KURT WEINBACHgeb. 1928-07-06(verstorben 9/2010) lebte zuletzt in den USA |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.
Kurt Weinbach wurde im Juli 1928 in Wien geboren. Sein Vater verhalf vielen Juden zur Emigration, indem er sie zu Uhrmachern ausbildete. Durch die Bekanntschaft mit einem SS-General konnten die Weinbachs 1941 mit der Transsibirischen Einsenbahn nach China flüchten. Kurt lebt heute in Rochester, USA.
Ein Nazi-General ermöglichte die Ausreise aus Österreich
Der Schüler Matthias Streicher aus der HS Frankenburg hat Kurt Weinbach, dessen Lebensgeschichte er recherchiert hat, persönlich kennen gelernt. Der Überlebende ist aus den USA auf Besuch nach Wien gekommen.
Als Hitler mit seinem Mercedes am 14. März 1938 durch Wien fuhr, stand der damals neuneinhalbjährige Kurt Weinbach nur wenige Meter entfernt von ihm. Tausende und Abertausende Österreicher säumten die Straßen, sie applaudierten und jubelten ihm zu. Kurt Weinbach fühlte sich, als wäre er der einzige Jude in der Menge, als wäre er der einzige, der nicht mit dem Hitlergruß salutierte.
Sein Vater Israel Weinbach war ein patriotischer Österreicher, der ab 1908 in der österreichischen Armee gedient hatte. 1914 wurde er an die russische Front geschickt. Dort wurde er zum Korporal ernannt und als Kriegsfotograf eingesetzt. In seiner Funktion als Fotograf reiste er viel mehr als andere Soldaten. So wurde er zu einem Bindeglied zwischen den Soldaten und ihren Familien zu Hause. Er tauschte Fotos von der Front gegen kleine Geschenke der Soldatenmütter und -frauen, die er den Soldaten mitbrachte. So wurde er sehr beliebt in seiner Truppe. Auch mit seinem Vorgesetzten Heinrich Stümpfl freundete er sich an, und diese Freundschaft sollte für die Familie Weinbach noch einmal sehr wichtig werden.
Im März 1938 war Heinrich Stümpfl bis zum Drei-Sterne-General aufgestiegen. Er wurde als Stadtkommandant Wiens eingesetzt. Israel Weinbach schrieb dem General einen Brief, um ihm zu diesem Aufstieg zu gratulieren, obwohl er Heinrich Stümpfl seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Der General antwortete prompt und lud Israel Weinbach zu einem Gespräch ein. Dabei versprach er, ihm zu helfen, sofern es ihm möglich sei. „Aber sobald ich dir sage, es ist Zeit zu gehen, musst du sofort gehen“, teilte er Kurts Vater mit.
Sieben Monate später, in der „Reichskristallnacht“, wurden in ganz Wien jüdische Synagogen zerstört, Geschäfte geplündert, Schaufenster eingeschlagen ... Das Uhrmachergeschäft der Weinbachs blieb jedoch heil, weil sich Nachbarn vor dem Geschäft aufgestellt hatten, um es vor einer Zerstörung zu bewahren. Allerdings kam nach den Unruhen die Gestapo und zog den Schlüssel des Geschäfts ein. Nur mit viel Mut und nach der Androhung, er würde General Strümpfl kennen und ihn verständigen, warf man Kurts Vater die Schlüssel wieder vor die Füße.
Im Herbst 1939 wollte die Familie Weinbach in der einzigen Synagoge, die in Wien nicht verwüstet worden war, den Sabbath feiern. Weil sie – von außen nicht sichtbar – inmitten eines Bürokomplexes stand, war sie verschont geblieben. Kurts Vater blieb an diesem Abend zu Hause, für den Fall, dass sie festgenommen würden. Es war der erste Sabbath seit fast zwei Jahren, den sie in der Synagoge feierten. Kurt empfand diesen als ganz besonders festlich. In den ersten Reihen saßen allerdings SS-Offiziere, und keiner wusste so recht, was passieren würde. Es passierte nichts. Die Feier wurde von der SS nicht gestört. Es war wahrscheinlich die letzte Sabbath-Feier, die es bis Kriegsende in Wien gegeben hat.
