ANNE KELEMEN(früher Kelemen)geb. 1925-02-03 lebt heute in den USA Ermordete Verwandte |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.
Hund Snobby und der Hitlerjunge
Kerstin Oberhauser, 15, Schülerin am Gymnasium Stubenbastei in Wien 1, ist als Botschafterin der Erinnerung in New York der Überlebenden Anne Kelemen, 83, begegnet, die als Kindertransportkind überleben konnte.
„Ich danke dir, dass du es gewagt hast dich in meine Vergangenheit zu vertiefen und all das Grausame, Schreckliche, Unverständliche auf deine Art miterlebt hast, dass du mich so reich beschenkt hast, dadurch, dass du du bist, ein guter anständiger Mensch der auch bewusst lebt und Gutes/das Richtige/das Gerechte tun will und tut!“Diese Worte stammen von Anne Kelemen, jene aktive Frau, die ich in New York treffen konnte. Sie schrieb mir das in einem Brief, den ich nach meinem letzten Besuch bei ihr erhilet. Ich war sehr gerührt davon. Sie hat die Fähigkeit alles genau auf den Punkt zu treffen. Und so auch in diesem oben angeführten Satz.
Anne Kelemen wurde am 3.2.1925 in Wien geboren. Sie lebte in der Lindengasse 53 im siebenten Bezirk, zusammen mit ihrem Vater Sandor Kelemen, geboren am 2.11.1877, ihrer Mutter Käthe Kelemen, geborene Popper, zur Welt gekommen am 30.1.1896, und ihrer Schwester Eva Renate, die am 27.11.1919 geboren wurde. Die Familie war wohlhabend. Der Vater führte ein Seidenwarengeschäft, und obwohl in Österreich zur damaligen Zeit große Arbeitslosigkeit herrschte, versuchte er das Niveau zu Hause aufrecht zu halten: Die Kinder gingen ins Dianabad, spielten mit anderen Kindern, am Wochenende ging man entweder in den Wienerwald oder auf den Ring um spazieren zu gehen. Die Familie selbst hatte auch eine Dienstmädchen, Poldi, die die Kinder sehr mochten, und einen Hund namens Snobby.
Ein sehr wichtiges Detail gibt es allerdings noch. Anne, ihre Schwester und ihre Eltern waren zwar jüdisch, aber nicht religiös oder fromm. Sie gingen nie in die Synagoge und befassten sich auch nicht mit dem Thema Judentum. Das war auch der Grund, warum Anne anfangs nicht verstand, warum gerade jüdische Kinder aus den Schulen ausgeschlossen und schikaniert wurden.
Das Leben der Kelemens änderte sich, wie viele andere auch, sehr rasch durch den Anschluss an Deutschland unter Hitler. Sie wurde plötzlich darauf aufmerksam gemacht möglichst unauffällig zu sein. Anne durfte sich nicht mehr oft auf den Straßen aufhalten, und das Schlimmste war für sie, dass sie auf einmal keine Freunde mehr hatte, weil deren Eltern sagten, dass ihre Kinder nichts mehr mit Juden zu tun haben dürfen.
Den ersten „richtigen“ Schock hatte sie, als ihr Hund Snobby von den Nationalsozialisten umgebracht wurde. Grund dafür war, dass er sein Geschäft an einem Bein eines Jugendlichen der Hitlerjugend machte.
Kurz nach dem Anschluss verließ Eva, Annes Schwester, die Stadt Wien, um mit einem Visa nach England zu kommen. Dort arbeitete sie als Dienstmädchen bei einem zur Ruhe gegangenen Offizier. Das ist deshalb wichtig, weil es Anne wahrscheinlich ohne Evas Hilfe nicht aus Wien fliehen hätte können. Denn den Eltern wurde bewusst, dass es ein zu hohes Risiko für ihre Tochter sei, weiterhin in Wien zu bleiben. Darum baten sie Eva in England einen Sponsor für Anne zu finden, um diese mit dem Kindertransport in Sicherheit zu bringen. Dies geschah auch. Durch die Unterschrift eines Herrn Eichmann verabschiedete sich Anne am 13. Mai 1939 am Westbahnhof von ihren Eltern. Was sie damals noch nicht wusste: Es war das letzte Mal, dass sie diese sah. Als mir Anne davon erzählte, hat es mir unheimlich weh getan. Anne war damals 14 Jahre alt. Fast so alt wie mein kleiner Bruder jetzt. Sie hat jetzt fast gar nichts von ihren Eltern, außer ein paar Erinnerungen an sie, noch bevor die grausame Zeit unter Hitler begann.
