Die letzten Zeugen - Das Buc

CATRIEL FUCHS


 
 

CATRIEL FUCHS

(früher Karl Fuchs)
geb. 1925-12-19
lebt heute in Israel


Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Hilde und Catriel Fuchs sind beide 1925 in Wien geboren. Catriel musste mit 13 Jahren Zwangsarbeit in einer Ziegelfabrik leisten. 1940 gelang ihm die Flucht nach Palästina. Schülerinnen der Hauptschule Waidhofen berichten.

"Wir verloren unsere Familien, unsere Kindheit, unsere Heimat"

Auf unseren ersten Brief an das Ehepaar Fuchs in Israel vom 31. März 2004 erhielten wir am 21. April als Antwort von Hilde und Catriel Fuchs eine Ansichtskarte aus Haifa. Sie schrieben:

Liebe Yvonne, Tanja, Ines, Stephanie, wir – das heißt meine Frau und ich – haben uns über euren lieben Brief sehr gefreut. Er war seit dem 31. März zwanzig Tage unterwegs und ist gestern bei uns eingetroffen. Ich, Karl Catriel Fuchs, beantworte ihn zuerst, da meine Frau eine sehr schwere Grippe hat, zittrig und mit hohem Fieber. Sie wird euch bald selbst ausführlich schreiben. Ob wir beide euch eine Lebensweisheit mitteilen können, weiß ich nicht, jedoch Lebenserfahrungen, Erinnerungen bestimmt. Wir planen einen längeren Österreichbesuch im Frühherbst, vielleicht gelingt uns ein Treffen, was uns sehr freuen würde.

Bitte sendet unsere herzlichen Grüße zu den Sternen, es bewegt uns sehr, dass ihr Interesse an unserer Vergangenheit – die die auch aller Österreicher ist – habt.

Eure Hilde und Euer Catriel Fuchs


Haifa, 10. Juni 2004

Ihr alle Lieben!

Euer letzter Brief – leider undatiert – und unserer vom 25. Mai müssen sich gekreuzt haben. Wollen wir also unsere Korrespondenz irgendwie ins Lot bringen. Jedenfalls wisst ihr nun, wie Hilde Fuchs aussieht, besser gesagt, wie sie vor einigen wenigen Jahren aussah. Ich werde versuchen, neuere Fotos von uns beiden zu finden. Ich habe das Fotografieren schon des Längeren aufgegeben. Wir haben Alben und Kartons voll mit ungeordneten Erinnerungen aus verschiedenen Ländern und Jahrzehnten, die wir uns vornahmen, an einem regnerischen Tag zu ordnen. Nun – regnerische Tage gab es schon viele, doch die Fotos modern weiter in ihren Kartons. All diese Fotos kamen über eine Zeitspanne von etwa 60 Jahren zusammen, nur wenige aus unserer frühen Kindheit haben Flucht, Kriege und andere Katastrophen überstanden.

Wir sind sehr über euren Einsatz, euer Interesse und eure Gefühle für unsere Generation und diversen Schicksale berührt und danken euch dafür, dass ihr von uns wissen wollt, wie es war. Es gibt tausende Bücher und Dokumentationen über diese Zeit des Grauens und Horrors.

Zeitzeugen und Überlebende verschwinden selbstverständlich immer schneller und damit leider – wenn auch verständlich – das allgemeine Interesse und Mitgefühl der jüngeren Generationen.

Wir wollen gerne versuchen, euch – herausgegriffen aus den Millionen tragischer Schicksale – mit unseren persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen einen Einblick in diese noch immer unbegreifliche Zeit der abgrundtiefen Ängste, Panik, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit zu vermitteln.

Dabei sind wir relativ „glimpflich“ davongekommen, wir waren nicht im Konzentrationslager, wir verloren „nur“ unsere Familien, unsere Kindheit, unsere Zugehörigkeit zu dem, was wir für unsere Heimat, unser Volk hielten, und den Glauben an Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Göttlichkeit.

