Die letzten Zeugen - Das Buc

KARL-AKIVA SCHWARZ


 
 

KARL-AKIVA
SCHWARZ

(früher Karl-Herman)
geb. 1921-08-21
lebt heute in Israel


Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Im Projekt »38/08« war Karl Schwarz im Mai 2008 zu Gast an der NMS 20 in der Wiener Greiseneckerstraße sowie an der Berufsschule Mollardgasse bei Lehrer Robert Patocka, jenen zwei Schulen, die er als Kind und Jugendlicher selbst besucht hat. Die Lebensgeschichte von Karl Schwarz wurde von Marie-Christine Hartig vom Team »A Letter To The Stars« verfasst.

Karl Akiva Schwarz wird 1921 in Wien als Karl Hermann geboren. Im April 1938 flüchtet er nach Bratislava, wird Mitglied einer zionistischen Organisation und geht 1941 an Bord des Raddampfers »Pentcho«, auf dem er nach Palästina entkommen möchte. Doch die Schifffahrt wird zur Odyssee nach Griechenland und Italien. Erst 1945 kommt Karl Schwarz mit seiner Frau in Palästina an. Sein Vater war in Prag versteckt im Widerstand, seine Mutter und seine Geschwister werden in Maly Trostinec bzw. Auschwitz ermordet. Karl Schwarz lebt heute in Israel.

Ein Wiener, der nie unterging ...

Karl Akiva Schwarz wollte auf dem Donauschiff »Pentcho« nach Palästina entkommen. Eine Flucht, das mehr als fünf Jahre dauerte.

Karl Hermann Schwarz wurde am 21. August 1921 in Wien geboren. Sein Vater, Veterinärarzt Josef Erich Schwarz, war tschechischer Staatsbürger. So hatte die ganze Familie tschechische Pässe. Seine Mutter Erna Fleissig-Schwarz war Mutter und Hausfrau und kümmerte sich um ihre drei Kinder. Karl hatte eine ältere Schwester, Henrietta (Rita) und einen jüngeren Bruder namens Heinrich (Heini). Sie sind in Brigittenau in der Bäuerlegasse 21 aufgewachsen, in ihrem näheren Umfeld wohnten Tanten und Großeltern – so kam die Familie regelmäßig zusammen. Seine Eltern waren nicht fromm und auch Karl wurde nicht religiös erzogen. Die Feiertage begingen sie dennoch, bei diversen Tanten. »Wir freuten uns immer auf unsere Geschenke«, sagt Karl Schwarz, »wir waren ja ganz normale Kinder!« Die Straße, in der sie wohnten, verwandelten sie in einen Fußballplatz und dem Zuckerbäcker in der Rauscherstraße halfen sie gegen etwas Süßes, dessen Cremeschnitten und Indianerkrapfen auszutragen. Karl Schwarz und sein Bruder Heini besuchten die Hauptschule in der Greisen-eckergasse, die Karl bei seinem Wien-Besuch im Mai 2008 besuchte.

Karl Schwarz wollte nach Israel und bekam die Erlaubnis seiner Eltern, der zionistischen Bewegung »Betar« beizutreten. Nach der Hauptschule musste ein weiterer Bildungsweg für ihn gefunden werden. Nachdem sein Wunsch nach Israel zu gehen groß war, beschloss der Vater, dass Karl ein Handwerk erlernen sollte, da in Israel »Männer vom Fach« gebraucht würden. Demnach besuchte Karl Schwarz die Technische Schule in der Mollardgasse und lernte dort Werkzeugschlosserei. Einmal pro Woche musste er zum Theorieunterricht und zu technischen Übungen in die Schule gehen, den Rest der Woche arbeitete er in der Metallwarenfabrik »Wälder & Company« am Rennweg, wo er fast 5 Schilling pro Woche verdiente.
Im März 1938 wurde die Fabrik geschlossen, der Besitzer war ein Jude und Freund von Erich Schwarz, und auch in der Schule war Karl Schwarz nicht mehr erwünscht. Er erhielt einen Arbeitslosen-Ausweis und musste sich wöchentlich beim Arbeitsamt melden. Eines Tages sagte ihm der Beamte, wäre er, Karl Schwarz, Jude, so würde er ihn nach Deutschland schicken, zur Zwangsarbeit. Aufgrund der Papiere, die damals noch nicht den Eintrag »J« für Jude enthielten, ging der Beamte davon aus, dass Karl Schwarz Tscheche  sei und kam nicht auf den Gedanken, dass er auch Jude sein könnte. Karl Schwarz sagte kein Wort und ging wieder nach Hause. Er wusste, dass er sobald als möglich aus Österreich, ja aus Europa, fliehen müsse.

