CHAWA KLARA
(früher Wallach) |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
Im Projekt »38/08« war Chawa Kornreich – gemeinsam mit ihrer Schwägerin Miriam Wallach – als »Letzte Zeugin« an der PHS Sta. Christiana Frohsdorf bei Lehrerin Manuela Dorfstetter eingeladen.
Chawa Kornreich wird 1923 als Klara Wallach in Wien geboren. Nach dem Anschluss verliert die Familie ihre Wohnung. Klara Wallach kann kurz vor Kriegsbeginn nach Israel flüchten, ihr Bruder nach England. Ihr Vater wird 1939 nach Dachau und später ins KZ Buchenwald deportiert, wo er 1942 ermordet wird. Ihre Mutter wurde 1942 nach Minsk gebracht, seitdem gibt es keine Nachricht mehr. Ihre kleine Schwester Lotte wird ebenfalls umgebracht. Chawa Klara Kornreich bleibt in Israel, wo sie mit ihrem Mann ein neues Leben beginnt.
»Ein Prachtexemplar von arischem Mädel«
Chawa Klara Kornreich konnte mit 15 in einen Kibbutz nach Israel flüchten. Ihre Eltern und ihre kleine Schwester wurden ermordet.
Als wir am 5. Mai 2008 zum Heldenplatz gingen, und die Schüler uns mit Applaus empfingen, war ich, wie so oft in dieser Woche in Österreich, gerührt. Alles war sehr eindrucksvoll, die Jugend auf der Bühne mit der Aufschrift gegen Rassismus, die Begrüßung, die vielen Erzählungen der ehemaligen Wiener.Als ich die Schule besuchte, wurde ich von der Lehrerin Manuela Dorfstetter und zwei Schülerinnen empfangen, und meine Tochter Noemi und ich wurden den Schülern vorgestellt.
Ich erzählte ihnen, die ja heute so alt sind wie ich vor 70 Jahren war, über den Tag, als Hitler in Wien einmarschierte. Darüber, wie ich sowie fünf weitere jüdische Schülerinnen aus der Schule hinausgeschmissen wurden. Am nächsten Tag mussten wir unsere Wohnung räumen, die gesamte Einrichtung mit den Möbeln zurücklassen und vom 1. Stock des Hauses in eine Kellerwohnung umziehen.
Ich war damals noch zu jung, um diese Situation zu begreifen. Meine Eltern, mein Bruder, meine kleine Schwester, plötzlich hat sich für uns alle das ganze ruhige und schöne Leben über Nacht geändert. Wir durften nun keinen Park mehr betreten, auf keiner Bank sitzen, da ja alles für Juden verboten war.
Wir sahen, wie alte jüdische Männer die Straßen putzen mussten, und wenn es den Nazis nicht rein genug war, bekamen sie Schläge und Fußtritte, und das alles mit Freude und unter blödem Gelächter. Alle Fensterscheiben der jüdischen Geschäfte wurden zertrümmert und diese ausgeräumt, es ist nicht leicht zu beschreiben. Heute, da ich selbst schon Urgroßmutter bin, spüre ich den Schmerz und die schreckliche Vergangenheit viel grausamer als damals, da ich 15 Jahre alt war.
Ich erzählte den Schülern von den Grausamkeiten der Nazis, wie mein Vater plötzlich verschwand, wie er nach Dachau und später ins KZ Buchenwald deportiert wurde, wo er von 2. 10. 1939 bis zu seinem Tod am 15. 9. 1942 gewesen ist.
Meine Mutter wurde am 2. 6. 1942 in Minsk angehalten, seitdem gibt es keine Nachricht mehr. Auch meine kleine Schwester Lotte wurde 1942 nach Maly Trostinec geschickt. Meine Eltern haben viel getan, um wenigstens uns Kinder aus dieser Hölle wegzuschicken. Ich hatte Glück, und konnte noch zwei Monate vor Kriegsausbruch mit Jugend-Aliah nach Palästina fahren, auch mein Bruder bekam im letzten Moment Papiere zur Ausreise nach England, für unsere kleine Schwester Lotte war es leider zu spät.
Ich erzählte den Schülern, wie wir, eine Gruppe von 42 Jugendlichen, in Palästina in einem Kibbutz, »Deganja Alef«, ankamen. Es war im Monat Juli, die Hitze war unerträglich, vier Stunden mussten wir arbeiten, und vier Stunden lernen. Der Kibbutz hat uns sehr schön aufgenommen, aber da war die Sehnsucht nach Hause, die fremde Sprache, die Kost, die Hitze, wir bekamen Ausschläge, Gelbsucht, Fieber und vergossen viele Tränen.
Aber mit der Zeit, wir waren schließlich jung, lernten wir die Sprache Hebräisch, und dann war vieles schon leichter.
Nach zwei Jahren im Kibbutz »Deganja Alef« ging die ganze Gruppe in einen anderen Kibbutz‚ »Chulda«. Ich persönlich lernte dort meine große Liebe kennen, die auch mein Mann und Vater meiner Kinder wurde. 66 Jahre hatten wir ein schönes gemeinsames Leben.
Um ganz ehrlich zu sein, ich wollte nie wieder nach Europa, nach Wien schon gar nicht. Es hat mich aber immer hingezogen, und nachdem ich schon über vierzig Jahre in Israel gelebt hatte, beschlossen mein Mann und ich Anfang der 80er-Jahre, doch zu fahren, um meinen Geburtsort wieder zu sehen. Wir nahmen ein Zimmer außerhalb der Stadt, und fuhren mit dem Auto nach Wien. Ich war sehr aufgeregt, als ich mein Haus im neunten Bezirk, in der Grünentorgasse 19a erblickte, und zu den Fenstern hochsah. Und ich sah in jedem älteren Menschen den Mörder meiner geliebten Eltern und Schwester, so vergingen damals nur wenige Minuten und ich wollte Wien schnell wieder verlassen.