Es wäre schön, wenn wir zu persönlichen Gesprächen zusammenkommen könnten – wir werden während unseres bevorstehenden Österreichbesuches (Mitte August bis Mitte Oktober) versuchen mit euch Kontakt aufzunehmen und euch im Waldviertel zu treffen.

Wir haben weder Fax, Computer, Internet oder E-Mail, nur Telefon. Das klingt vielleicht nicht ganz nach „modernen“ Menschen, jedoch sind wir keinesfalls Steinzeitfiguren, begnügen uns eben mit Telefon und normaler Post, was – zugegeben – weder supermodern und sicherlich nicht sehr schnell und effizient ist.

Zu meiner Geschichte also, selbstverständlich stark verkürzt, denn dies ist nicht die Zeit für eine Autobiografie von 300 Seiten.

Ich wurde im Dezember 1925 in Wien geboren, verbrachte meine ersten vier Lebensjahre in Landsee (St. Martin) im Burgenland und übersiedelte anschließend nach Rodaun, das damals noch zu Niederösterreich gehörte, wo ich auch die erste und zweite Volksschulklasse besuchte. Und damit bin ich ein G`scherter.

Wir – Vater, Mutter, meine kleine Schwester Ruth und ich – waren die einzige jüdische Familie in Rodaun und lebten in ziemlich ärmlichen Verhältnissen. Ich verstand nie richtig, warum ich nicht mit allen anderen Schülern in die Bergkirche gehen durfte und hin und wieder „Gottesmörder“ geschimpft wurde.

Mein Vater, Frontsoldat im Ersten Weltkrieg, in dem er ein Auge verlor, war oft und länger unterwegs und ich weiß eigentlich fast nichts über ihn. Irgendwann in den frühen Dreißigerjahren sah er sich veranlasst oder gezwungen, aus Österreich zu fliehen; wahrscheinlich als Schutzbündler aus politischen Gründen. Ich sah ihn leider nie wieder.

Da unsere Mutter uns nicht erhalten und versorgen konnte, wurden wir gnadenhalber als „Halbwaisen“ in Wiener Waisenhäusern untergebracht. Ich besuchte die Schule in der Selzergasse im 14. Bezirk bis zur dritten Hauptschulklasse. Abgesehen von einigen Straßenraufereien, gelegentlichen Beleidigungen und rassistischen Demütigungen durch manche Mitschüler im Großen und Ganzen auf ganz normale Weise. Meinen damaligen Mitschülern verzeihe ich gerne, sie waren meines Alters und haben die Vorurteile und Verleumdungen von ihren Eltern gehört. Die meisten von ihnen fanden ihren Tod auf den Schlachtfeldern Russlands, Frankreichs und Afrikas.

Und dann – nach dem Anschluss im Jahr 1938 – war alles plötzlich radikal anders. Wir wurden aus der Schule ausgeschlossen und zu „Freiwild“ erklärt. „Juden und Hunden ist der Eintritt verboten“, Ausgangssperre, Schindereien, das Waisenhaus wurde beschlagnahmt, wir wurden auf die Straße gesetzt und waren jugendlichen Schlägertruppen schutzlos ausgeliefert. Meine Mutter wurde aus Rodaun verbannt, welches dann stolz als „judenrein“ erklärt wurde. Sie fand nur im 2. Bezirk eine Einzimmerwohnung, die sie mit einer anderen Frau teilen musste.

Mit anderen willkürlich aufgegriffenen Frauen, älteren, oft gebrechlichen Personen und Kindern wurde sie des Öfteren gezwungen, eine der Brücken über den Donaukanal mit einer Zahnbürste zu putzen, unter dem Gespött der SA und Teilen der Bevölkerung. Ich wurde dreizehneinhalbjährig zur Zwangsarbeit eingezogen und arbeitete in einer Ziegelfabrik und bei einer Baufirma. Der „große Krieg“ war schon ausgebrochen, und meine „Mitarbeiter“ waren polnische und französische Kriegsgefangene.