Im April 1938 ging Karl Schwarz nach Bratislava. Sein Vater händigte ihm seinen tschechischen Pass aus, organisierte ihm eine Wohnung und einen Job in einer Fabrik für technische Messgeräte, ebenfalls bei einem Freund,  Erwin Winter. Karl Schwarz hatte nämlich von einem Schiff gehört, das von Bratislava nach Palästina gehen sollte. Doch das Schiff fuhr nie ab. Erst zwei Jahre später organisierte sich die zionistische Bewegung einen Raddampfer, um nach Palästina zu gelangen – die »Pentcho«. Karl Schwarz war als Mitglied der Organisation zuständig für die Transportabteilung und stark in die Koordination eingebunden. In Bratislava ging es ihm gut, er meint, er konnte sich nicht beklagen, hat recht gut verdient und ist jeden Abend »drah’n« gegangen, und »Mädels gabs’ auch genug«.

In der Organisation traf Karl Schwarz im Dezember 1939 seine zukünftige Frau Elvira Huppert, die ebenfalls vom Schiff nach Palästina gehört hatte und von Polen über das Tatra-Gebirge in die Tschechoslowakei ge-kommen war. Karl Schwarz hatte sie im Haus der Bewegung »Betar« empfangen. Es entstand eine innige Freundschaft und Liebe zwischen den beiden, die nicht so bald erlosch.

Im September 1939 brach der Krieg mit Polen aus. Da Karl Schwarz tschechischer Staatbürger war, erhielt er den Einberufungsbefehl durch die Tschechoslowakei. Er wusste, dass er, würde er jetzt in den Krieg ziehen, nicht mehr viel Chancen hätte, nach Israel zu kommen oder gar zu überleben. Zoltan Schalk, sein Agent aus der zionistischen Bewegung, schickte ihn und einen Freund nach Piestany, einem Kurort in der heutigen Slowakei. Dort sollten sie sich für zwei Monate verstecken. Am 16. 5. 1940, einem kalten, regnerischen Tag, wurde das lang erwartete Schiff in Bratislava eingeschifft. Zwei Tage später machte sich der Raddampfer »Pentcho« auf den Weg nach Palästina. Sie fuhren die Donau entlang, um zum Schwarzen Meer zu kommen und weiter über den Bosporus ins Ägäische Meer zu gelangen. In Bezdan kamen weitere 100, meist ältere, Leute an Bord. Sie waren aus dem KZ Dachau gekommen und mussten auf direktestem Weg weg aus Europa. Schlussendlich waren sie nun 500 Leute auf dem Raddampfer, der für 300 geplant war.

