Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
Eine kleine, sehr schmutzige, lächerlich wirkende Tafel ...
Lisa Niederdorfer von der HTL Mödling schreibt über ihre Begegnung mit Eveline Gooodman-Thau.
Eveline Goodman-Thau ist eine sehr beeindruckende Person, die ich im Frühling persönlich treffen durfte. Am Tag vor unserem Gespräch war ich viel nervöser als vor einer alles entscheidenden Mathematik-Prüfung. Wenn man dabei nicht das Richtige sagt, bekommt man eben eine schlechte Note. Aber das hier war etwas ganz anderes. Wenn ich hier das Falsche sagen würde, könnte ich damit jemanden verletzen und zwischen einer schlechten Note und einem gekränkten Menschen ist doch ein großer Unterschied. Aus diesem Grund verbrachte ich den Vortag mit meiner besten Freundin, um mich mit ihr zu beraten, was ich sagen sollte bzw. was ich eigentlich anziehen sollte. Ich meine, wenn man sich mit einem Jungen trifft, zieht man etwas an, worin man verführerisch aussieht und bei Omas Geburtstag zieht man sich brav an, aber gibt es einen Dresscode, wenn man sich mit einer emigrierten Jüdin trifft, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hat? Ich entschied mich für die klassische Variante – Jeans und Bluse. Das alles war am Vortag zu entscheiden. Allerdings gab es ja auch am Tag X einige Hindernisse: Das Café finden, die Frau erkennen und dann das Richtige im richtigen Tonfall sagen. Ich überwand aber all diese Probleme und im Endeffekt saß ich auf einer weichen Sofabank in einem überteuerten Café und leise Hintergrundmusik versuchte einen gemütliche Atmosphäre zu schaffen, was auch gelang.Eveline Goodman-Thau ist kein Mensch, der einem in einer Menschenmasse auffallen würde. Sie ist eine dünne, knochige Frau mit dunkler Haut und dichtem schwarzem Haar. Ihre Augen sind dunkel und ruhig. Sie huschen nicht umher, um ja das Wichtigste zu erfassen, sondern gehen davon aus, dass die wirklich wichtigen Dingen sowieso in ihr Blickfeld geraten.
Alles in allem wirkt diese Frau wie jemand, der viel erlebt hat und der davon überzeugt ist, alles Kommende sei ein zusätzlicher Bonus im Leben und keine Notwendigkeit. Wir redeten einfach miteinander, wie zwei ganz normale Menschen eben. Sie wirkte nicht irgendwie so, als würde sie über mir stehen, wegen dem, was sie erlebt hatte. Sondern als würde sie akzeptieren, dass die Welt sich geändert hat und aus diesem Grund hatte ich auch nicht das Gefühl, dass sie versuchte, mir zu vermitteln, wie es war – damals im Zweiten Weltkrieg. Denn niemand, der Krieg nie erlebt hat, kann sich vorstellen, wie es wäre, in einem Krieg zu leben und alles hautnah mitzubekommen. Deshalb war ich ihr ziemlich dankbar, dass sie nicht krampfhaft versuchte, mir alles so verständlich wie möglich zu machen, sondern eben einfach nur erzählte, wie sie es empfunden hatte.
Eveline Goodman-Thau hatte auch einige Fotos von dieser Zeit, aber auch von heute, mitgenommen. Die alten Bilder waren teilweise vergilbt und hatten noch diesen Zackenrand, den ich schon von den Fotos meiner Oma kenne. Sie zeigten ihre Mutter, ihren Vater und auch sie selbst war des Öfteren zu sehen. Wenn man diese glückliche, lächelnde Familie sieht, kann man gar nicht glauben, dass damals die Bedingungen nicht so gut waren wie heute. Sie waren froh, überhaupt etwas zu besitzen und wahrscheinlich auch einfach nur, weil sie einander hatten und nicht getrennt worden waren.
Zum Abschluss machten wir noch einen gemeinsamen Spaziergang durch den 2. Bezirk von Wien, eine für mich bis damals vollkommen unbekannte Gegend. Sie zeigte mir das Haus, in dem sie damals gewohnt hatte (natürlich nur von außen, es ist ja jetzt wieder bewohnt) und auch noch eine kleine, sehr schmutzige, lächerlich wirkende Tafel, die an einem der Wohnhäuser in Gedenken an die ermordeten Juden angebracht worden war. Keine kleine Grünfläche mit einem Bäumchen und einer schönen Gedenktafel oder einem Marmorstein oder so etwas. Nur eine durch Wind und Wetter dunkel gewordene Tafel, die man als Fußgänger, wenn man nicht bewusst danach sucht, gar nicht bemerkte.
Wer auch immer dafür verantwortlich ist, dass die Ermordeten in ihrem Heimatbezirk keine ordentliche Gedenkstätte haben, es wäre gut sich daran zu erinnern, wie viele tausend Menschen in Wien vertrieben und ermordet wurden.
Lisa Niderdorfer, HTL Mödling