Ende 1939 gelang es der Israelitischen Kultusgemeinde –

nach Bestechung und Bezahlung an die Gestapo – einer Gruppe Jugendlicher die Flucht über das Karawankengebirge zu Fuß nach Jugoslawien zu ermöglichen. Allerdings wurde ich bei Maribor in Slowenien von der Gendarmerie eingefangen und zurück in das „Großdeutsche Reich“ abgeschoben.

In Wien um Mitternacht angekommen, klopfte ich bei meiner Mutter an, die zuerst sicher war, dass ein so spätes Klopfen nur die Gestapo sein konnte, um sie zum Abtransport nach Osten zu holen. Als sie mich, den sie schon in Sicherheit im Ausland glaubte, sah, fiel sie fast in Ohnmacht.

Ich lebte als „U-Boot“ einige Monate in Wien, konnte dann noch einmal – im harten Winter 1940 – abenteuerlich nur in kurzer Hose und Hemd, über Berge und durch Wälder bis Zagreb fliehen, wo mich die dortige jüdische Gemeinde sofort nach meiner Ankunft mit 40 Grad Fieber und Lungenentzündung ins Krankenhaus brachte und mich weiter betreute.

Auch dort lebte ich ein illegales Untergrund-Dasein, wurde einige Male von der Polizei bei Razzien erwischt, tagelang mit 40–50 Illegalen aller Arten in Zellen gesperrt, die für zehn Insassen bestimmt waren und mit wiederholter Abschiebung bedroht. Jedes Mal jedoch wurde ich von der Gemeinde gegen gehörige Bestechung befreit. Welches Glück ich eigentlich hatte! Einzelheiten würden hier zu weit führen.

Mit dem letzten schon versiegelten Zug verließen wir Jugoslawien, als deutsche Truppen schon Belgrad bombardierten. Unser Zug wurde dann kurz nach der griechischen Grenze von italienischen Flugzeugen beschossen, wobei mir alle meine Familienfotos, Schulzeugnisse und Dokumente verloren gingen, als wir im Dreck neben der Böschung Deckung nahmen.

Nun war es endgültig – meine offizielle Persönlichkeit war ausgelöscht, futsch – es gab mich nicht mehr.

Abenteuerlich ging es weiter durch die Türkei, Syrien und den Libanon, bis ich im damaligen Pälästina ankam und in einem Kibbutz aufgenommen wurde.

Ich lernte eine neue Sprache (nach Serbisch) – die hebräische, arbeitete in der Landwirtschaft und gewann langsam meine Selbstachtung und mein Selbstvertrauen wieder.

Kaum 18 Jahre alt, meldete ich mich als Freiwilliger zur britischen Kriegsmarine. Nach Kriegsende und meiner Demobilisierung war ich Mitglied der Untergrund-organisation „Hagana“ und von 1947 bis 1950 Soldat der regulären israelischen Armee.

Als ich schon in britischer Matrosenuniform war und überzeugt davon, dass ich den Krieg nicht überleben werde, beschlossen Hilde und ich 1944 zu heiraten.

Ich überlebte jedoch und 1948 wurde unser Sohn Josef geboren (nach Hildes Vater benannt) und 1952 unsere Tochter Ruth-Helene (nach meiner Schwester und Mutter benannt).

Von meiner gesamten Familie (Eltern, Geschwister, Onkel, Tanten, Kusinen und Großeltern) hat niemand überlebt – ich sah keinen je wieder.

Nach längeren Nachforschungen meldete mir das Rote Kreuz nur, dass meine Mutter und Schwester (12-jährig) im Jahre 1942 in Minsk ermordet wurden.

Nun, ich meine, fürs Erste wäre es mit diesem knappen Tatsachenbericht genug. Über die Ängste, das Mutterseelenalleinsein, das Gefühl des totalen Verlassenseins und die Aussichtslosigkeit damals, das langsame Wiedergewinnen von Selbstvertrauen, Dazugehörigkeit und Selbstachtung können wir uns ja in Zukunft unterhalten, sowie über alles, was euch interessieren sollte.

Hoffend euch bald persönlich kennen zu lernen.

Mit lieben Grüßen

Catriel Fuchs

PS: Brief von Hilde Fuchs folgt sehr bald!


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