Die letzten Zeugen - Das Buc

LUCIE BENEDIKT


 
 

LUCIE BENEDIKT

geb. 1926-02-17
lebt heute in den USA


Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.

Veronika Lederer, Schülerin am BG/BRG Perchtoldsdorf, ist im April 2007 Lucie Benedikt in New York begegnet. Im Mai 2008 war Lucie Benedikt im Projekt »38/08« zu Gast an ihrer Schule in Niederösterreich sowie im BG/BRG Albertgasse in Wien.

Lucie Benedikt wird 1926 in Wien geboren. Nach der »Reichskristallnacht « im November 1938 kann sie mit ihrem Bruder auf einem Kindertransport nach England fliehen, wo sie bei Pflegeeltern lebt. Die Eltern, die in Wien bleiben mussten, erhalten ein Visum für die USA, wohin sie über Spanien emigrieren. Lucie Benedikt, die sich in England bereits eingelebt hatte, folgt den Eltern nach Amerika, wo die Familie ein neues Leben beginnt.

"Jetzt müsst ihr weitermachen"

Lucie Benedikt konnte dem NS-Regime mit 12 Jahren auf einem Kindertransport nach England entkommen und lebt heute in N.Y.

Auf meiner Reise nach New York, traf ich meine Kontaktperson Lucie Benedikt, eine sehr aktive, 81 Jahre alte Frau. Schon bei den vielen Telefonaten, die alle mindestens eine halbe Stunde dauerten, merkte ich, dass sie wie eine Ersatz-Oma für mich werden könnte. Sie bot mir sofort das Du-Wort an und jedes Mal wenn ich mit ihr telefonierte, riet sie mir, ich solle viele warme Gewänder mitnehmen und in New York selber schenkte sie mir einen Schal und einen Pullover, damit mir nicht kalt würde.

Schon vor New York habe ich ihre berührende Geschichte gehört, aber die dort neu erfahrenen Details haben mich sehr fasziniert und sogleich auch erschreckt:

Lucie Benedikt lebte bis zu ihrem 13.Lebensjahr in der Pfeilgasse, im 8.Wiener Bezirk. Ihr Haus war früher eines der Feineren mit einem Balkon, von dem heute nichts übrig ist. Sie selber hat letztes Jahr die Stadt und ihr altes Zuhause besucht und war schockiert. Ihr früher modernes Haus benötigt dringend wieder einen Anstrich, ihre Wohnung war früher hell, doch nun steht direkt daneben ein neues Haus. In der Gasse sind nicht mehr die vielen kleinen Läden und ihre Volksschule, die ihr aus ihrer Kindheit so bekannt waren. Doch am meisten hat sich ihr Park verändert. Aus einem schönen Naturpark ist nun ein in viele umzäunte Anlagen geteiltes Betongebiet geworden. Als ich das gehört habe, musste ich mir sofort den Park ansehen und es ist wirklich hässlich!

In den Novemberpogromen wurde ihre Synagoge in der Neudeggergasse zerstört und deshalb hat Lucie auch bei dem Projekt „Verlorene Nachbarschaft“ von Käthe Kratz mit gemacht.

Lucies Vater stammte ursprünglich aus Mattersburg im Burgenland, hat aber lange in Wien gelebt. Die Familie ihrer Mutter stammte aus Tschechien und ihre Mutter selbst hat sich bis zu ihrem 14. Lebensjahr geweigert Deutsch zu lernen. Der Bruder ihres Vaters war ein Rabbiner, da die ganze Familie sehr religiös war. Deshalb besuchte sie das Chajesgymnasium, das damals von 1934-1938 in der Staudingergasse war und heute noch im 20.Bezirk zu finden ist.

Von dieser Schule erzählt Lucie heute noch sehr begeistert und viel. Als ich ihr habe ein Buch über die Chajesgymnasium gegeben habe, war Lucie sehr begeistert und hat dieses Buch bis in die Früh gelesen.

Lucie und ihr um fünf Jahre jüngere Bruder wurden im Dezember 1938 mit dem ersten Kindertransport nach England geschickt. Viel durfte nicht mitgenommen werden und Lucie verlor auf dieser Reise ihre wichtigen Spielsachen, wie zum Beispiel eine Puppe, das Markenalbum oder all ihre Ganghoferbände. Die letzten Worte, die ihre Eltern Lucie und ihrem Bruder mit auf den Weg gaben, waren für mich sehr berührend: „Wir haben euch das Beste gegeben, was wir konnten. Jetzt müsst ihr weiter machen!“
In einem Film erzählt sie von diesem schweren Abschied und dem Kindertransport. Meine Mutter hat neben mir gesessen und gemeint, dass es unglaublich wäre. Sie wüsste nicht, ob sie es über ihr Herz bringen würde, meine Geschwister und mich weg zu schicken, mit dem bedrückenden Wissen, dass sie uns wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Dieses Geständnis hat mich sehr getroffen und es mir ein bisschen leichter gemacht, diese schwierige Situation nachzuvollziehen. Aber es hat mich auch nachdenklich gestimmt, denn nicht jeder Mensch ist im Stande bei solch einer Geschichte so mitzufühlen (wie meine Mutter).

