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Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.
Brigitte Porges wurde am 5.November 1925 in Spittal an der Drau geboren. Mit Ende der dritten Klasse musste sie als "Halbjüdin" ihre Schule verlassen. 1942 flüchtete sie auf einen Bergbauernhof bei Millstatt. Dort konnte sie sich bis Kriegsende verstecken. Heute lebt Brigitte Porges in Tirol auf einem Bergbauernhof.
Brigitte überlebte auf einem Bergbauernhof über Millstatt
Drei Schülerinnen aus der HS Ehrwald recherchierten die Lebensgeschichte von Brigitte Porges.
Wir, Jennifer, Claudia und Melanie aus dem Außerfern, erforschten das Leben und die Geschichte von Frau Brigitte Porges. Wir sind 14 Jahre alt und besuchen die Hauptschule in Ehrwald, das ist ein kleiner Ort am Fuße der Zugspitze.
Das Projekt „A Letter To The Stars“ war und ist ein wichtiger Schritt in unserem Leben. Wir haben auch beim Teil 1 schon mitgemacht! Wir sind froh, Frau Brigitte Porges kennen gelernt zu haben, denn durch sie haben wir viel Interessantes und Informatives über Holocaust, Judenverfolgung, Massenmord und Faschismus gelernt. Wir konnten ihr viele Fragen stellen, deren Antworten nicht in Büchern zu finden sind. Fragen, die nur ein Betroffener beantworten kann. Obwohl wir im Geschichteunterricht das Thema Zweiter Weltkrieg durchgenommen haben, ist es viel spannender und interessanter, die Geschichte von Überlebenden zu hören. Erst dadurch haben wir wirklich begriffen, was damals wirklich passiert ist. Wir haben oft über dieses Thema nachgedacht und uns viele Fragen gestellt: Kann sich der Holocaust wiederholen? Warum wurden gerade Juden verfolgt? Was ist Faschismus? ... Und noch viele mehr! Wie man sieht, haben die Menschen nicht viel aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt, denn auch heute noch gibt es Ausländerhass, Neid und Faschismus. Faschismus bedeutet, einem „Führer“ bedingungslos ohne Widerstand zu gehorchen. Damals war dies für die Menschen neu und Hitler hat es schamlos ausgenutzt.
Frau Brigitte Porges wurde als ältestes von drei Kindern am 5.11.1925 in Spittal an der Drau geboren. Ihre Mutter Erna Porges, geb. 1882, war „Arierin“, ihr Vater Walter, geb. 1878, Jude. Sie hat zwei Geschwister namens Waltraud und Paul, mit denen sie noch heute in Kontakt ist. Waltraud ist zwei Jahre jünger als Brigitte und Paul sieben Jahre. Ihr Vater Walter war von Beruf Arzt, wie viele andere Juden auch. In Spittal verlebte sie eine glückliche Kindheit, besuchte die Volksschule und hatte einen sehr guten Schulerfolg. Danach besuchte sie eine Mittelschule in Wien. Damals war sie zehn Jahre alt. In Wien verbrachte Brigitte ebenfalls eine schöne Zeit.
Doch das sollte sich schnell ändern. Als Hitler am 12. März 1938 in Österreich einmarschierte, sollte die schöne Zeit für sie erstmals ein Ende haben. Rassismus verbreitete sich auch in Österreich rasch und gegen die Juden wurde schrittweise vorgegangen. Mit Ende der dritten Klasse musste sie als so genannte Halbjüdin die Schule verlassen, denn diese wurde in eine Nazianstalt umgebaut. So musste sie nun eine Schule in Kärnten besuchen. Doch in dieser Klasse wurde sie nicht akzeptiert. Sie sonderte sich von allen, auch von ihrer Familie, ab. Ihre Mutter hatte Angst um sie, da sie sich immer mehr verschloss. In der Schule wurde ihre Anwesenheit bei den Mitschülern oft nicht wahrgenommen und wenn, dann wurde sie gehänselt. Sie war eine Außenseiterin, die meist allein auf dem Schulhof stand. In dieser Zeit sprach Brigitte nicht sehr viel, sondern schluckte ihren ganzen Kummer runter und war viel allein. Brigitte meinte, dass das die schlimmste Zeit ihres Lebens war. Das konnten wir sehr gut verstehen. Denn Freunde sind wichtig! Man braucht sie zum Trösten, Zuhören, Lachen, Weinen, und noch für vieles mehr! „Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude ist doppelte Freude!“
Nach dieser Schule in Kärnten besuchte sie 1939 eine dreijährige Haushaltungsschule für Juden, wiederum in Kärnten. Brigitte hatte Glück, denn sie konnte weiter eine Schule besuchen und auch ihre Schwester konnte ihre Schullaufbahn fortsetzen, das war in dieser Zeit für Juden und Halbjuden fast unmöglich. Doch ihr Bruder Walter hatte nicht solches Glück, denn er musste sieben Jahre lang eine Volksschule besuchen!
