RUTH BACHNER(früher Wallach)geb. 1930-08-05 lebt heute in den USA |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.
Andrea Wallmann, 2007 Schülerin an der BHAK Neumarkt am Wallersee in Salzburg, ist als Botschafterin der Erinnerung in New York der Überlebenden Ruth Bachner begegnet, die 1939 nach Belgien flüchten konnte, wo sie in einer katholischen Kirche überlebte.
"Ruth war wie versteinert"
Ruth Bachner wurde am 5. August 1930 in Wien geboren und wohnte im 9. Bezirk. In Wien führte sie gemeinsam mit ihrer Familie ein gutes Leben, denn ihre Eltern führten ein eigenes Geschäft.1938 passte die Cousine ihrer Mutter auf sie und ihren Bruder Kurt auf und sie gingen gemeinsam zum Geschäft ihrer Eltern. Auf dem Weg dorthin, sahen sie Hitler durch die Hauptstraße marschieren und hörten all die Menschen rufen: „Heil Hitler! Sieg Heil!“
Ruth war wie versteinert und konnte sich nicht bewegen. Die Kraft der Schreie war markdurchdringend. Weil Ruth noch ein Kind war, verstand sie nicht wirklich, worum es ging, jedoch wird sie diesen Anblick niemals mehr vergessen können!
Ruths Eltern waren sich bewusst, dass sie früher oder später das Land verlassen mussten und wollten so schnell wie möglich ihre Kinder in Sicherheit bringen.
So überlegten sie, Ruth und Kurt per Kindertransport in Sicherheit zu bringen. Leider war Ruths Bruder noch zu jung, um diese Möglichkeit in Anspruch zu nehmen. Aus diesem Grund blieb ihnen nichts anderes übrig, als noch abzuwarten. Abzuwarten auf einen geeigneten Moment zur Flucht.
Im Jänner 1939, kurz vor dem Anschluss, war es dann soweit, dass sie flüchten konnten – flüchten mussten. Mit nichts außer einem gefälschten Pass in der Tasche, flohen Ruth, ihr 4-jähriger Bruder und ihre Mutter mit dem Zug von Wien nach Aachen, welches an der Grenze zwischen Deutschland und Belgien liegt.
Dort trafen sie auf einen Mann, der von Ruths Onkel angeheuert wurde, um sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über die Grenze zu schleusen.
Angekommen in Belgien, wurden alle drei Familienmitglieder voneinander getrennt und separat versteckt.
Ihr Vater floh bereits kurz nach der Kristallnacht im November 1938 und war deshalb schon in Belgien.
Die Jahre in Belgien erwiesen sich als nicht einfach für Ruth und ihre Familie. Keiner hatte eine Ahnung, wie es dem anderen erging und die Kinder wussten aus Sicherheitsgründen nicht einmal, wo sich ihre Eltern befanden.
Ruth wurde bei Nonnen versteckt gehalten und besuchte eine Klosterschule. Eines Tages wurde sie von den Nonnen getauft – auf den Namen Marie Renee Leroi.
Erst nach Jahren fanden Ruth und ihre Familie wieder zusammen, worauf das kleine Mädchen die ganze Zeit über gehofft hatte.
Ruth erinnert sich noch deutlich an den Tag, als Belgien bombardiert wurde und sie sich im Straßengraben verstecken musste.
Weinend wandte sie sich an ihren Vater: „Ich habe solche Angst Papa, ich fürchte mich so sehr!“ – worauf dieser antwortete: „Bete, mein Kind, bete!!!“ Und sie betete. Die wenigen Anrufungen, die sie kannte, sprach sie wieder und wieder, solange sie nur konnte.
Die Familie wanderte tagelang auf den Straßen ohne etwas zu essen, deshalb wurde Ruth von ihrem Vater aufgetragen, zu einem Soldaten zu gehen und um Nahrung zu bitten.
Anfangs weigerte sie sich und begann zu weinen, denn sie kannte das Gefühl nicht, um Essen betteln zu müssen.
Als ihr jedoch der Vater erklärte, dass er nicht zu den Soldaten gehen durfte, da er nur Deutsch sprach, wodurch er sofort als Nazi verdächtigt worden wäre, und nur Ruth sich in Französisch ausdrücken konnte, verstand sie die Lage und tat es dann doch.
Im Jahr 1947 beschloss die Familie letztendlich, nach Amerika zu emigrieren. Dort trafen sie ihre Verwandten, die keine Ahnung hatten, was in Österreich und Deutschland passiert war, da diese bereits 1940 in die USA auswanderten.
Ihre Tante befahl Ruth, nicht über die Vorfälle in Europa zu sprechen und das Geschehene einfach zu vergessen... Somit bestand keine Chance, die aufgestauten Gefühle verarbeiten zu können.
In Amerika besuchte Ruth dann das New Yorker College, wo sie als Buchhalterin ausgebildet wurde und lernte Fred, Deutscher Holocaust-Überlebender, kennen und lieben.
Gemeinsam gründeten sie eine Familie und leben heute in einem Vorort von New York.
Auch nach all den Ereignissen, würde Ruth, wenn sie die Wahl hätte, wieder ein jüdisches Leben leben. Warum? Weil sie ihre Religion liebt und dazu steht Jüdin zu sein.
Ruth Bachner ist eine außergewöhnliche Frau. Durch regelmäßiges Fitnesstraining hält sie sowohl ihren Körper als auch ihren Geist fit und vital. Aufgrund der roten Haare sieht man ihr die 76 Jahre nicht im geringsten an. Die Begegnung mit ihr war begleitet von einer derartigen Herzlichkeit, die mich von Anfang an überwältigte.
Es ist bewundernswert, dass sich so viele Holocaust-Überlebende gemeldet haben, um wildfremde Jugendliche zu ihnen nach Hause einzuladen und über intimste Dinge ihrer schweren Vergangenheit zu sprechen.Ich glaube, dass die Tatsache, dass die beiden, Ruth und Fred, schon seit einiger Zeit in der Öffentlichkeit, u.a. auch in Schulen, über ihre Erinnerungen der Nazi-Zeit berichten, trägt viel dazu bei, dass es leichter gefallen ist, sich mit mir darüber zu unterhalten.
Nichtsdestotrotz fühlte ich mich geehrt, all diese persönlichen Empfindungen mit ihr zu teilen und an spätere Generationen weitergeben zu dürfen.
Und genau das ist unsere Aufgabe als „Botschafter der Erinnerung“. Wir geben Überlebenden die Gewissheit, dass ihre Geschichten niemals vergessen werden und versuchen aus Geschehenem zu lernen.