Bert, der ältere Bruder Kurts, hatte seit 1938 mehrmals versucht zu fliehen. Das erste Mal versuchte er, die Grenze zur Tschechoslowakei zu überschreiten, aber er wurde zurückgeschickt. Ein Fluchtversuch nach Frankreich scheiterte ebenso. Schließlich schaffte er es nach China zu fliehen, da für eine Einreise in China noch kein Visum erforderlich war. Er ließ sich in Tientsin nieder und schrieb seinen Eltern von der dortigen jüdischen Gemeinde einen Brief, in dem die Weinbachs eingeladen wurden, Mitglieder dieser Gemeinschaft zu werden. Dieser Brief wurde gut aufbewahrt, denn man wusste, dass es immer weniger Länder gab, die jüdische Flüchtlinge aufnahmen. Auch wenn es nur ein privater Verein war, der sie einlud, es war immerhin ein Stück Papier.
Das Überleben in Wien wurde immer schwieriger. Viele Berufe wurden für Juden verboten. Ärzte, Professoren, Rechtsanwälte und viele andere durften ihre Berufe nicht mehr ausüben. Kurts Vater schaffte es in dieser Zeit zu überleben, weil viele hochqualifizierte Personen einen Handwerksberuf lernen wollten, um ausreisen zu können, und er als Uhrmacher solche Kurse anbieten konnte. Am Vormittag unterrichtete er Juden, am Nachmittag unterrichtete er die so genannten „Mischlinge“. 1940 wurden die Weinbachs wie viele andere zuvor aus ihrer Wohnung geschmissen. Sie konnten in einer kleinen Einzimmerwohnung eines Cousins unterkommen. Kurts Eltern bemühten sich während der ganzen Zeit um eine Ausreise. Aber es gestaltete sich sehr schwierig und war sehr teuer. Verwandte in Amerika konnten ihnen im März 1940 schließlich die nötigen Dokumente und Tickets zuschicken. Das Schiff sollte von Genua ablegen. Aber leider erklärte Italien im Juni 1940 Frankreich und Großbritannien den Krieg. Auch von Italien war eine Ausreise nun nicht mehr möglich.
Im Jänner 1941 bekam Kurts Vater einen Brief von General Strümpfl. Darin stand: „Zeit zu gehen ... Heinrich“. Jetzt gab es nur noch ein Land, in das man ausreisen konnte – China, wo Kurts Bruder sich niedergelassen hatte. Zuallererst brauchte es eine Genehmigung, durch Russland reisen zu dürfen. Dies war nur noch mit einem Erste-Klasse-Ticket in der Transsibirischen Eisenbahn möglich. Das war äußerst kostspielig und konnte nur in amerikanischen Dollars bezahlt werden. Kurts Vater konnte sich das nicht leisten. Dann brauchten sie Visa, um Österreich verlassen zu können. Als sie in die zuständige Behörde gingen, um wegen der Visa anzufragen, lagen dort die Visa und auch die Zugtickets bereit. Die Vermutung lag nahe, dass das General Strümpfl ermöglicht hatte. Schließlich sperrte sich noch die japanische Botschaft gegen ein Transitvisum für die Weinbachs, aber Kurts Mutter begann vor dem Generalkonsul so zu toben, dass der ihr doch ein Transitvisum genehmigte. In der Nacht vor der Abreise kam die Gestapo noch in die Unterkunft der Weinbachs, durchsuchte ihr Gepäck nach Wertsachen und versiegelte es daraufhin. Kurt konnte schließlich mit seiner Familie ausreisen. Mit ganzen 24 $ pro Kopf. Mehr durften sie nicht mitnehmen. Aber General Stümpfl dürfte auch dafür vorgesorgt haben, denn das Essen im Speisewagen war für die Weinbachs im Voraus bezahlt worden. An der russischen Grenze wurden die Weinbachs noch einmal durchsucht. Selbst die Äpfel, die sie mithatten, wurden ihnen dabei abgenommen. Als der junge Kurt den Apfel zurückforderte, waren die russischen Beamten aber so verblüfft, dass sie ihm nicht nur seinen Apfel, sondern auch die der anderen zurückgaben.
