Die letzten Zeugen - Das Buc

TRUDE KATZ


 
 

TRUDE KATZ

geb. 1923-01-01
lebt heute in den USA


Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.

Barbara Foglar-Deinhardstein, 25, Studentin in Wien, ist als Botschafter der Erinnerung in New York der Überlebenden Trude Katz, 84, begegnet, die im März 1939 mit einem Kindertransport Wien verlassen musste.

"Man soll mit jungen Leuten über schöne Dinge sprechen"

Barbara Foglar-Deinhardstein berichtet über ihre Eindrücke nach dem Treffen mit Trude Katz, einer typischen New Yorkerin.

Ich muss zugeben, im ersten Moment war ich fast ein bisschen enttäuscht, da Mrs. Katz uns kaum von ihren Erinnerungen an Österreich und an ihre Kindheit erzählen wollte. Ich hätte gerne gehört, wie sie die Dinge damals erlebt und empfunden hat und wie sie die Ereignisse aus heutiger Sicht beurteilt. Die vielen Gespräche in der letzten Woche mit NS Überlebenden haben mich stark beeindruckt und auch bereichert, da man von der Kraft und Stärke, die von diesen Menschen ausgeht, so einiges lernen kann. Ich weiß, dass meine Enttäuschung eigentlich sehr egoistisch war, denn wie kann man erwarten und davon ausgehen, dass sich jeder, der den Holocaust miterleben musste und aus Österreich vertrieben wurde, an diese Zeit zurückerinnern will. Die meisten Menschen, die wir in New York getroffen haben, schienen sich darüber zu freuen, sich in Gedanken noch einmal an den Ort ihrer Kindheit zu begeben und wollten von uns Schülern und Studenten genau wissen, welche Dinge gleich geblieben und welche sich verändert haben. Doch Mrs. Katz wiederholte nur: „Man soll nicht über negative Dinge sprechen“ und gab mir dadurch zu verstehen, dass sie vielleicht nicht alles vergessen hat, wie sie es immer wieder betonte, sondern vieles einfach vergessen wollte. Und genau das war es, was ich in meinem Gespräch mit ihr natürlich auch akzeptieren musste und verstand.

Schon auf unserem Weg zu ihrer Wohnung wurde uns Mrs. Katz als typische New Yorkerin beschrieben. Und auf meine spätere Frage hin, ob sie sich noch als Österreicherin fühle, schüttelte sie nur den Kopf. Sie war nach ihrer Flucht auch nur ein einziges Mal wieder in Wien, gemeinsam mit ihrem Mann an ihrem 75. Geburtstag. Heute ist Mrs. Katz 84 Jahre alt, ihr Mann ist vor einigen Jahren gestorben und sie lebt nun alleine in ihrer Wohnung in Washington Heights. Als sie uns die Tür öffnete, sah ich eine relativ große und vitale ältere Frau vor mir. Ihre Wohnung wirkte dunkel, die Küche und das Vorzimmer sehr unaufgeräumt. Da Mrs. Katz nun seit einigen Jahren fast blind ist, fällt es ihr schwer, die Zimmer ordentlich zu halten. Trotz ihrer schlechten Augen brachte sie uns selbst Saft und Kekse aus der Küche und bat uns schließlich auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz zu nehmen, obwohl wir uns bereits gesetzt hatten. Da sie nur mehr Umrisse erkennen kann, hatte sie das nicht bemerkt.

