Die letzten Zeugen - Das Buc

JULIAN SCOTT


 
 

JULIAN SCOTT

(früher Kornspann)
geb. 1913-06-05
lebt heute in Großbritannien

Ermordete Verwandte


Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Hitler kam beim Schifahren

Vor fast 70 Jahren gelang Julian Scott die Flucht nach England. Demnächst kehrt der Holocaust Überlebende in seine alte Heimat zurück.


Die obligatorische Frage nach einer Tasse Tee verschiebt Julian Scott auf später. Das erste, das er mir in seinem noblen Londoner Appartement anbietet, ist eine Wette: „Was glauben Sie, wie alt bin ich?“ Er weiß, dass er viel jünger aussieht, als er ist. Der rüstige Rentner gewinnt immer. Damit das so bleibt, steige ich nicht auf seine Wette ein. Es wäre unfair, ich kenne sein Alter auf den Tag genau. Ich weiß, dass er am 13. Juni 1913 in Wien geboren wurde. Ich weiß auch, dass er damals Julius Kornspann hieß. Und ich weiß, dass er als einer von wenigen österreichischen Juden der Vernichtungsmaschinerie der Nazis entkommen konnte.

Die letzten Zeugen

Es ist mein Job, all das zu wissen. Ich bin nämlich ein „Botschafter der Erinnerung“. Einer von 20 Schülern und jungen Journalisten aus ganz Österreich, die im Rahmen des Projekts „A Letter to the Stars“ nach London gereist sind, um dort Holocaust-Überlebende zu treffen. Unsere Mission: Die Lebensgeschichten der letzten Zeitzeugen festzuhalten. In ein paar Jahren werden sie verstummt sein. Für immer. Julian Scott ist alles andere als schweigsam. Der 94-Jährige erzählt gerne und gut. Sein Deutsch ist noch immer fließend, nur ab und zu kommt das Englische durch. „Anyway,wollen Sie lieber Tee oder Kaffee?“, holt Scott sein Angebot nach. Ich nehme Kaffee. Draußen wälzt sich der Verkehr die breite Kensington High Road hinunter. Autos hupen, alle paar Minuten fährt ein roter Doppeldecker Bus bei der Haltestelle unter Dem Fenster vor. Scott nimmt von alldem keine Notiz. Mit seinen Gedanken ist er im März 1938, der Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland. „Ich war damals gerade Schifahren. Vor den Hütten standen Schilder mit der Aufschrift ,Juden und Hunden ist der Eintritt verboten‘. Ich wusste nicht, was loswar.“ Das sollte sich rasch ändern. Zurück in Wien, stand die SA bereits vor der Tür. „Die haben uns überfallen und alles geraubt, was wertvoll war“, erinnert sich Scott. Die Margarinefabrik im 20. Bezirk wurde arisiert, Scott und sein Vater verhaftet. Was danach kam, fällt ihm schwer zu erzählen: „Meine Eltern haben niemandem etwas getan, trotzdem wurden sie im Konzentrationslager ermordet.“ Er selbst überlebte. Dank gefälschter Papiere, die ihn über Umwege nach England brachten. Seinen Namen änderte er beim Eintritt in die britische Armee. Nach dem Krieg sollte er damit Karriere machen. Als Chef von „French & Scott“, einer Firma für hochwertige Kosmetikprodukte.

Die alte Heimat

Seine alte Heimat hat er dennoch nie vergessen. Was sie ihm angetan hat, aber auch nicht. Trotzdem kehrt er in zwei Wochen wieder zurück. Zum ersten Mal mit seiner Tochter. Vorurteile hat er keine: „Die jungen Menschen trifft ja keine Schuld. Meine Generation sehe ich mir aber genau an. Da bin ich hartnäckig.“ Fast so hartnäckig, wie wenn es um eine Wette geht. Nach meinem Korb startet Scott einen zweiten Versuch: „Wie viele Jahre geben Sie mir noch?“ Ein schlauer Schachzug, ich kann nur verlieren. Wie gesagt, Mr. Scott gewinnt immer.

Home > Die Letzten Zeugen > Julian Scott