Die letzten Zeugen - Das Buc

ZWI NIGAL


 
 

ZWI NIGAL

(früher Hermann Heinz Engel)
geb. 1923-04-13
lebt heute in Israel


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Zwi Nigal wurde am 13.4.1923 als Hermann Heinz Engel in Wien geboren. Seine Mutter wollte flüchten und wurde auf der Insel Mauritius interniert. Sein Vater wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Zwi Nigal konnte 1939 nach Palästina flüchten und kam als Soldat 1946 nach Wien zurück.Er lebt heute in Israel.

Natürlich war ich bis zum März 1938 stolz, Wiener zu sein ...

Zwi Nigal beschreibt in einem Brief an die Schüler des International Business College Wien Hetzendorf seine Lebensgeschichte.

Ich bin im Alter Eurer Großeltern oder sogar etwas älter. Als die Nazis Österreich im März 1938 übernahmen, war ich fast 15 und lernte in der 5. Gymnasialklasse. Mein Vater arbeitete bei den ÖBB. Ich bin in Wien geboren, als einziges Kind meiner Eltern. Wir wohnten im 2. Bezirk nicht weit vom Prater. Im 2. Bezirk wohnten viele Juden und so waren auch in meiner Schulklasse ungefähr ein Drittel der Schüler Juden.

Ich wuchs auf, wie jedes Großstadtkind damals aufwuchs. Als ich noch in die Volksschule ging, waren in Österreich schwere Zeiten. So durften wir als Zehnerbrot nur eine trockene Semmel mitbringen und dazu bekamen wir in der Schule ein Fläschchen Milch, dies, um zu verhindern, dass sich Kinder, deren Familien sich nicht mehr leisten konnten, benachteiligt fühlten. Natürlich sah ich in Österreich meine Heimat und war stolz Wiener zu sein. Auch war ich stolz darauf, dass mein Vater im ersten Weltkrieg in der Armee gedient hatte, meine Mutter Krankenschwester an der Front gewesen war und einer ihrer Brüder als Offizier an der italienischen Front gefallen war. Auch in der Schule war ich ziemlich „populär“, da ich ein ganz guter Sportler war und auch relativ gut lernte. Ich wurde nicht besonders religiös erzogen, obwohl ich Freitagabend (dem jüdischen Sabbatbeginn) und an den Feiertagen in die Synagoge ging. Aber ich bekam auch wie viele andere Juden eine zionistische Erziehung. Bis zum Kommen der Nazis merkte ich kaum, dass ich „anders“ war, obwohl fast alle meiner Freunde Juden waren und ich zu den jüdischen Pfadfindern gehörte und im jüdischen Sportklub „Hakoah“ Wasserball spielte.

Das änderte sich drastisch im März 1938: Plötzlich waren alle gegen uns, Bekannte und Nachbarn, mit denen wir gute Beziehungen hatten, kannten uns nicht mehr. Man warf uns aus unserer Wohnung hinaus, beschlagnahmte das Wenige, das wir besaßen (meine Eltern waren nicht reich), meine Mutter wurde auf der Straße zusammengeschlagen, nur weil sie Jüdin war. Ich wurde einmal auf der Straße abgefangen, damit ich das Parteiheim der Nazis reinige (zwar gelang es mir ihnen wegzulaufen), kurz – das Leben für Juden wurde unmöglich und wer konnte, ließ alles, was er hatte, zurück und verließ das Großdeutsche Reich.

Noch ärger wurde es dann im November 1938, nach der so genannten „Kristallnacht“ (wenn es euch interessiert, kann ich euch darüber erzählen). Mich ließ man das Schuljahr beenden, ich bekam ein Zeugnis, dass ich laut meiner Noten in die nächste Klasse aufsteigen kann, aber gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, dass ich als Jude nicht weiterlernen darf.

Im damaligen Palästina (dem heutigen Israel), das unter britischer Herrschaft war, lebten eine Million Araber und 500 000 Juden, die fast alle als Zionisten gekommen waren. Die Juden wollten ihre verfolgten Brüder aufnehmen, aber die Engländer sperrten die Grenzen des Landes und erlaubten nur wenigen die Einreise. Ich war unter den Glücklichen, die kommen durften (im Jänner 1939), aber meine Eltern mussten in Wien bleiben. Ende 1939 versuchte meine Mutter auf einem Schiff über die Donau, das Schwarze Meer und das Mittelmeer nach Palästina zu gelangen. Das Schiff wurde von den Engländern gekapert und alle 2000 jüdischen Immigranten, die sich auf ihm befanden, auf die Insel Mauritius im Indischen Ozean gebracht und dort bis Kriegsende interniert. Ich sah meine Mutter erst nach sieben Jahren wieder. Meinen Vater ließen die Nazis nicht weg. Er wurde 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt gebracht und im Oktober 1944 von den Nazis in Auschwitz ermordet.

Ich kam also im Januar 1939 in einer Gruppe von 70 Burschen und Mädchen, alle zwischen 15 und 17 Jahren, nach Palästina. Wir kamen in ein Dorf, wurden unter den Bauern verteilt und als Familienmitglieder herzlich aufgenommen. Wir arbeiteten halbe Tage in der Landwirtschaft und lernten täglich vier bis fünf Stunden Hebräisch. Dort blieb ich über zwei Jahre. Als ich 18 war, meldete ich mich zum Militär und diente in der „Jüdischen Brigade“ der 8. britischen Armee, die gegen das Afrikakorps von General Rommel und dann in Italien kämpfte.

Ich wurde südlich von Bologna verletzt, konnte aber noch vor Kriegsende zu meiner Truppe zurückkehren. Den Krieg beendeten wir in Tarvis an der österreichischen Grenze. Wo immer wir waren, organisierten wir gegen den Willen der Engländer die Einwanderung der wenigen Juden, die die Nazizeit in Europa überlebt hatten, nach Israel. Im April 1946 war ich in Wien, fand aber keinen meiner Verwandten und Freunde. Die Armee entließ mich in Palästina Ende 1946.
In Palästina war es unruhig: Im Dezember 1947 brach der jüdische Freiheitskrieg aus, in dem sich die Juden behaupten konnten. Die Engländer verließen das Land im Mai 1948, der Staat Israel wurde ausgerufen. Ich war natürlich in der israelischen Armee, die es mir ermöglichte, mein Mittelschulstudium zu beenden und vier Jahre an der Technischen Hochschule in Haifa zu studieren.

Ich diente in der israelischen Armee und beendete meinen aktiven Dienst als Oberstleutnant, arbeitet dann in der Industrie und nach meinem Ausscheiden in den Ruhestand machte ich als Hobby einen Kurs für Fremdenführer, wurde aber doch zur Arbeit als solcher herangezogen und mache das auch heute noch. Wir haben zwei Söhne und sieben Enkelkinder und leben nicht weit vom Meer etwas nördlich von Tel Aviv. Viele Grüsse euch, eurer Familie, euren Lehrern und Klassenkameraden dort im schönen Österreich und, wie wir auf Hebräisch sagen, „Shalom“.

Brief von Zwi Nigal an die SchülerInnen des International Business College Wien Hetzendorf, 2004

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