Die nächsten Stationen waren Dobra, Vidin, Lom, Bechet, Orekhovo und Giurgiu. Giurgiu liegt in Rumänien, die Besatzung hatte die internationale Hungerfahne gehisst, aber die Rumänen wollten sie nicht durch das Eiserne Tor lassen. Als die Besatzung mit ein wenig Geld winkte, gaben sie nach und ließen die »Pentcho« weiterfahren. Am 25. 9.  hielten sie in Mytilene auf der griechischen Insel Lesbos. Karl Schwarz erinnert sich noch gut an die Insel. Er tauschte mit den Fischern von Mytilene seine Uhr und ein paar Stiefel gegen Feigen und Trauben, Öl und Oliven. Danach hielten sie im Hafen von Piräus, wo sie von der dortigen jüdischen Gemeinde Öl bekamen und wieder Proviant tauschten. Am 6. 10. passierten sie die Insel Stampalia und Karl Schwarz erzählt, dass die Matrosen statt Süßwasser Salzwasser in die Kessel des Dampfers füllten. Das hatte zur Folge, dass die Kesselwände zerfressen wurden und die Maschinen zu arbeiten aufhörten, nachdem einer der Boiler explodiert war. Der Kapitän erteilte daraufhin den Befehl, alle Leintücher und Textilien abzugeben, und die Frauen nähten ein Segel. So schafften sie es noch bis zur Insel Kamilanisi, wo die »Pentcho« strandete. Die Insel war karg und hatte nichts zu bieten. Alle Passagiere holten ihre Sachen vom Schiff und bauten sich kleine Hütten. Zwei Tage nach ihrer Ankunft, am 10. 10., ging die »Pentcho« endgültig unter. Fünf Männer der  Organisation machten sich mit dem Rettungsboot auf den Weg, Hilfe zu holen. Sie stießen auf ein Schiff der britischen Armee. Die Briten schickten einen Notruf an das Internationale Rote Kreuz. Der Funkspruch wurde von den Italienern abgefangen und so kamen ihnen diese zu Hilfe und brachten sie nach zehn harten Tagen nach Rhodos. Dort wurden sie in kleinen Zelten in einem Fußballstadion untergebracht. Da die Zustände dort unzumutbar waren, wurden die Passagiere der »Pentcho« in die Kaserne »Campo San Giovanni« gebracht. Es waren insgesamt 500 Passagiere, die jetzt in der Kaserne lebten. Die Italiener teilten sie in zwei Gruppen und überführten die erste am 12. 1. 1942 nach Ferramonti in Kalabrien. In der zweiten Gruppe, am 3. 3., waren auch Karl Schwarz und Ella Huppert dabei. In Ferramonti waren um die 2.000 Menschen interniert. Es war das größte italienische Lager, 1938 erbaut, als Mussolini die Anti-Judengesetze verabschiedete. In einem Haus wohnten ca. dreißig Männer oder Frauen, und es gab eigene Häuser für Verheiratete. Am 12. Oktober 1942 wurden Karl Schwarz und Ella Huppert von einem Rabbi im Camp verheiratet und so konnten sie in ein gemeinsames Haus ziehen. Karl Schwarz bekam auch einen Job. Er wurde als Offizier tätig und kümmerte sich um die Verpflegung im Camp. Ein Mal pro Woche bekam er ein Auto zu Verfügung gestellt und besorgte außerhalb des Lagers Öl, Zucker, Zigaretten, Mehl und diverse Konserven. Am 5. Juli 1943 wurde ihr erster Sohn Peter geboren, welcher 1949 an Kinderlähmung verstorben ist. Am 8. 9. 1943 landeten die Alliierten auf Sizilien und britische Gesandte besuchten wenig später das Lager. Die erste Gruppe wurde daraufhin am 28. 5. 1944 auf dem Schiff »Batori« nach Palästina gebracht. Karl und Ella Schwarz mussten noch ein Jahr warten und kamen erst im April 1945 ins langersehnte Israel.  Im Auffanglager in der Nähe von Haifa arbeitete Karl Schwarz für die Stadtgemeinde und reparierte Wasseruhren.

Zwei Tage nach ihrer Ankunft kamen drei elegant gekleidete Männer in das Auffanglager und fragten nach Karl Schwarz. Sie kamen ebenfalls aus Österreich, ein Industrieller, ein Geschäftsmann und einer von der »Palestine Electric Gesellschaft«. Sie gehörten der Vereinigung österreichischer Einwanderer an und boten ihm einen Job als Schlosser und Elektriker an. Als er sich in der Personalabteilung vorstellen ging, sprach er mit einem Herrn Bloch und es stellte sich heraus, dass dieser ums Eck von Karl Schwarz in der Wiener Brigittenau gelebt hatte – »das Eis war gebrochen!« Karl Schwarz stieg bis zum Leiter für das Versorgungsbüro eines Kraftwerkes auf, konnte sich und seiner Familie ein gutes Leben bieten und musste endlich nicht mehr darüber nachdenken, wie man die nächste Mahlzeit sicherstellen könnte.

Heute lebt Karl Schwarz in Haifa, seine Tochter Esther und ihre Familie wohnen ganz in seiner Nähe. Innerlich ist Karl ein echter Wiener geblieben, der wienerisch spricht und so auch seine E-Mails schreibt.

Sein Vater hatte in Prag den Bescheid erhalten, dass er deportiert wird. Er weigerte sich, schloss sich dem Widerstand an und musste sich von nun an in Prag verstecken. So überlebte Erich Josef Schwarz den Krieg und hat bei der Befreiung von Prag mitgeholfen. Er versteckte sich im Keller der Christin Esther Schultz. Nach dem Krieg heiratete er diese Frau und starb 1949 an »gebrochenem Herzen«, wie Karl Schwarz sagt.

Seine Mutter Erna und sein Bruder Heini wurden am 2. Juli 1942 durch die geheime Staatspolizei in Prag gefangen genommen, nach Theresienstadt deportiert und von dort aus am 20. August nach Maly Trostinec überstellt, wo sie ermordet wurden. Seine Schwester Henrietta und ihr Mann Pavel Beran wurden in Auschwitz ermordet.

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