Nach einer langen Reise mit dem Zug kam Anne bei der Liverpool Station in London an. Mit einem kleinen Koffer und einem Schild um den Hals warteten tausende Kinder auf jemanden, der sie abholt. Diese Situation beschreibt Anne mit der Metapher eines Viehmarktes. Umherstehende Menschen konnten sich Mädchen und Buben aussuchen und anschließend bei sich zu Hause unterbringen. Anne musste lange warten. Dann sah sie ihre Schwester, die auf sie zu gerannt kam. Von ihr wurde sie in einen Zug gesetzt, nachdem sie zusammen mit der U-Bahn gefahren sind und einige Rolltreppen, die das Schlimmste für das kleine Mädchen waren, passiert hatten. Mit dem Zug ging es dann weiter nach Swanage, Dorset. Dort lebte Anne im „Lansdowne House Boarding School“, einem Internat. Dieses wurde ihr Zuhause bis zum Jahre 1941. Nach ihrem Abschluss (mit Auszeichnung), der den Eltern wichtig wahr, bekam sie das „Cambridge School Certificate“.
Trotz vielem Heimweh ging es Anne in England den Umständen entsprechend gut. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt hatte sie auch noch Briefkontakt mit ihren Eltern. Doch dann brach dieser plötzlich ab. Denn die Eltern wurden von den Nazis in ein anderes Haus gebracht - dem „Vienna’s Jewish Ghetto House“. Dort lebten sie mit vier anderen Familien in einer winzigen Wohnung, die sie mit Laken trennten, um einen gewissen Bereich für sich zu haben. Dieses Bild vor sich zu haben, von den Eltern in diesem kleinen Raum, war/ist für Anne ein sehr trauriges und schreckliches.
In dieser „Wohnung“ in der Porzellangasse blieben Mutter und Vater jedoch nicht lange. Die Eltern wurden am 19. April 1942 mit einem „Transport in den Osten“ in ein so genanntes Umschlagslager gebracht. Das befand sich in Izbica, bei Lubin, in Polen. Das war ein Zwischenlager, denn die Nazis warteten „nur“ darauf, dass die Öfen im Vernichtungslager Belzec frei waren. Dort verloren auch Annes Eltern ihr Leben. Wie Anne jetzt weiß, gab es keine Überlebenden aus diesem Lager.
Was konkret im Krieg geschah erfuhr Anne erst durch ihre Arbeit mit Kindern, die aus den Konzentrationslagern kamen. Eines Tages wollte sie diese Mädchen und Buben in den Waschraum bringen, zu den Duschen. Als diese aber die Brausen sahen, bekamen sie es mit der Angst zu tun, und so sperrten sie Anne in den Duschen ein. Abends, als die Kinder weinten, schluchzten, und von den Gräueltaten der Nazis erzählten, begriff Anne erst, was im Krieg, und vor allem mit ihren Eltern, wirklich geschah.
Nachdem Anne für einige Zeit in Israel lebte, zog sie nach New York. Sie baute dort einige Hilfswerke auf, die sich darauf konzentrierten alte und junge Menschen zusammen zu bringen. Sie lebt noch heute dort, in einer kleinen Wohnung, gemeinsam mit ihren zwei entzückenden Katzen, die sie über alles liebt. Familie hat sie jedoch keine.
Anne war in der Zwischenzeit schon öfter in Wien. Anfangs wollte sie nicht. Doch dann wurde sie von der Filmemacherin Käthe Kratz in Annes Heimatstadt eingeladen, und sie nahm an einem Projekt teil, das auf jene Menschen aufmerksam machen sollte, die den Holocaust überlebten. Seit dem hat Anne eine gute Beziehung zu Österreich und Wien.
Ich selbst bin überglücklich Anne Kelemen kennen gelernt zu haben. Sie ist ein ehrlicher, höflicher, lebensfroher, aktiver und intelligenter Mensch. Sie interessiert sich, wissend, was im 2. Weltkrieg geschah, für ihre Religion. Auch wenn sie das Judentum nicht richtig praktiziert, so weiß sie doch sehr viel darüber. Ein Rabbi sagte einmal zu ihr: „Entweder du bist jüdisch oder nicht. Wenn du dich dafür entscheidest, wirst du bald genug wissen, über alles, was du dazu wissen musst.“
Ich möchte all jenen danken, die es möglich machten mich und Anne zusammen zu bringen. Denn die gemeinsame Zeit mit ihr möchte ich unter keinen Umständen missen. Und der Briefkontakt zu ihr wird auf jeden Fall auch nicht beendet.