MELITTA
(früher Feuer) |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.
Clara-Theresia Jaschke, Schülerin am Gymnasium der Franziskaner in Hall in Tirol, ist im April 07 als Botschafterin der Erinnerung in New York den Überlebenden Melitta & Ludwig Anderman begegnet, die den Holocaust auf der Flucht überleben konnte.
Eine Begegnung in New York City
Die Schülerin Clara Jaschke über ihre Begegnung mit Melitta und Ludwig Anderman.
Zum ersten Mal trat ich mit den Andermans im März 2007 in Kontakt; auf die erste Mail, die meine Klasse gemeinschaftlich verfasste, antwortete uns Herr Anderman auf Deutsch. Sofort merkten wir, dass wir es hier mit offenen, freundlichen und interessierten Herrschaften zu tun hatten. Er erzählte uns von seinem Skiunfall, aufgrund dessen seine Frau und er ihre geplante Wienreise hatten verschieben müssen.Wenig später begann ich, persönlichen Mailkontakt zur Familie Anderman zu suchen. Melitta, mit der ich vorwiegend hin und her schrieb, interessierte sich sehr für mich und meine Interessen, erzählte aber auch viel von ihrem Leben in New Jersey und schickte mir einige Fotos. Wie es so ist, wenn man Menschen neu kennenlernt, noch dazu wenn der Altersunterschied so groß ist, blieben die Unterhaltungen doch erst eher an der Oberfläche...besonders weil ich mir nicht sicher war, was ich fragen durfte und was ich mir besser für unsere erste persönliche Begegnung aufsparen sollte...es fiel mir ehrlich gesagt eher schwer, diesen Menschen, die ich doch eigentlich überhaupt nicht kannte (uns trennten ja doch über 6000 km und ungefähr 45 Jahre) so intime Fragen über ihre Vergangenheit per Email zu fragen.
Schließlich kamen wir in New York an; bei einem organisierten Zusammentreffen aller Überlebenden mit „ihren“ Jugendlichen im Museum of jewish heritage standen mir plötzlich zwei äußerst liebenswürdige, junggebliebene Menschen gegenüber. „Hey, we’re the Andermans...are you Clara?“ Bei Kaffee und Kuchen unterhielten wir uns also zum ersten Mal, über meine Eindrücke von New York, die Freiheitsstatue, das schon damals etwas wackelige Wetter und ein bisschen über Wien und Österreich, wie es heute ist. Schon bald merkte ich, dass es ihnen beiden Spaß machte, Deutsch zu sprechen, wobei besonders Herr Anderman seine Frau öfters ermahnte: „Come on, speak german, you need to practise!“ Es war ihnen offenbar beiden wichtig, ihre Wurzeln zu erhalten und das Deutsche nicht zu vergessen. Wir arrangierten ein Date zum Abendessen für Sonntag, zu dem die beiden mit dem Kommentar „oh how lovely, we’ll be two couples“ auch gleich den etwas verdutzten Martin aus unserer Gruppe einluden. Martin und ich, nun ein wenig unfreiwillig, wenn auch nicht unerfreut zum „couple“ erklärt, freuten uns sehr auf die Verabredung.
Am Sonntag dann, das Wetter war, um es mal etwas salopp auszudrücken, äußerst bescheiden, erreichte mich ein Telefonanruf von Melitta..die Brücke aus New Jersey nach New York sei aufgrund des schweren Regens kaum passierbar, und sie müssten unser Dinner leider verschieben. So wurde aus Abendessen am Sonntag ein nachmittägliches Kaffeetrinken am Montag.
Leider verbrachte Martin den Montag mit seinem Zeitzeugen, sodass ich schließlich alleine, mit meiner Videokamera bewaffnet, vor dem youth hostel wartete. Die Andermans holten mich im Auto ab, und erzählten dass sie früher in der gleichen Gegend gewohnt hatten; Herr Anderman hatte sogar eine Apotheke dort. Sie brachten mich zu einem wirklich außerordentlich netten Cafe, und nach einigen Spezialitäten beschloss ich, das Interview zu beginnen. Beide hatten keinerlei Probleme, mit Kamera interviewt zu werden, und beantworteten bereitwillig all meine Fragen. Persönlich fiel mir dabei auf, dass sie auf eine gewisse Art (bewusst oder unbewusst) wohl versuchten, das volle Ausmaß des damaligen Schreckens zumindest zum Teil von mir fernzuhalten. Besonders Frau Anderman schien auch, wie sie selbst sagte, mit der Vergangenheit noch immer zu kämpfen. Sie sagte ihr sei erst im Laufe der Jahre klar geworden, wie sehr sie das Miterleben der Nazizeit in Österreich verändert und verletzt hatte.
Vor allem ist mir in Erinnerung geblieben wie Herr Anderman von ihrer Hochzeitsreise nach Wien Ende der fünfziger Jahre erzählte; er sagte, damals habe er sich gefragt, wie sie das hätten zulassen können, wenn er Österreicher seines Alters auf der Straße sah, doch heutzutage habe sich das verändert, da er wisse, dass Menschen unserer Generation nichts für die Geschehnisse der Vergangenheit können. Dies hat mich sehr berührt, da ich nicht glaube, in so großem Maß zu Vergebung und Verständnis in der Lage wäre, wäre ich in seiner Position.
Die beiden hatten mir ein Geschenk mitgebracht, und ich fühlte mich fast, als wäre ich in ihre Familie aufgenommen; niemals hätte ich damit gerechnet, von meinen „survivors“ so viel Herzenswärme und Zuneigung entgegengebracht zu bekommen.
Auf dem Rückweg machten wir mit dem Auto noch eine kleine Sightseeingtour, bei der ich mitfilmte. Schließlich traute ich mich auch, zum Abschluss des Treffens noch die Frage zu stellen, die mir bereits die ganze Zeit unter den Nägeln gebrannt hatte: Glauben Sie, dass etwas wie unter Hitler in Europa wieder passieren könnte? Und die Antwort war mehr als ich mir erwartet hatte, obwohl sie mir gleichzeitig klar machte wieviel Vertrauen und Zuversicht diese Menschen in unsere Generation setzen...sie war ein überzeugtes Nein. Nein, denn wir glauben, dass Europa aus diesen Geschehnissen gelernt hat, und wir wissen, dass ihr es besser machen könnt.
Und mir wurde bewusst, wieso ich an diesem Projekt teilnehme..und mir wurde ebenso bewusst, dass dies tatsächlich die Aufgabe der heutigen Jugend ist..ich für meinen Teil werde mein möglichstes tun um sie zu erfüllen.
Danke, Mr. Und Ms. Anderman.