Die letzten Zeugen - Das Buc

WALTER POLLAK-RUDIN


 
 

WALTER
POLLAK-RUDIN

geb. 1921-05-21
lebt heute in den USA


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Walter Pollak wurde am 2.5.1921 in Wien geboren. Seine Familie flüchtete nach Frankreich. Von dort gelangte Walter Pollak-Rudin mit einem Frachtschiff nach Plymouth und kämpfte in der Britischen Armee. Später wanderte er in die USA aus und wurde zu einem berühmten Mathematiker.

Walter Pollak wurde zum führenden Mathematiker in den USA

Die Schülerin Nikolina Blaskovic hat seine Lebensgeschichte dokumentiert.

Walter Pollak-Rudin wurde am 2. Mai 1921 in Wien geboren und wohnte mit seiner um vier Jahre jüngeren Schwester Vera und seinen Eltern in der Belvedereasse 8 im 4. Bezirk. Er ging gleich um die Ecke in die Ressel-Realschule. Als er in der 7. Klasse war, wurde er durch einen Erlass des Stadtschulrates wie alle anderen jüdischen Schüler vertrieben. Er kam mit seinen Mitschülern in eine so genannte Sammelschule, das heutige BRG 1, wo er das Schuljahr beendete, bevor er auch von dieser Schule ausgeschlossen wurde.
In einem Brief schreibt er uns, dass er dieses Erlebnis nicht dramatisch und auch nicht traumatisch empfand. Dennoch steht er Österreich und dem „goldenen Wiener Herz“ sehr kritisch bis vernichtend gegenüber und bezweifelt zu Recht die Rolle, die Österreich in der Nazi-Zeit gespielt haben möchte.

Ich möchte nun etwas weiter ausholen, um zu zeigen, aus welch angesehener Familie Walter Rudin stammt. Sein Urgroßvater Aaron Pollak war Zündholzfabrikant und Erfinder der Zündholzschachtel mit Reibfläche (wir haben diese im jüdischen Museum als Hologramm gesehen). Er exportierte Zündhölzer weltweit und verwendete seinen Reichtum großzügig für die Unterstützung bedürftiger Menschen gleich welchen Religionsbekenntnisses. So ließ er zum Beispiel ein Studentenheim, das Rudolfinum in der Mayerhofgasse, bauen, in dem 75 mittellose Studenten gratis in die Technische Hochschule gehen konnten. Dafür wurde er von Kaiser Franz Josef geadelt und nannte sich von nun an Walter Pollak Ritter von Rudin. Das Grab dieser prominenten Familie liegt auf dem jüdischen Friedhof in Währing. Auch Walter Rudins Großvater Alfred und sein Vater Robert besuchten die Ressel-Realschule. Walters Vater Robert war Doktor der Technik und Erfinder.

All diese Informationen habe ich aus Prof. Rudins Buch "The Way I Remember It", das aus zwei Teilen besteht. Der eine Teil erzählt aus seinem Leben und ist eigentlich für seine Enkelkinder bestimmt, da er nie wieder von der schlimmen Zeit der Ausgestoßenheit und seiner Flucht sprechen wollte. Der zweite Teil ist ein Mathematikbuch, denn Herr Prof. Rudin ist zu einem führenden analytischen Mathematiker Amerikas geworden und schreibt in einem P.P.S. seines Briefes an uns, welch ausgezeichnete Ausbildung er in unserer Schule bekommen habe.

Kontakt außerhalb der Schule hatte Walter Pollak-Rudin nur mit seinem nichtjüdischen Klassenkameraden Fritz K., doch sie besuchten einander nie. Antisemitismus in unserer Schule spielte sich in Beschimpfungen, manchmal auch in Prügeleien ab, in denen sich Walter für eine blutige Nase oder ein blaues Auge sehr gut zu revanchieren wusste. Die Ferien verbrachten Walter und Vera in Italien, in der Bukovina, der Heimat einer der Großmütter oder in London.

Nach dem Anschluss erkannten seine Eltern sofort die gefährliche Lage und brachten die Kinder in die Schweiz, wo Vera eine Privatschule in Lausanne besuchte und Walter in eine Knabenschule nach St. Gallen kam. Nach der Reichskristallnacht, die seine Eltern in Wien erlebten, flüchteten auch sie in die Schweiz, und von dort mit den Kindern weiter nach Frankreich. Nach Kriegsausbruch wurde die ganze Familie - als Angehörige des Feindlandes - interniert, obwohl sie Flüchtlinge aus Nazi-Österreich waren!
Als die Deutschen 1940 Frankreich besetzten, floh Walter auf einem Frachtschiff nach Plymouth. Seine Eltern und seine Schwester wurden von amerikanischen Quäkern nach Amerika geholt und somit gerettet. Auch Walter Rudin gelangte, nachdem er in der britischen Armee gedient hatte, dorthin.

Zunächst begann er sein Mathematikstudium an der "Duke University" in North Carolina, wo er auch seine spätere Frau Mary Ellen Estill kennen lernte. Beide lehrten Jahrzehnte lang Mathematik am "Mathematical Department of the University of Wisconsin" in Madison. Ihre älteste Tochter Catherine und ihr türkischer Mann Ali sind Uni-Professoren an der Waybe State University in Nebraska und haben zwei Söhne, Adam und Eric. Seine zweite Tochter Eleanor hat die Engineering School absolviert und ist ebenfalls verheiratet. Walter Rudins Sohn Robert leidet am Down-Syndrom, lebt aber selbstständig und ist erfolgreicher Teilnehmer an den Special Olympics. Der jüngste Sohn Charles Michael ist Arzt und seine Frau Elizabeth Kunsthistorikerin. Sie haben eine kleine Tochter.
Walter und Ellen sind 1991 in Pension gegangen - die Mathematik und Diskussionen darüber mit ihren Freunden sind noch immer Inhalt ihres Lebens.

Ich habe den Eindruck, dass sich Prof. Walter Rudin wohl innerlich von Österreich abgewendet hat. Doch es scheint für mich, dass er seine Bitterkeit ein wenig gemildert hat, denn er hat in seinem Brief unser Projekt anerkennend gewürdigt und sicherlich erkannt, dass wir ehrlich bemüht sind, die Schrecken jener Zeit unwiederholbar zu machen.

Nikolina Blaskovic, BRG Waltergasse, Wien, 2005

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