Diesmal war ich sehr gerne hier. Ich erzählte und erzählte den Schülern, beantwortete deren Fragen, meine Tochter beantwortete die Fragen der Schüler in englischer Sprache, und die Lehrerin übersetzte es den Schülern. Man kann doch Geschichten ohne Ende erzählen, denn was meine Generation alles erlebte, ist nicht zu beschreiben.
Was die Lehrerin Manuela betrifft, haben Noemi und ich keine Worte. Sie ist eine Persönlichkeit, einfach entzückend. Wir erhielten von ihr und der Klasse eine Ansichtskarte von deren Urlaub, ich bin sicher, wir bleiben weiter in Kontakt, wir würden uns freuen, die Familie bei uns in Israel zu empfangen.
Eine Anekdote möchte ich noch berichten, die den ganzen Wahnsinn und Irrwitz des NS-Regimes beschreibt: Kurz nach dem Anschluss ist der Schuldirektor in unserer Klasse erschienen und hat uns Schülern einen kleinen Exkurs zum Thema »Typische Merkmale der deutschen Rasse« gehalten. Am Höhepunkt seiner Aus-führungen musste ich vor die gesamte Klasse hintreten, was ich mit vor Angst schlotternden Knien auch tat. Der Direktor meinte daraufhin: »Nehmt euch ein Beispiel an Klara, diesem Prachtexemplar von arischem Mädel – diese herrlichen blauen Augen und diese wunderschönen blonden Haare!«.
Darauf wandte ich mich schüchtern um und sagte: »Aber Herr Direktor, ich bin doch Jüdin.« Dem Schulleiter verschlug es vor Zorn fast die Sprache, dann herrschte er mich an, sofort zu verschwinden und mich nie wieder in der Schule blicken zu lassen.
Was ich auch tat, den gesamten Heimweg über habe ich bitterlich geweint und werde dieses Erlebnis bis an mein Lebensende nicht vergessen.
»Schließe mit tausend Küsse ...«.
Auszüge aus den letzten Briefen, die Chawa Kornreich von ihrer Mutter erhielt.
Wien, am 19. 7. 1939.
Liebe teure Klara!
Bestätige den Empfang deines Briefes. Wie sehr mir derselbe Freude bereitete, kann ich Dir kaum schildern. Ich hoffe, dass Du die Reise gut bestanden hast. Liebe Klara! Seitdem Du weggefahren bist, haben noch meine Augen nicht getrocknet und fortwährend habe ich Herzklopfen. Sollst mir über alles schreiben, wie Dir das Klima behagt und wie Du Dich überhaupt dort fühlst, die ganze Lebensweise und überhaupt alles was Dich betrifft. Du sollst auf Dich aufpassen (...)
Also liebe Klara, schreibe mir oft und alles, schütte mir Dein Herz ganz aus. Von mir kann Dir leider nichts mitteilen. Wie Dir der Hermann dazugeschrieben, ist die Tante mit den Kindern zurückgekommen, wir müssen bis zum 25ten weg, und wissen nicht wohin, vielleicht kriegen wir noch Verlängerung, wenn nicht, müssen wir weg und weiß nicht, ob wir werden durchkönnen. Einesteils bin froh, dass du nicht hier bist, denn hier ist eine Hölle, auch in der Wohnung schaut es grässlich aus, du könntest nicht einen Moment mehr hier bleiben. Der Hermann ist im Kybuz, vielleicht gelingt es ihm wegzukommen, Lotte ist bei der Familie Salzer. Sonst habe Dir momentan nichts mitzuteilen, als ich Dich umarme mein teueres goldiges Kind Du gute Seele hast mich nie sekkiert, sollst glücklich werden, freu Dich mit deiner Jugend, nütze sie aus, aber immer gedenke, was ich mit Dir gesprochen, nur höchst anständig. Schließe mit tausend Küsse. Deine dich liebende Mutter. Der Vater ist doch federfaul und schickt Dir durch mich unzählige Küsse.
Süßes Klärchen. Deinem lieben Lottentschkele geht es bei Salzer sehr gut. Hoffentlich geht es auch dir so gut. Schicke dir viele Grüße u. 1000000 Bussi.Deine Schwester.
Wien, am 8. 4. 1940.
Liebste süße Klara!Habe Deinen Brief erhalten und bin ganz selig, von Deinem Wohlergehen Gewissheit zu haben. Sowohl ich wie auch die Lotte sind wohlauf und auch vom lieben Vater habe schon einige mal Post gehabt. (...) Über Deinem Aussehen bin ich nicht zufrieden, erstens bist Du viel zu ernst, es kommt mir vor du schaust schlecht aus, ich bitte Dich liebe Klara nicht all zu tief über unsere Lage grübeln, denn du kannst uns momentan nicht helfen, und richtest Dich zu Grunde. (...) von mir wüsste nicht, was hinzuzufügen, als dass ich Dich nochmals flehentlich ersuche nicht zu weinen, nicht sich zu kränken, nur bedacht sein auf Deine Gesundheit. Zum Schluß Deines Briefes schreibst Du, liebes Klärchen, ich soll an Dich denken, vergeht denn ein Bruchteil einer Sekunde, wo ich mir nicht Deine Gesichtszüge vergegenwärtige? Ich bin außerstande alle meine Gedanke in Worte zu kleiden, ich bitte innig den Eurigen er möge Euch gesund und munter erhalten.
Im Bewusstsein recht bald gute Nachrichten von Dir zu bekommen, umarme Dich nochmals unzählige Mal, Deine treue Mutter.