Kinder wurden aus dem großen Spielplatz im Stadtpark herausgejagt und durften diesen nicht mehr betreten. Das Zusammenkommen mit Freunden war nicht möglich und in der Schule drehte sich das Gespräch – unter jüdischen Schülerinnen – meistens darüber, was man machen soll und wohin man gehen soll. Die Zukunft für sie in Österreich wurde in dieser politischen Lage jeden Tag ärger. Auf der Straße wurden sie gestoßen und gezwungen, diese zu waschen. Die Mädchen wussten nie, ob der Weg in die Schule sicher ist und ob sie wieder nach Hause kommen werden. Bekannte, die grad noch da waren, verschwanden plötzlich ohne Verständigung, sie wurden entweder eingesperrt oder konnten über die Landesgrenzen fliehen. Biancas Mutter wollten mit den beiden Töchtern weg von Wien, in der Annahme, nach kurzer Zeit wieder zurückkommen zu können. Alle Flugzeugverbindungen waren restlos ausverkauft. Die Lage war schrecklich da sie hörten, dass Leute unschuldig verhaftet und weggeschleppt werden und niemand wusste wohin.
Eines Tages verließen sie ihre schöne Wohnung mit einem kleinen Koffer. Ohne jemanden ein Wort zu sagen, fuhren sie nach München, von dort konnten sie einen Flug nach Venedig bekommen. Zu dieser Zeit war es noch möglich nach Italien zu fahren, weil Hitler und Mussolini einen Pakt geschlossen hatten. Auf dem Münchner Flughafen wurden sie in eine Kabine gebracht. Eine Frau in SS-Uniform gab den Befehl sich auszukleiden, um zu untersuchen, ob sie Geld oder wertvollen Schmuck an sich versteckt hatten – sie fand nichts, und so konnte die Familie wegfliegen. Als sie in Venedig ankamen, wartete das nächste grausame Ereignis auf sie. Das vorherige Flugzeug hatte bereits Juden an Bord. Sie alle saßen am Flugplatz und sollten sofort nach Deutschland ins KZ zurückgeschickt werden. Sie wurden zu den anderen jüdischen Flüchtlingen dazugesetzt. (Viele Jahre später erzählte ihre Mutter ihr, dass Bianca schon immer, bereits im jungen Alter, diejenige war, die für alles sorgte. Sie rief vom Flugplatz viele Botschaften an, um eine Einreisebewilligung zu erbitten. Viele Länder der Welt sagten nein. Die Schweiz gab, in letzter Minute, allen 300 jüdischen Flüchtlingen Erlaubnis in der Schweiz einen Monat zu verbringen.
Als sie in Zürich ankamen, ohne Geld, hungrig, verlassen von jedem, nahm die jüdische Gemeinde sie auf. Biancas Mutter musste in der Gemeinde arbeiten, sie und ihre Schwester wurden als Au-Pair Mädchen in einer jüdischen Schweizer Familie eingeteilt. Sie wohnten bei dieser Familie, mussten im Haushalt helfen, hatten aber die Möglichkeit in die Schule zu gehen. Bianca ging in der Früh auf ein Gymnasium und am Nachmittag in eine Fachschule, um ein Handwerk zu erlernen. Eine ihrer Lehrerinnen hatte sie ins Herz geschlossen und schlug ihr vor, die Schweiz zu verlassen, nachdem es aussah als würde Hitler auch dorthin kommen. (Die Schweizer Polizei verlangte, dass sie sich wöchentlich melden und die Aufenthaltsbewilligung erneuern). Sie lebten zu dieser Zeit ein sehr unsicheres Leben, jedoch gab es keine Möglichkeit eine Auswanderungsbewilligung in welches Land auch immer zu bekommen. Ihre Lehrerin (eine Quäkerin) schrieb einer Freundin einen Brief nach Amerika. Damals musste jemand, der eine Einwanderungserlaubnis erhalten wollte, über eine Garantieerklärung einer inländischen Person verfügen, nach der der Einreisewillige nicht dem fremden Staat zu Last falle. Diese Dame gab für Biancas verbliebene Familie die Garantie und so fuhren sie im November 1939 mit einem Autobus (sie hatten kein Geld, also bezahlte die jüdische Gemeinde für sie) über die Schweiz, Frankreich und Spanien nach Portugal, wo sie auf eine Schiff nach Amerika warteten.