Auf dem Regal vor uns standen einige Bilder ihrer Kinder und Enkelkinder und etwa 20 Pokale, die sie bei verschiedenen Tennismatches gewonnen hatte. Sowohl die Fotografien als auch die Pokale kann Mrs. Katz nicht mehr genau sehen. Trotzdem versuchte sie und jedes einzelne Bild zu erklären und zeigte uns auch Bilder ihrer Eltern und Großeltern. Wir unterhielten uns auf Englisch, Deutsch zu sprechen habe sie nach ihrer Flucht schnell verlernt. Sie erzählte uns, dass sie als Einzelkind in Wien geboren wurde. Gemeinsam mit ihren Eltern wohnte sie in der Werdertorgasse im 1. Bezirk und besuchte die Schwarzwaldschule, die während der NS-Zeit geschlossen und danach nicht mehr geöffnet wurde. Ihre Erzählung blieb dabei sehr sachlich, sie schilderte weder positive noch negative Erinnerungen an ihre Kindheit in Wien und wich bei Fragen danach eher aus. Mrs. Katz konnte die Schule nur bis zur 5.Klasse besuchen. Im März 1939 musste sie im Alter von 16 Jahren mit einem der Kindertransportzüge Wien verlassen. Kurz zuvor wurde ihr Vater in ihrer Wohnung aufgesucht und als Jude verhaftet. Nach seiner Freilassung einige Tage danach war ihm klar, dass er und seine Familie nicht länger in Wien bleiben konnten. Mrs. Katz wurde daraufhin mit einem der nächsten Kindertransporte nach London gebracht, wo sie für einige Monate mit einer jüdischen Familie lebte. Da sie in der Schule schon ein wenig Englisch gelernt hatte, hatte sie es ihrer Ansicht nach zu Beginn etwas leichter als viele andere österreichische Kinder. Auf meine Frage, wie sie diese schwere Zeit damals empfunden hatte, wollte sie nicht näher eingehen. Sie könne sich an vieles nicht mehr erinnern, meinte sie. Doch habe die Familie in London sie auf jeden Fall nicht gut behandelt, mehr wolle sie dazu nicht sagen. „They gave their animals better food than me“, flüsterte sie nur.

Sie wusste bald, dass sie nicht länger bei der Familie bleiben wollte und verließ sie schließlich nach einigen Wochen. Auf meine erstaunte Frage, wohin sie denn ging, zuckte sie nur mit den Schultern und meinte, eine Schulfreundin habe ihr etwas organisiert. Sie wusste zu dem Zeitpunkt schon, dass ihre Mutter ebenfalls versuchte nach London zu kommen, wollte aber nicht länger bei der Familie auf sie warten. Ihrer Mutter gelang es tatsächlich drei Monate nach ihrer eigenen Ankunft nach London zu fliehen und ihre Tochter dort zu treffen. Gemeinsam reisten sie schließlich im Juli 1940 nach New York. Sie habe Glück gehabt, meinte Mrs. Katz, da sie die Möglichkeit hatte vor Kriegsbeginn aus Österreich zu fliehen und vor dem Fallen der Bomben London zu verlassen. Und sie habe Glück gehabt, weil ihr Vater und ihre Mutter überlebten und es allen dreien gelang in die USA einzureisen. Ihr sei dadurch vieles erspart geblieben, was andere miterleben mussten.
Ihr Vater floh noch im März 1939 aus Wien nach Italien, von wo er jedoch keine Möglichkeit hatte nach London zu kommen, da Italien und England zu dem Zeitpunkt schon in den Krieg eingetreten waren. Er musste daher bis zum Kriegsende in Italien versteckt bleiben und konnte erst danach in die USA einreisen.


Bis zu ihrer Hochzeit im Jahr 1953 lebte Mrs. Katz gemeinsam mit ihren Eltern in einer Wohnung in New York. Sie besuchte keine Schule mehr, da es zu der Zeit wichtiger für sie und ihre Familie war Geld zu verdienen. Ihre Vergangenheit – die Zeit in Österreich und ihre Flucht – war innerhalb der Familie kein Gesprächsthema mehr. Jeder blickte nach vorne und versuchte so gut es ging ein neues Leben zu beginnen. Keiner wollte sich an die traurigen und unangenehmen Dinge erinnern, die ihnen widerfahren sind. Ihr Vater erzählte seiner Tochter nie, wie er seine Zeit im Versteck in Italien verbracht hatte. Ihre Eltern reisten kein einziges Mal mehr zurück nach Österreich.