An einem Freitagabend begann die lange Fahrt für Lucie und ihren Bruder, quer durch Deutschland. Als sie zur Grenze zu Holland (heute Niederlande) kamen, wurden sie ein letztes Mal von den Nazis durchsucht und danach brach ein Freudengeschrei aus. Die ersten Kinder blieben in Holland und für den Rest ging es weiter mit der Fähre Richtung England. Es wurden viele Kinder seekrank und damit Lucie gesund blieb, hat sie sich auf den Knien fortbewegt. Die Kinder trugen alle Nummern, die auch auf ihren Koffern waren, damit sie wieder gefunden wurden.

Alle Kinder, die auf dieser Fähre waren, bestätigen, dass dieser Winter der Kälteste und Härteste war, den sie je erlebt hatten. Lucie und die anderen Kinder wohnten in Holzhäusern in England, bis sie von verschiedenen Familien ausgesucht wurden. Doch die Häuser waren nicht gedämmt und die Kinder sind sogar mit ihren Schuhen und allem was sie anhatten ins Bett gegangen. Glücklicherweise wurden sie jedoch bald in ein anderes Camp gebracht. Lucie wurde kurz darauf von einem alleinstehenden Mann aufgenommen, doch wieder wurde sie von ihrem Bruder getrennt, den eine andere Familie zu sich nahm. Lucies Pflegevater war zwar sehr nett zu ihr, doch seine eigene Tochter wollt sie nicht in ihrem Haus haben. Wenn Lucie sie zum Beispiel wecken wollte, hat diese absichtlich verschlafen und anschließend Lucie die Schuld gegeben. Taschengeld hat Lucie auch so gut wie nie bekommen. Das letzte, was sie mit dieser Familie erlebt hatte, war ein heiß ersehnter Besuch im Zoo.

Danach siedelte sie nach Birmingham. Damals galt noch das Gesetz, man müsse mit 16 Jahren zu arbeiten beginnen, was Lucie tat. Dort wurde ihr auch ein Abendkurs für den Vorläufer des heutigen Computers angeboten, den sie sodann besuchte. Dieser Kurs half ihr beruflich aufzusteigen, auch später in New York.

Ihre Eltern hatten inzwischen in Wien ein Visum für Amerika bekommen und flohen während des Krieges über Spanien nach Amerika. Als Lucie diese Nachricht in England bekam, was sie gleichzeitig froh und traurig. Sie fühlte sich mittlerweile wie eine Engländerin, verehrte auch einen Jungen – dem sie immer die Hemden bügelte – und nun sollte sie diese neugefundene Heimat wieder verlassen?
Doch natürlich folgte sie dem Ruf ihrer Eltern und fuhr gemeinsam mit ihrem Bruder, den sie kaum mehr kannte, den langen Weg nach Amerika.
Als Lucie von dieser Reise erzählte wurde sie langsamer und nachdenklich.

Auf der Schiffsreise gab es jedoch kurz vor New York Komplikationen und die Frau des Käptens hielt alle an zu beten. Die Gebete wurden erhört und Lucie konnte ihre Eltern das erste Mal seit über fünf Jahren wieder sehen, was für sie sehr seltsam war. Ihre Eltern wirkten viel älter und kleiner, als Lucie sie noch in Erinnerung hatte und im Gegenzug dazu war es für diese befremdlich, dass Lucie so erwachsen geworden war. Ihr Bruder konnte kein Wort Hebräisch, was für den tief religiösen Vater ein Schock war und sie erkannten, dass es ein langer Prozess des wieder Kennenlernens werden würden, ehe sie sich wieder wie eine richtige Familie fühlen konnten.
Später erfuhr Lucie, dass ihre Eltern nur überlebt hatten, weil ihr Vater einer der letzten jüdischen Religionslehrer war. Traurigerweise überlebten viele weitere Mitglieder ihrer Familie die wahnsinnige Naziverfolgung nicht.

Es war sehr beeindruckend für mich, als Lucie mir diese Geschichte erzählt hat, dass man auch so überlebt hat und ihre Eltern eine näherkommende Gefahr erahnt haben und rechtzeitig geflohen sind.

Heute besucht sie Wien regelmäßig und konnte mir sogar genau sagen, was aus ihren damaligen Schulen geworden ist. Sie hat auch noch Kontakt zu zwei Volksschulfreunden, von denen jedoch einer letztes Jahr gestorben ist.

Auf die Frage ob sie Schuldgefühle hatte, als sie in England war und ihre Eltern in Wien, meinte Lucie, dass sie nicht gewusst hat, wie schlimm es wirklich dort war.

Lucie ist eine sehr interessante Frau. Sie wohnt alleine in einer kleinen Wohnung, in der sie viele Bücher hat. Lucie erklärte mir, dass sie die Bücher von sich und ihren bereits verstorbenen Eltern in ihrem voll geräumtem Studio hat und sich schwer von ihnen trennt. (Das sieht man auch!) Lucie ist sehr aktiv und wollte mir täglich ihr New York zeigen, doch leider reichte die Zeit nicht.

Ich freue mich sehr, dass ich diese tolle Frau kennen lernen durfte und ebenso auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen!

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