Inzwischen wurde ihr Vater nach Wien in den 2. Bezirk berufen. Dort sollten künftig alle Juden zusammen in einem Ghetto leben. Walter durfte als Arzt auch nur mehr Juden behandeln. Ab diesem Zeitpunkt sah Brigitte ihren Vater nur mehr zwei Mal. Nachdem Brigitte die Haushaltungsschule absolviert hatte, ging sie auf einen Bergbauernhof, um dort ein Jahr Pflichtpraktikum abzulegen. Bei einer netten Bauernfamilie fand Brigitte Unterschlupf. Diese Hütte befand sich in der Nähe von Millstatt. Dort oben lebte sie vom 15.8.1942 bis zum 30.6.1945.
Auf den Bergen lernte sie mit den Tieren und der Natur umzugehen, wovon sie heute noch profitiert. Seltene Briefe und Besuche waren der einzige Kontakt zu ihrer Familie. Für sie muss es schlimm gewesen sein, immer im Ungewissen, ob ihre Familie und Freunde noch am Leben waren. Dort oben bekam sie vom Krieg, den Konzentrationslagern, den Bomben und dem Leiden der Menschen wenig mit. Manchmal sah und hörte sie Tiefflieger und Bombenangriffe. Auch die Wolken über Millstatt nach einem Bombenangriff wird sie nie vergessen. Ebenso Hitlers gewaltsame Stimme, die so viel Druck auf die Menschen ausübte. Was muss das für ein grausamer Mensch gewesen sein, der die Kinder von ihren Eltern trennte und Millionen von Menschen, vor allem Juden, umbrachte.
Manchmal kamen aber auch Nazis zur Kontrolle auf die Hütte. Brigitte war nämlich nicht die Einzige, die bei den Bauern wohnte, auch eine Weißrussin fand hier Unterschlupf. Auf dem Bauernhof half sie von früh bis spät mit. Heuen, Tiere pflegen, Gärtnern und Landwirtschaften bestimmten ihren Tagesablauf. Brigitte versucht einem Spruch zu folgen, doch vor und während des Zweiten Weltkrieges war dies für sie nicht immer möglich.
Dieser Spruch lautet:
Mit Ende des Krieges rief Brigittes Mutter Erna sie wieder nach Spittal an der Drau. Am 30. Juni 1945 verließ sie den Bauernhof in den Bergen, der so lange ihr trautes Heim war. Nun sah sie erstmals das Ausmaß des Krieges: Verwüstung, Trümmerhaufen, Not und Armut bestimmten ihr Bild. Brigitte war schockiert, denn oben auf dem Bergbauernhof hatte sie nicht viel vom Krieg mitbekommen. Auch die Tatsache, dass ihre Verwandten und Freunde in KZ auf grausame Weise umgekommen waren, war eine schockierende Neuigkeit. Niemals hätte sie geglaubt, dass ein Krieg soviel Leid und Trauer mit sich bringt.
