JOSEF
geb. 1912-03-21 |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.
Josef Rosenheim wurde am 21.3.1912 in Wien geboren. Mit seinem jüngeren Bruder Emil wurde er 1938 von der Gestapo inhaftiert und später nach Dachau und in das KZ Buchenwald deportiert. Im Juni 1939 wurde er aus dem Lager entlassen und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Er lebt heute in Israel.
Wien, Dachau, Buchenwald, Mauritius, Ägypten, Palästina
Schülerinnen der PTS Pregarten haben die Geschichte von Josef Rosenheim recherchiert und aufgeschrieben.
„Das Schicksal war nicht gut zu mir. Ich habe alle meine Familienmitglieder verloren“, sagt Josef Rosenheim, dessen Lebensgeschichte wir recherchiert haben. Herr Josef Rosenheim ist jetzt 92 Jahre alt und lebt mit seiner Frau in Kiriat Motzkin, Israel. Seine Lebenserinnerungen hat er auf eine Kassette gesprochen und an uns geschickt. Das ist die Geschichte seines Lebens.
"Ich wurde am 21. März 1912 in Wien geboren, habe kaufmännischer Angestellter gelernt und bis zu meiner Verhaftung am 3. Juni 1938 als Leiter eines Kaffeegeschäftes gearbeitet. Wir mussten damals den gelben Stern tragen, überall waren Plakate in den Geschäften, dass Hunden und Juden der Eintritt verboten ist. Als wir eines Nachts Menschen die Stiegen raufkommen hörten, haben wir gezittert, dass die Gestapo uns abholen kommt. Die Gestapo suchte nach meinem Bruder Alex, der politisch bei den Sozialdemokraten tätig war. Er war nicht zu Hause, also haben sie mich und meinen Bruder Emil, der zwei Jahre jünger ist, auf die Polizei mit genommen und in ein Sammellager gesteckt.
Von dort wurden wir mit der Eisenbahn nach Dachau gebracht. Schon in der Eisenbahn gab es Schlägereien und Verletzte. Es wurden damals, bei dieser Aktion, 2000 Juden verhaftet. Am 3. Juni 1938 wurden wir von Dachau nach Buchenwald ins KZ gebracht. Was ich da im KZ an Sadismus von Menschen an anderen Menschen erlebt und gesehen habe, ist unglaublich. Ich habe dort den Glauben an die Menschheit verloren. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran erinnert werde. Meine Generation hatte keine Jugend, es war eine Zeit ohne Gnade.
Die Israelitische Kultusgemeinde Wien hatte sich bei der Gestapo verpflichtet, uns ins Ausland zu schicken. So wurde ich am 6. Juni 1939 von Buchenwald entlassen. Als ich vom Konzentrationslager nach Wien zurückkam, erzählte mir meine Mutter, dass sie allen Schmuck abliefern mussten, die Wohnung und das Geschäft mussten mit allem Inhalt abgegeben werden, man hat das damals „Arisierung“ genannt. Jede Familie bekam nur ein Zimmer, unwichtig, wie viele Menschen es waren. Damals wurden alle Juden in Wien im 9. und im 2. Bezirk konzentriert. Man hat alles von den Juden genommen, es blieb nur noch das nackte Leben.
Ich und andere KZler haben ein Zimmer gemietet. Ich musste mich zwei Mal wöchentlich bei der Polizei und zwei Mal wöchentlich bei der Gestapo melden. Wir mussten stundenlang stehen und natürlich gab es Schläge und Drohungen. Ich hatte alle meine Ersparnisse und auch meinen Lohn ins Geschäft investiert, da das Geschäft arisiert worden war, habe ich alles verloren. Ich hatte kein Geld, konnte das Land nicht verlassen und nirgendwo hingehen. Als ich mich wieder bei der Gestapo melden musste, sagte mir ein SS-Mann, dass es eine Möglichkeit gebe, in Kaprun zu arbeiten. Wir, die KZler haben das große Tauernkraftwerk angefangen zu bauen, es war schwere Arbeit, aber es gab Essen, etwas Geld und keine Polizei dort. Im Dezember war so viel Schnee, dass die Arbeit sehr gefährlich wurde. Also wurden wir nach Wien zurückgebracht und mussten uns wieder mit Polizei und Gestapo herumschlagen. Ich habe dann in Wien am Straßenbau gearbeitet, das war Juden erlaubt. Ich konnte Essen für mich und meine Eltern am Schwarzmarkt kaufen.