Mrs. Katz fühlte sich bald in New York zu Hause. Sie hatte schnell gelernt fließend Englisch zu sprechen und hatte amerikanische Freunde. Viele Jahre später habe sie gehört, dass in New York immer wieder Veranstaltungen stattfinden, bei denen sich frühere Kindertransportkinder treffen und gegenseitig austauschen. Doch zu dem Zeitpunkt war sie schon verheiratet und hatte andere Interessen, erklärte sie lächelnd. Ihren Mann lernte Mrs. Katz am Tennisplatz kennen. Immer schon sehr sportlich veranlagt, lernte sie mit 20 Jahren noch Tennis zu spielen und traf sich mit Freunden auf den Tennisplätzen im Central Park. Scheinbar spielte sie bald sehr gut, da sie, als drei jungen Männern der vierte Partner fehlte, gefragt wurde, ob sie nicht als Ersatz einspringen würde. Einer der Männer schien zunächst gar nicht damit einverstanden zu sein, dass sie nun mit einem Mädchen spielen sollten. „But he soon changed his mind“, lachte Mrs. Katz und zwinkerte mir zu, denn genau diesen jungen Mann heiratete sie bald darauf.

Mittlerweile kann Mrs. Katz nicht mehr Tennis spielen, doch geht sie immer noch fünf Mal in der Woche für eineinhalb Stunden schwimmen. Obwohl sie kaum mehr sehen kann, macht sie sich eigenständig um 6 in der Früh auf den Weg zur Busstation einige Minuten von ihrer Wohnung entfernt und fährt 40 Minuten zu ihrem Bad. Es ist nicht zu übersehen, wie schwer es Mrs. Katz fällt durch ihre Blindheit so stark eingeschränkt zu sein. Eine so tatkräftig und selbstständig wirkende Frau wird plötzlich abhängig von anderen, weil sie die Dinge alleine nicht mehr schafft. Aber nicht aufgrund ihrer körperlichen Verfassung, Mrs. Katz wirkt so gesund und aktiv wie sonst nur wenige 84-jährige Frauen, sondern nur aufgrund ihrer schwachen Augen. Trotzdem gibt sie nicht auf und versucht ihren Alltag so eigenständig wie möglich zu gestalten, was mich stark beeindruckt hat. Sie erklärte mir genau die Wege zum Supermarkt und zur Bushaltestelle, die sie sich eingeprägt hat um sie alleine gehen zu können. Als sie von ihrer Blindheit zu sprechen begann, kamen Mrs. Katz beinahe die Tränen. Denn es sind die gegenwärtigen Dinge, die sie heute belasten und nicht Vergangenes.

Sie selbst beschreibt sich als eine der Glücklichen, da ihr und ihren Eltern so vieles erspart geblieben ist, was andere durchleben mussten. Trotzdem will sie nicht an ihre Kindheit zurückdenken und auch ihren Kindern und Enkelkindern nichts von Österreich erzählen, obwohl diese sie immer wieder dazu drängen. „Man soll mit jungen Leuten über schöne Dinge sprechen“, sagt sie und fragt mich ob ich Tennis spielen kann.
Die Begegnung mit Mrs. Katz hat mir wieder gezeigt, wie unterschiedlich die Menschen mit ihren Erfahrungen umgehen und wie einseitig mein Eindruck gewesen wäre, hätte ich in New York nur Menschen getroffen, die immer wieder an ihre Kindheit in Österreich zurückdenken und sowohl ihre positiven als auch ihre negativen Erinnerungen mit uns Schülern und Studenten teilen wollen. Mrs. Katz fühlt sich als Amerikanerin und lebt ihr Leben als New Yorkerin. Ihre Kindheit in Österreich scheint sie schnell nach ihrer Ankunft in den USA hinter sich gelassen zu haben. Doch ihre Erfahrungen haben sie vielleicht zu der starken und eigenständigen Person gemacht, die ich getroffen habe.

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