Damals wusste sie noch nichts Näheres, weil keiner bereit war, darüber zu reden. Von ihrem Vater Walter Porges hatte sie schon so lang nichts mehr gehört und gesehen. Obwohl er nach Amerika hätte auswandern können, hatte er die Lage nicht ernst genug genommen und war in Wien geblieben. „Wir leben in einem freiem Land!“, hatte er immer wieder behauptet. Auch die Tatsache, dass er mit einer „Arierin“ verheiratet war, hatte ihn schlussendlich nicht gerettet.
In Wien gehörte er einer Widerstandsgruppe aus Kärnten an, und als diese aufflog, wurde er im Februar 1944 ins KZ Auschwitz gebracht und dort zur Arbeit gezwungen. Selten bekam die Familie kurze Briefe. Doch nachdem das KZ Auschwitz am 27. Jänner 1945 befreit worden war, verlief sich seine Spur. Die Familie versuchte des Öfteren herauszufinden, ob er noch am Leben war. Doch dies blieb ohne Erfolg. Das war am Anfang sehr schlimm für die ganze Familie. Brigittes Mutter Erna glaubte bis zu ihrem Tod an die Rückkehr ihres Mannes. Sie verkraftete den Tod ihres Gatten nie.
Auch viele Verwandte sind im Zweiten Weltkrieg gestorben oder ausgewandert. Die ganze Familie war zerrissen, einige waren in Afrika, die anderen in ganz Europa verstreut und ein paar wurden gefangen genommen und getötet. So erging es vielen anderen, meist jüdischen, Familien auch. Oft hatten die Kinder ihre Väter im Krieg verloren und ihre Kindheit wurde durch den Krieg geprägt. Wie schlimm muss es gewesen sein, vor dem Nichts zu stehen. Keine Familie, keine Freunde, kein Dach über den Kopf und kein Essen.
Ab Herbst 1946 besuchte Brigitte für drei Jahre eine höhere Frauenfachschule in Melk. Dort waren viele Mädchen in ihrem Alter und alle verstanden sich. Brigitte fand erstmals richtige Freunde. Das war für Brigitte neu! Noch heute trifft sich die Klasse jedes Jahr in einem anderen Ort in Österreich und Brigitte freut sich jedes Jahr auf dieses Treffen. Nach diesen drei Jahren beschloss Brigitte, Lehrerin zu werden. Damals war sie 24 Jahre alt. Sie unterrichtete an verschiedenen Schulen in Niederösterreich. Vier Jahre lang war Brigitte nun Lehrerin. Als dieser Beruf ihr nicht mehr so viel Freude bereitete, suchte Brigitte eine andere Aufgabe. So beschloss sie, im Herbst 1953 ins SOSKinderdorf zu gehen. Sie wollte anderen Menschen helfen und tat dies auch. Für „ihre Kinder“ war sie wie eine „normale Mutter“, und sie schenkte allen viel Liebe. Insgesamt betreute sie 23 Kinder, die sie alle lieb gewonnen hat. Im Herbst 1981 beendete sie ihre Tätigkeit im SOS-Kinderdorf.
Brigitte wollte sich ihre eigene Existenz aufbauen, und so verschlug es sie noch im selben Jahr in die Leutasch. In Ahrn hatte sie ihre zukünftige Bleibe gefunden. Ein 300 Jahre altes Haus ist bis heute ihr Zuhause. In unseren Augen ist Brigitte eine offene, hilfsbereite, nette, warmherzige, flotte und fröhliche Frau. Sie hat uns viel gelehrt und viele Weisheiten beigebracht. „Die Welt hat genug für alle, doch für die Gierigen ist zu wenig da! “ „Nur mit dem Herzen sieht man gut, für die Augen ist das Wesentliche unsichtbar.“
Das Projekt ist für uns so abgelaufen: Als uns unsere Lehrerin Frau Kerber im Februar von dem Projekt erzählte, waren wir sofort begeistert. Gleich gingen wir online und suchten nach Überlebenden. Dort stießen wir auf Frau Brigitte Porges. Sie wohnt in Ahrn, bei Leutasch. Sofort kontaktierten wir Frau Porges und auch sie war von soviel Engagement beeindruckt. Eine Woche später fuhren wir mit unserer Projektleitleiterin mit dem Zug nach Leutasch. Dort trafen wir erstmals Frau Porges. Frau Porges erzählte uns sehr viel Interessantes und wir hörten aufmerksam zu. Zu schnell war dieser Nachmittag zu Ende, doch für uns war dies noch lange nicht der letzte Besuch bei Frau Porges, denn sie ist sehr nett, offen, warmherzig und kinderliebend. Ein paar Wochen später fuhren wir abermals, aber diesmal ohne unserer Lehrerin, nach Leutasch. Auch dieses Mal verstanden wir uns mit Frau Porges sehr gut. Noch ein paar Mal fuhren wir mit den Rädern zu ihr und Frau Porges zeigte uns voller Stolz ihren wunderschönen Garten.