Im September 1940 wurde ich unter Bewachung der Gestapo auf den Donaudampfer „Schönbrunn“ geschickt. Von der Reichsbrücke in Wien sind wir unter Bewachung der Gestapo zuerst nach Bratislava in der Tschechoslowakei gefahren, dort waren noch Menschen aus Polen, Deutschland und aus der Tschechoslowakei, die ein paar Wochen auf den Transport gewartet hatten. Von dort fuhren wir nach Tulcea, das ist ein Hafen in Rumänien. Dort wurden wir auf drei kleine Schiffe umgeladen, wo wir die illegale Fahrt nach Palästina antraten. Wir waren 1600 Leute. Wir haben drei Monate auf hoher See verbracht, es gab Zeiten, wo wir nichts zu essen oder zu trinken hatten. Vor Zypern hat uns ein englisches Kriegsschiff aufgefangen, hat uns Wasser und Essen gegeben und wir wurden, von dem Kriegsschiff begleitet, nach Haifa gebracht. Dort sahen wir ein großes Schiff stehen. Wir waren Illegale und es war schon Krieg. Man hat angefangen uns auf dieses Schiff zu übersiedeln. Wir, die jungen Menschen, waren der letzte Transport, als wir sahen, dass das Schiff anfing langsam zu sinken. Was war passiert?
Die Menschen im Hafen wollten das Schiff nur beschädigen, sodass die Engländer uns nicht deportieren konnten. Aber die Bombe war zu stark gewesen, man hatte nicht damit gerechnet, dass es ein so altes, verrostetes Schiff ist. Wir wurden für ein paar Tage in ein Lager gebracht, dann brachten die Engländer zwei holländische Schiffe, auf denen wir im Dezember 1940 nach Mauritius weiterfuhren. Im Mai 1942 hat uns der Lagerkommandant gesagt, dass sich in England ein österreichisches Pionierkorps gebildet hat, freiwillig könne man sich melden. Welcher KZler, der die Hölle durchgemacht hat, welcher Jude, würde sich dafür nicht melden? Wir haben die ganze Zeit verlangt, dass man uns zum Militär zulässt, damit wir gegen die Deutschen kämpfen können. Am 18. Juni 1944 haben wir Mauritius in englischer Uniform verlassen, man hat uns nach Ägypten in die Wüste in ein großes Militärlager gebracht, man hat uns nicht zu den Kampftrupps genommen, was wir eigentlich gewollt hatten.
Im Mai 1945 war der Krieg aus und im August des selben Jahres haben die Engländer alle Menschen, die in Mauritius im Gefängnis waren, nach Palästina zurückgebracht – dieses Mal legal und gesetzlich. Am 23. Jänner 1946, ich war noch Soldat, habe ich geheiratet. Man hat es mir ermöglicht, in Palästina zu leben und zu bleiben. Ich war auf Mauritius mit einem Mädchen aus Danzig befreundet. Ihre Eltern hatten damals erkannt, dass der Transport auf der „Schönbrunn“ die letzte Gelegenheit für einen Juden war, Danzig noch lebend zu verlassen. Sie war damals 15 Jahre alt und allein, ihre Eltern, die sie auf den Transport geschickt hatten, haben ihr damit das Leben gerettet. Ihre Eltern und eine kleine Schwester sind im Vernichtungslager umgekommen. Man kann nicht sagen gestorben, denn dort ist man ermordet worden.
Wir haben am 23. Jänner 1946 geheiratet, wir haben zwei Töchter und fünf Enkelkinder, sind über 58 Jahre verheiratet und, wie ihr seht, nicht nur Liebe bindet, sondern auch Not und das gemeinsame Schicksal. Den Schock meines Lebens erlebte ich, als ich einen Freund, der mit mir im KZ war, in Wien besuchte. Es regnete sehr stark, wir blieben zu Hause, ich ging in seine Bibliothek und entdeckte ein Buch – „Sterneregen“ von Erich Fein, der auch fünf Jahre im KZ war. Darin entdeckte ich die Gedenktafel der Hingerichteten und fand darauf den Namen meines Bruders Alexander. Am nächsten Tag ging ich ins Landesgericht für Strafsachen und man hat mir das Zimmer und das Schafott gezeigt, wo mein Bruder geköpft worden war. Dort ist eine Gedenktafel und man hat mir erlaubt, ein Foto zu machen. Ich sehe das alles noch heute, es gibt kein Vergessen.
1975 habe ich die österreichische Staatsbürgerschaft zurück bekommen, ich bekomme eine monatliche Rente von der Pensionskassa der kaufmännischen Angestellten und mit Hilfe der Kinder können wir uns auch öfters Hilfe im Haushalt und eine Begleitperson zum Einkaufen und für Arztbesuche leisten. Mein Schlüsselsatz an euch ist der: Ehrt und gedenkt der Menschen, die für ein freies Österreich gefallen sind oder ermordet wurden, weil denen habt ihr es zu verdanken, dass ihr in einem freien Land lebt, wo jeder Mensch gleich vor dem Gesetz ist, denn wie ihr seht, die Zeit beweist es, dass man nur in einer Demokratie ein menschenwürdiges Leben führen kann, sodass ihr und eure Kinder und die Nachwelt auf eine Zukunft hoffen können.“
Sandra Kuttner, Tina Luptovits, Simona Gherghel, Deborah Schmutzhard, INFOTEC PTS Pregarten, 2005