Ende November kamen sie in New York an. Der Zweite Weltkrieg hatte bereits begonnen.
Ihr Leben war gesichert, Gott sei Dank. Jedoch musste Bianca in Wien ihre Großeltern, Tanten und Onkel zurücklassen. Dazu noch ihre schöne Wohnung mit allem, was sie je hatten – ihr ganzes Leben. Sie waren nun in einem vollkommen fremden Land, mit anderer Sprache, riesigen Häusern und Tausenden Menschen auf den Straßen, kurz gesagt, eine ganz andere Welt.
Als sie ankamen war niemand da, der sie begrüßte, außer einem jüdischen Hilfsverein der sie in ein Hotel brachte, ihnen Ess-Scheine gab, um in einem Gasthaus Essen zu bekommen und ihnen nach zwei Tagen eine möblierte Wohnung in Brooklyn verschaffte. Nachdem Bianca nicht von Hilfe leben wollte, ging sie illegal arbeiten – in Amerika kann man erst ab 16 arbeiten. Sie arbeitete in einer Fabrik und nähte Futter in Damen-Mäntel ein. Man bezahlte ihr $1.00 am Tag. Sie gab den ganzen Verdienst ihrer Mutter. Abends ging sie zur Schule. Die Fahrt von ihrer Wohnung zur Arbeit dauerte eine Stunde mit der U-Bahn. Da Bianca spät von der Schule nach Hause kam, war sie immer müde und schläfrig. Amerika war nicht das „goldene Land“ von dem jeder sprach, aber sie waren froh und glücklich am Leben zu sein.
Keinen ihrer Verwandten hat sie je wieder gesehen. Viele sind verschwunden und jetzt erst hören sie, wo und wie ihre Angehörigen den Tod gefunden haben. Alles was sie zurückgelassen haben ist ihr guter Name, was ihnen gehörte, verschwunden, weggenommen oder gestohlen. Bianca erinnert sich heute noch besonders gut an ihre Tante Bertha Altstadt, die jeden Feiertag mit ihnen verbrachte und hat bis heute noch immer ihre Briefe aus Wien, von den Jahren 1938, 1939 und 1940 in denen sie schrieb, dass sie noch Hoffnung hat ,der Familie nach Amerika nach zu folgen. Bianca hat erst vor kurzem erfahren, dass Tante Bertha als 81 jährige Frau aus ihrer Wohnung herausgerissen, in den 2. Bezirk in eine Sammelwohnung gebracht und schließlich in einem KZ getötet wurde.
Nach Schulende konnte Bianca einen besseren Posten bekommen und das Leben wurde finanziell leichter. Jahre später hatte sie das Glück ihren Mann kennen zu lernen, Ludwig Gross, auch ein Wiener. Er selbst war 5 Jahre lang im KZ Mauthausen und in Ebensee. Nachdem er Arzt war, wurde er in der Krankenstube im KZ eingesetzt. Sein Vater, der das kaiserliche Kreuz der österreichischen Armee hatte (eine Auszeichnung) war Häftling in Mauthausen und fand dort seinen Tod. Er ist in einem Massengrab begraben. Biancas Mann wiederholte nach der Befreiung aus dem KZ sein 4.Jahr des Medizinstudiums in Innsbruck und emmigrierte 1946 nach Amerika. Kurz darauf lernten sie sich kennen. Die selbe Vergangenheit und das selbe Schicksal brachte sie zusammen. Sie bekamen zwei Töchter und drei Enkelsöhne. Bianca unterrichtete Deutsch und Französisch an einer Hochschule in New York. Vor elf Jahren verstarb ihr Ludwig.
Heute ist Bianca Gross 83 Jahre alt, ist viel mit ihren Töchtern zusammen, lebt aber alleine und ist bis jetzt gesundheitlich, Gott sei Dank, wie man in Amerika sagt: „ok“.
Bianca Gross: „Es hört sich wie ein Märchen an, aber es war bitterer Ernst und nur jemand, der es an seinem Körper erlebt ,kann verstehen, wie wir gelitten haben und wie schwer es war, unsere Heimat und Verwandte zu verlassen und ein neues Leben anzufangen. Heute denke ich an Wien als die Stadt meiner glücklichen Jugendjahre, aber ich bin dankbar für meine neue Heimat, Amerika.“