Im Rahmen des Projektes haben wir auch erfahren, dass Brigittes Vater Walter nach Auschwitz deportiert wurde. Nach der Befreiung dieses Lagers verlief sich seine Spur. Niemand weiß, ob er überlebt hat, in Auschwitz gestorben ist, in ein anderes Lager deportiert wurde oder ob er von Soldaten gefangen genommen wurde. Diese Gedanken um die Ungewissheit kreisten immer in unseren Köpfen herum. Schließlich schrieben wir einen Brief nach Auschwitz und nach einigen Telefonaten fanden wir Folgendes heraus:
Walter Porges wurde im Februar 1944 in das KZ Auschwitz deportiert. Im KZ bekam Walter wie alle anderen Häftlinge eine Nummer, seine war 174 279. Der letzte Eintrag über ihn stammt vom 2. 11. 1944 und dort wurde vermerkt, dass er in ein anderes KZ deportiert werden sollte. In welches, wurde nicht bekannt gegeben. Aber leider konnten sie uns in Auschwitz auch nicht mehr sagen. Trotzdem sind wir froh, den Kontakt nach Auschwitz aufgenommen zu haben.
Frau Porges wünschte uns einen „schönen“ Tag in Mauthausen. Sie konnte leider nicht mitkommen, da an diesem Tag Muttertag war. Sie hat nämlich 23 Kinder im SOS-Kinderdorf aufgezogen, die sie alle am Muttertag besuchten. Trotzdem war sie sehr interessiert an den Erzählungen und Erfahrungen, die wir dort gesammelt haben. Der Ausflug nach Mauthausen hat uns sehr gut gefallen und wir werden sicher noch einmal diese Gedenkstätte besichtigen. Am meisten fasziniert haben uns die Reden der Überlebenden.
Im Laufe des Projekts haben wir eine Dokumentationsmappe angefertigt, in der wir alles ausführlich aufgezeichnet haben. Wir sind froh, Frau Brigitte Porges kennen gelernt zu haben. Mittlerweile ist sie uns richtig ans Herz gewachsen. Sie hat uns viele wichtige Dinge, vor allem über den Zweiten Weltkrieg, erzählt. Durch sie ist uns erst richtig klar geworden, was im Zweiten Weltkrieg eigentlich passiert ist und so haben wie ihn aus einer anderen Perspektive kennen gelernt. Wir sind auch stolz darauf, bei „A Letter To The Stars“ mitzumachen und wir werden die Erfahrungen, die wie hier gesammelt haben, nie vergessen. Wenn wir früher Zweiter Weltkrieg gehört haben, dachten wir uns immer „schlimm“, aber mehr Gedanken haben wir uns dazu eigentlich nicht gemacht. Seit wir mehr Informationen zu diesem Thema gesammelt haben, denken wir auch öfters darüber nach. Aber muss Krieg sein?
Ein Flüchtling aus Tschetschenien besucht zur Zeit unsere Klasse. Durch ihn ist uns vieles klar geworden. Viele Juden mussten im Zweiten Weltkrieg, wie heute er, auswandern und flüchten, alle Freunde im Stich lassen. Darum glauben wir, dass jeder einzelne von uns etwas FÜR eine bessere Zukunft tun kann!
Claudia Höllrigl, Jennifer Wilhelm, Melanie Wörz, Margaretha Kerber (Projektleiterin), HS Ehrwald, 2005