Die letzten Zeugen - Das Buc

ERNST NEUMANN


 
 

Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Unser Besuch in Wien

Ernst Neumann über seine Eindrücke nach der Reise nach Österreich im Mai 2008, der Gedenkveranstaltung am Wiener Heldenplatz und dem Besuch seiner ehemaligen Schule in Wien.

Am Heldenplatz hatten wir einen fantastischen Empfang, vor allem von unseren Schülern und Lehrern. Wir bekamen vorbereitete nummerierte Sitzplätze, es gab Erfrischungen und dann kam ein sehr gutes und gut vorbereitetes Programm mit vielen Reden von Prominenten und von verschiedenen Zeitzeugen aus aller Welt. Sehr viele von ihnen, besonders die Amerikaner, sprachen in Englisch, denn sie konnten kein Deutsch mehr oder haben es nie gelernt. Jedenfalls, ich war von den Vorführungen und von der Organisation besonders beeindruckt. Vor allem als der Bundespräsident erwähnte, dass dies vor 70 Jahren nicht möglich gewesen wäre. Ich habe mich daran erinnert, dass bei der Feier 50 Jahre Republik Österreich, der Wiener Kardinal auch betonte: „Wisst ihr, vor 50 Jahren seid ihr auch hier gestanden und habt ‚Heil Hitler’ gerufen.“ Ich erinnere mich noch, dass vor ca. 12 Jahren, als wir an einem Wahltag in Wien waren, auf der Ringstraße mit „Heil Hitler“ begrüßt wurden. Ich musste meine ganze Energie aufwenden, um nicht zuzuschlagen. Gardy hat gesagt, sie will nie wieder nach Wien kommen und es dauerte noch eine ganze Weile, sie dazu zu überreden doch noch nach Wien zu fahren.

Ich möchte hier noch eine andere Anekdote beschreiben, die ein besseres Licht auf die Wiener wirft. Wir waren eines Abends im Esterhazy Keller und fuhren mit einem Taxi ins Hotel zurück. Unterwegs fiel uns ein, dass wir eine Tasche im Keller vergessen hatten. Also zurück zum Keller, Gardy wartete im Taxi und ich ging die Tasche holen, welche natürlich noch immer dort war, wo wir sie gelassen hatten. Gardy kam mit dem Taxler ins Gespräch und er erzählte uns von seiner Zeit mit den Nazis. Natürlich war sein Vater in der Partei, so wie eben alle und auch er war bei der Hitlerjugend und allen möglichen anderen Naziverbindungen. Er machte kein Hehl daraus, denn es hätte ja sowieso keiner geglaubt. Aber seine Meinung hat sich in der Zwischenzeit geändert und heute versteht er, dass es eine schreckliche Zeit war. Die ganze Unterhaltung dauerte ca. eine halbe Stunde und soweit es möglich war, versuchte ich die Unterhaltung abzubrechen, denn der Taxometer lief ja. Als ich fragte, was ich ihm schulde, bekam ich eine sehr überraschende Antwort: „Nichts. Heute sind Sie mein Gast.“ Es tut gut, auch mal so eine Geschichte zu hören, die ganz natürlich heraus kam. Sie hat zwar nichts mit unserem Aufenthalt in Wien zu tun, doch kann sie unsere Einstellung zu Wien und Österreich in ein anderes Licht bringen.

Zurück zu den Schülern: Gardy bekam einen ganz reizenden Empfang. Alle Schüler begrüßten sie mit einer wunderschönen Rose und einem Empfangsspruch. Sie bekam 30 herrliche Rosen, die unser Hotelzimmer für die gesamte Zeit schmückten.

