Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
Unser Besuch in Wien
Ernst Neumann über seine Eindrücke nach der Reise nach Österreich im Mai 2008, der Gedenkveranstaltung am Wiener Heldenplatz und dem Besuch seiner ehemaligen Schule in Wien.

Ich möchte hier noch eine andere Anekdote beschreiben, die ein besseres Licht auf die Wiener wirft. Wir waren eines Abends im Esterhazy Keller und fuhren mit einem Taxi ins Hotel zurück. Unterwegs fiel uns ein, dass wir eine Tasche im Keller vergessen hatten. Also zurück zum Keller, Gardy wartete im Taxi und ich ging die Tasche holen, welche natürlich noch immer dort war, wo wir sie gelassen hatten. Gardy kam mit dem Taxler ins Gespräch und er erzählte uns von seiner Zeit mit den Nazis. Natürlich war sein Vater in der Partei, so wie eben alle und auch er war bei der Hitlerjugend und allen möglichen anderen Naziverbindungen. Er machte kein Hehl daraus, denn es hätte ja sowieso keiner geglaubt. Aber seine Meinung hat sich in der Zwischenzeit geändert und heute versteht er, dass es eine schreckliche Zeit war. Die ganze Unterhaltung dauerte ca. eine halbe Stunde und soweit es möglich war, versuchte ich die Unterhaltung abzubrechen, denn der Taxometer lief ja. Als ich fragte, was ich ihm schulde, bekam ich eine sehr überraschende Antwort: „Nichts. Heute sind Sie mein Gast.“ Es tut gut, auch mal so eine Geschichte zu hören, die ganz natürlich heraus kam. Sie hat zwar nichts mit unserem Aufenthalt in Wien zu tun, doch kann sie unsere Einstellung zu Wien und Österreich in ein anderes Licht bringen.
Zurück zu den Schülern: Gardy bekam einen ganz reizenden Empfang. Alle Schüler begrüßten sie mit einer wunderschönen Rose und einem Empfangsspruch. Sie bekam 30 herrliche Rosen, die unser Hotelzimmer für die gesamte Zeit schmückten.
Am 6.Mai hatte ich mein erstes Zusammentreffen mit den Schülern. Mein Sohn, seine Frau und ich fuhren mit dem Taxi in die Handelsakademie am Hammerlingplatz. Dort erwarteten uns 2 Schüler, die uns in die Schule führten. Man zeigte und sie ganze Schule mit allen Neuerungen, doch erkannte ich immer noch dieselbe Schule, in der ich gelernt hatte. Ich habe noch sehr gute Erinnerungen an diese Zeit, denn ich hatte sehr gute Lehrer und es blieb eine ganze Menge von dem Gelernten hängen, was ich später im Leben noch benötigte. Es war eigentlich mein Hauptmotiv, dies den Schülern beizubringen. Dazu muss ich jetzt wieder eine kleine Anekdote vorbringen, die mich in die Handelsakademie brachte.
Mein Vater wollte immer, dass ich ein „Großkaufmann“ werden sollte. Was er sich darunter vorstellte, weiß ich nicht. Ich war Schüler im RG II und hatte einen Nachzipf in Latein. Ich ging zur Prüfung, welche ich ganz schauderhaft machte. Ich hatte ja nichts gelernt. Da rief mich der Herr Professor, Kapitän war sein Name, und fragte mich: „Ernst, hast du etwas gelernt?“ Ich war aufrichtig und sagte nein. Ja, meinte ich, ich gehe nächstes Jahr in die Handelsakademie und werde Latein nie wieder gebrauchen. Er ließ mich durch und hat mir das Zeugnis nicht versaut. Aber der Punkt war, und das habe ich auch versucht den Schülern zu erklären, dass ich mein ganzes Leben lang das gelernte Latein immer wieder benutzt habe. Und das versuchte ich den Schülern beizubringen: Alles, was ihr in der Schule lernt, auch wenn ihr glaubt, es sei ganz unnötiges Zeug, werdet ihr im Leben irgendwann einmal benötigen. Und glaubt mir4, ich spreche hier aus Erfahrung. Ob es mir gelungen ist? Ich hoffe. Dann wäre mein Auftreten vor der Klasse als großer Erfolg zu bezeichnen.
Mein Vortrag von 2 Stunden war glaube ich für die Schüler sehr interessant. Meine Lebensgeschichte hat sie nicht so sehr interessiert, aber unser China Aufenthalt war besonders interessant für sie. Ich kann das verstehen, denn auch ich hätte so gedacht.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass unser Besuch in Wien ein herrliches Erlebnis war, welches ich nicht missen möchte. Das Publikum in Wien ist heute viel mehr kosmopolitisch eingestellt, was wahrscheinlich auf die vielen Neueinwanderer aus den Ost-Staaten zurückzuführen ist. Die Wiener haben anscheinend erkannt, dass es auch andere Arten von Menschen gibt, die nicht schlechter oder besser sind als sie selber. Eben Menschen. Doch scheint es, dass sich dieses Denken nicht in der Provinz eingebürgert hat. Die Erkenntnis dazu hat sich anscheinend in den Wahlen ausgedrückt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Jedenfalls ist es schön zu wissen, dass es noch Leute gibt, die sich bemühen die Welt zu verbessern – SCHWIERIG!