Die letzten Zeugen - Das Buc

KURT GOLDBERGER


 
 

Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Berührende Begegnung in New York

Dieser Bericht von Lilly Maier ist im KURIER vom 30. April 2007 erschienen.

Kurt Goldberger ist im August 1925 in Wien geboren. Er war 14 Jahre alt, als er Juli 1939 mit einem Kindertransport nach England kam. Seine Eltern haben beide überlebt.
Johanna Trescher wurde im Mai 1933 als Hanna Trescher in Wien geboren. Schon fünf Jahre später verließ sie Österreich für immer. Ihre Mutter und ihr Großvater kamen mit, ihr Vater (ein Nichtjude) blieb in Wien.
Heute leben sie beide in Amerika und dort habe ich sie auch kennen gelernt.

Vom 10.-17. April war ich im Zuge des Projektes „A Letter To The Stars - Botschafter der Erinnerung“ in New York und hatte dort die Möglichkeit und die Ehre, Holocaust-Überlebende zu treffen, mit ihnen zu reden und mir von ihnen ihre Lebensgeschichten erzählen zu lassen.

Anfangs haben sie mir noch einfach Fakten erzählt: wo sie gewohnt haben, wo sie zur Schule gegangen sind, wie sie aus Österreich geflüchtet sind. Ziemlich schnell wurden die Gespräche aber viel persönlicher und sie haben angefangen, wirklich „Geschichten“ zu erzählen. Ganz einfach weil ein Leben aus viel mehr, als nur aus Daten und Adressen besteht.

Eigentlich müsste ich also so anfangen: Kurt Goldberger ist im August 1925 in Wien geboren. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, (verbotenerweise) am Kai Fußball zu spielen. Johanna Trescher wurde im Mai 1933 in der Nähe des Stadtparks geboren. Ihr Lieblingsspielzeug war ein Teddybär, den sie, weil er so alt und dreckig war, in Wien zurücklassen musste. Sie hat zwar noch in Wien einen neuen Teddy und später in New York sogar eine richtige amerikanische Puppe bekommen, aber sie konnte sich nicht wirklich darüber freuen, weil sie einfach nur ihren alten Teddy haben wollte. Ich habe richtig gemerkt, wie wichtig ihr das damals (und auch noch heute) ist und ich bin sehr froh, dass ich sie treffen konnte und sie mir das alles erzählt hat. Sie hat mir auch gleich den „neuen“ Teddy gezeigt, den sie trotz allem seit 70 Jahren aufgehoben hat.

Eine andere berührende Geschichte von Frau Trescher ist die Ankunft der Gruppe von österreichischen Juden mit dem Schiff in Amerika. Als sie die Freiheitsstatue sahen, waren alle ganz aufgeregt und freuten sich, dass die Reise endlich vorbei war und sie in Sicherheit waren. Nur die damals fünfjährige HannaTrescher verstand die ganze Aufregung nicht. Einfach, weil ihr niemand die ungewohnte Situation (die Flucht, der Abschied vom Vater, ...) erklärt hatte. Jahre später entschuldigte sich ihre Mutter dafür- sie dachte, dass sie mit fünf Jahren zu jung gewesen wäre um alles zu verstehen. „Natürlich hätte ich es verstanden!“, meint hingegen Frau Trescher, und so wie ich sie und auch ihre Vergangenheit kennen gelernt habe, bin ich mir ganz sicher, dass sie Recht hat.

Auch von Kurt Goldberger, meinem anderen Kontakt, habe ich mehr erfahren als nur bloße Daten: zum Beispiel, dass seine Mutter eine „Apfel-Strudel-Spezialistin“ war oder dass er seine Frau Margarete in einem jüdischen Jugendklub in New York kennen und lieben gelernt hat. Ganze 80 bis 90 Ehen sollen übrigens aus dem „Fellowship Club“ in New York hervorgegangen sein.
Eine andere wundervolle Begegnung hatte ich mit jüdischen Überlebenden aus Österreich, die von der Organisation „Selfhelp“ betreut werden. „Selfhelp“ bietet verschiedene Programme an und unter anderem organisiert sie das „Wiener Kaffeehaus“, einen Kaffee und Kuchen-Nachmittag wo Wiener Musik gespielt wird. Gleich an unserem ersten Tag in New York nahmen wir mit rund 50 Überlebenden an so einer Kaffeehausrunde teil. Was mich persönlich dort am meisten beeindruckt hat, war, dass sich viele der ehemaligen Österreicher noch so gut an alles erinnern konnten. Sie fragten uns sofort über alle möglichen Plätze aus oder welche „richtigen“ Kaffeehäuser aus der Vorkriegszeit noch existieren. Und sie kannten sich teilweise sogar besser in Wien aus als ich! Noch genauer erinnerten sie sich aber an die Wiener Musik, wirklich jede und jeder mit dem ich gesprochen habe, konnte mir sagen, welches Lied gerade gespielt wurde und von wem es stammt. Sie fingen sogar an die Lieder zu singen, obwohl die Musiker dort nur die Musik (ohne Gesang) spielten! Gegen Ende habe ich sogar mit meinem Tischnachbarn, einem ehemaligen Frankfurter, Walzer getanzt - und als ich mich von ihm verabschiedete und ihn (auf die Wange) küsste, sagte er ganz gerührt zu mir: „I´ve got an Austrian kiss! I´ll never forget this moment.“

Und genau wie er bin ich mir ganz sicher, dass ich diesen Moment, diese ganze Reise, nie vergessen werde. Ich habe in der Woche zwar nicht viel von New York gesehen, aber ich finde das überhaupt nicht schlimm. Viel wichtiger waren für mich die Gespräche, die ich mit vielen Holocaust-Überlebenden geführt habe, die Geschichten die sie mir erzählt haben. Am Ende des „Wiener Kaffeehauses“ sagte eine der Organisatorinnen zu mir: „Es ist das erste Mal, dass keiner gehen will und ich mache das jetzt schon seit so vielen Jahren“.

Ich wollte auch nicht gehen.

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