Am 6.Mai hatte ich mein erstes Zusammentreffen mit den Schülern. Mein Sohn, seine Frau und ich fuhren mit dem Taxi in die Handelsakademie am Hammerlingplatz. Dort erwarteten uns 2 Schüler, die uns in die Schule führten. Man zeigte und sie ganze Schule mit allen Neuerungen, doch erkannte ich immer noch dieselbe Schule, in der ich gelernt hatte. Ich habe noch sehr gute Erinnerungen an diese Zeit, denn ich hatte sehr gute Lehrer und es blieb eine ganze Menge von dem Gelernten hängen, was ich später im Leben noch benötigte. Es war eigentlich mein Hauptmotiv, dies den Schülern beizubringen. Dazu muss ich jetzt wieder eine kleine Anekdote vorbringen, die mich in die Handelsakademie brachte.
Mein Vater wollte immer, dass ich ein „Großkaufmann“ werden sollte. Was er sich darunter vorstellte, weiß ich nicht. Ich war Schüler im RG II und hatte einen Nachzipf in Latein. Ich ging zur Prüfung, welche ich ganz schauderhaft machte. Ich hatte ja nichts gelernt. Da rief mich der Herr Professor, Kapitän war sein Name, und fragte mich: „Ernst, hast du etwas gelernt?“ Ich war aufrichtig und sagte nein. Ja, meinte ich, ich gehe nächstes Jahr in die Handelsakademie und werde Latein nie wieder gebrauchen. Er ließ mich durch und hat mir das Zeugnis nicht versaut. Aber der Punkt war, und das habe ich auch versucht den Schülern zu erklären, dass ich mein ganzes Leben lang das gelernte Latein immer wieder benutzt habe. Und das versuchte ich den Schülern beizubringen: Alles, was ihr in der Schule lernt, auch wenn ihr glaubt, es sei ganz unnötiges Zeug, werdet ihr im Leben irgendwann einmal benötigen. Und glaubt mir4, ich spreche hier aus Erfahrung. Ob es mir gelungen ist? Ich hoffe. Dann wäre mein Auftreten vor der Klasse als großer Erfolg zu bezeichnen.
Mein Vortrag von 2 Stunden war glaube ich für die Schüler sehr interessant. Meine Lebensgeschichte hat sie nicht so sehr interessiert, aber unser China Aufenthalt war besonders interessant für sie. Ich kann das verstehen, denn auch ich hätte so gedacht.

Und dann bekam ich eine Überraschung: Man brachte mir alle meine Zeugnisse, den Stundenplan, den Sitzplan, die Kommentare der Lehrer, kurz alles, was für mich interessant sein könnte. Und dann bekamen wir ein Buch vorgelegt, welches mit der Gründung der Handelsakademie von Kaiser Franz-Josef gezeichnet wurde. Und auch wir durften uns darin verewigen. Demgegenüber war mein Geschenk an die Handelsakademie viel weniger bedeutsam. Ich brachte ein Schulheft von mir mit, welches ich Frau Prof. Saathen-Weiß übergab. Ich war wohl der einzige Schüler, der die Erlaubnis hatte das Heft mit der Schreibmaschine zu schreiben. Meine Handschrift war und ist unleserlich. Also, wie gesagt, das Heft war wie ein ganz fantastisches Lehrbuch gemacht und ich zweifle, dass so ein Heft noch einmal existiert. Frau Saathne-Weiß wollte das Heft in irgendeinem Museum ausstellen. Ich weiß derzeit nicht, was daraus geworden ist.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass unser Besuch in Wien ein herrliches Erlebnis war, welches ich nicht missen möchte. Das Publikum in Wien ist heute viel mehr kosmopolitisch eingestellt, was wahrscheinlich auf die vielen Neueinwanderer aus den Ost-Staaten zurückzuführen ist. Die Wiener haben anscheinend erkannt, dass es auch andere Arten von Menschen gibt, die nicht schlechter oder besser sind als sie selber. Eben Menschen. Doch scheint es, dass sich dieses Denken nicht in der Provinz eingebürgert hat. Die Erkenntnis dazu hat sich anscheinend in den Wahlen ausgedrückt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Jedenfalls ist es schön zu wissen, dass es noch Leute gibt, die sich bemühen die Welt zu verbessern – SCHWIERIG!

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