Drei Wochen dauerte die Zugreise. Man fuhr durch immer ärmere Gegenden, bis der Zug schließlich Wladiwostok erreichte. Die teuren 1. Klasse-Schiffskarten Richtung Japan tauschte Kurts Vater nun gegen die billigsten 4.Klasse-Karten ein, um etwas mehr Geld zur Verfügung zu haben. Kurt erinnert sich, dass sie zusammengepfercht wie Sardinen im Schiffsbauch reisen mussten. Alle waren krank, die Verhältnisse waren grauenhaft. Kurt war der einzige in der Familie, der etwas Englisch sprach, deshalb musste er als 12-Jähriger mit den japanischen Beamten um eine Einreise nach China verhandeln. Anfangs lachte man nur, als Kurt den Einladungsbrief herzeigte, den sein Bruder aus Tientsin geschickt hatte, aber als sie in den Pässen der Weinbachs das „J“ sahen, genehmigten sie die Einreise schließlich doch.
Kurt Weinbach und seine Eltern schafften es ein Ticket für die weitere Schiffsfahrt zu kaufen und an einem Freitag spät nachmittags kamen sie in Tientsin an. Kurts Bruder Bert wartete dort bereits am Pier auf sie. Anfangs mussten sie alle in einem Zimmer wohnen, aber ein Jahr später konnten sie sich bereits ein kleines Apartement in einer Seitenstraße leisten, weil es Israel Weinbach auch hier wieder schaffte, einen kleinen Uhrmacherladen aufzuziehen. Bis 1949 lebten die Weinbachs im britischen Distrikt von Tientsin. Daneben gab es noch deutsche, italienische und französische Distrikte. Die meisten Juden lebten im britischen Distrikt, es gab allerdings keine strengen Grenzen. Trotz der schrecklichen Judenvervolgung der Nazis arbeiteten in Tientsin einige jüdische Ärzte in von Deutschen geführten Spitälern, wo sie von diesen mit Medikamenten versorgt wurden. Es gab in Tientsin ein eigenes jüdisches Spital, ein Schule, eine Synagoge, ein Altersheim und einen Friedhof. Kurt lernte zusammen mit 25 anderen Schülern aus aller Welt in Tientsin Hebräisch, Jiddisch, Englisch, Chinesisch, Russisch und etwas Japanisch.
Während des Zweiten Weltkriegs war es nicht erlaubt, ein Kurzwellenradio zu besitzen. Der jüdische Club in Tientsin bekam jedoch eine Ausnahmeregelung. Man wusste Bescheid, was in der Welt passierte. Ein großer Schock ging durch die Gemeinde, als über das Ausmaß der Judenvernichtung in den Konzentrationslagern berichtet wurde. Man wußte über den Hunger, die Not, den Mangel an Medikamenten in Konzentrationslagern Bescheid, nicht jedoch über die Massenvergasung und die Verbrennung von Millionen von Juden. Schließlich hörte man im Mai 1945 von der Kapitulation Deutschlands, doch bis zu Kapitualtion Japans am 9. August 1945 war in Tientsin der Krieg noch nicht vorbei.
Im Jahr 1949 verließ die Familie schließlich China. Kurt und seine Eltern wanderten nach Israel aus, wo sie acht Jahre blieben. Kurts Vater starb kurz nach der Ankunft in Israel. 1957 wanderten Kurt und seine Mutter nach Rochester (USA) aus, wo Kurt seine Frau Sheila Gissin kennen lernte. Er arbeitete als Einkaufsmanager für verschiedene große Firmen und ist bis heute aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde von Rochester. 2004 konnte Kurt Weinbach auf Einladung des Jewish Welcome Service mit seiner Frau Sheila nach Österreich kommen. Und so konnte ich ihn und seine Frau persönlich kennen lernen und Kurt erzählte mir seine Lebensgeschichte.
Matthias Streicher, HS Frankenburg, 2005
Grundlage für die Beschreibung dieser Lebensgeschichte war die Erzählung von Kurt Weinbach und das Buch "Perilous Journeys", das vom "Center for Holocaust Awareness and Information" in Rochester herausgegeben wurde.
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.
Um mehr über Kurt Weinbachs Lebensgeschichte zu erfahren, klicken Sie bitte auf folgenden Link: http://thzici.cias.rit.edu/perilousjourneys/
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