BERTHOLD
geb. 1928-02-10 |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Botschafter" erstellt.
Andrea Wallmann, 2007 Schülerin an der BHAK Neumarkt am Wallersee in Salzburg, ist als Botschafterin der Erinnerung in New York dem Überlebenden Berthold Silbermann, 85, der 1939 nach Israel flüchten konnte, begegnet.
"Knüppel und Dolche waren die Waffen"
Andrea Wallmann berichtet ihre Begegnung mit Berthold Silbermann.
Berthold Silbermann wurde am 10. Februar 1928 geboren. Er lebte in Wien 2, Herminengasse, gemeinsam mit seiner Familie und besuchte die Volksschule in der Kleinen Sperlgasse. Er liebte die Schule genauso wie seine Religion und war deshalb stets ein hervorragender Schüler.An seine erste große Liebe, Anna Böhm, wird er sich immer erinnern. Berthold beabsichtigte, das blonde hübsche Mädchen eines Tages zu heiraten, doch plötzlich war es verboten, mit den Juden zu reden. So durfte Anna nicht mehr mit Berthold sprechen und das Schicksal nahm seinen Lauf...
Auf dem Nachhauseweg von der Schule wurde Berthold regelmäßig von Burschen der Hitlerjugend verprügelt, die ihm sowohl körperlich als auch anzahlmäßig klar überlegen waren.
Knüppel und Dolche waren die Waffen, mit denen sie auf ihr hilfloses Opfer losgingen, wie man es sonst nur aus Gewaltfilmen kennt. Ihm wurde sogar die Hüfte zertrümmert und die physisch als auch psychischen Schmerzen begleiten sein Leben bis zum heutigen Tag.
Die schlimmste Erinnerung für Berthold war nicht das Schlagen selbst, sondern die Passanten, die vorbeigingen, ohne ihm zu helfen und ohne ein Wort zu sagen.
Wenn er seinen Eltern von den Vorfällen erzählte, meinten sie nur – ignoriere die Jungen einfach und schlag bloß nicht zurück!
Die einzige Person, mit der Berthold damals offen über seine Gefühle sprechen konnte, war der hiesige Pfarrer, der immer ein Ohr für ihn hatte.
Als Berthold 10 Jahren alt war, mussten sie dann schließlich das Land verlassen und flüchteten nach Israel, wo sie Verwandte hatten. Sein Vater musste sein Geschäft aufgeben, Berthold seine so sehr geliebte Schule und auch seine große Liebe – Anna.
In Israel führte die Familie ein sehr armes Leben, denn sie reisten ohne auch nur einen Schilling in der Tasche an. Berthold arbeitete als Botenjunge in einem Lebensmittelgeschäft, um sich wenigstens ein kleines Gehalt zu verdienen.
Wenig später, lernte er seine jetzige Frau kennen und heiratete sie bald. Mit ihrem gemeinsamen Kind lebten sie mit Bertholds Familie auf engstem Raum zusammen und fassten deshalb bald den Entschluss, nach Amerika auszuwandern, um dort ein neues Leben zu beginnen.
Auch Bertholds Schwester begleitete sie in die Vereinigten Staaten und sie war die einzige, mit der er all die Jahre über, bis zu ihrem Tod, immer noch Deutsch sprechen konnte.
Als Taxifahrer verdiente sich Berthold seinen Unterhalt und ermöglichte so, seinen inzwischen vier Kindern eine ausgezeichnete Ausbildung, die er selbst nie hatte.
Nach über 40 Jahren des Taxifahrens genießt er gemeinsam mit seiner Frau ein zurückgezogenes Leben in einem Appartement in Brooklyn.
Mittlerweile sind die beiden stolze Großeltern von 21(!) Enkelkindern, die alle etwas besonderes sind, so versicherte es Berthold.
Im Nachhinein schmerzt Herrn Silbermann der Verlust der Schulausbildung am meisten, denn, wie er mehrmals betont, ist für ihn eine gute Ausbildung das wichtigste im Leben. Er träumte davon, den Beruf eines Maschineningenieurs bei BMW auszuüben, doch dies blieb bis heute nichts als ein Traum...
Trotz allem, liebt Berthold Wien. Er liebt Österreich – sein Heimatland - und sagt von sich selber: „Rot-Weiß-Rot - bis zum Tod!“
Mit einem einfachen Vergleich nennt er den Grund dafür: „Es ist so, wie wenn du einen Vater hast, der ständig säuft und dich schlägt. Es ist schwer mit ihm auszukommen, aber es ist dein Vater und du hast ihn trotzdem lieb!“
Die Begegnung mit Berthold Silbermann war etwas ganz Besonderes. Ich wurde ab dem ersten Moment wie ein Familienmitglied behandelt und fühlte mich sofort wohl. Er sprach zu mir von Österreicher zu Österreicher und schüttete mir sein Herz aus.
Beeindruckt, von der Offenheit, die mir dieser Mann entgegenbrachte, ohne Scheu vor Emotionen, ohne zu zögern, hatte ich das Gefühlt, als ob er sich einen Teil seines Schmerzes von der Seele sprechen konnte.
Traurige Tatsache ist, dass er mit seiner Familie nicht über seine bedrückenden Gedanken und Gefühle sprechen kann bzw. will.
Das einzige, wovon er seinen Enkelkindern immer wieder erzählt, sind nur die positiven Erinnerungen an Wien.
Somit ist es nur allzu verständlich, dass ihm die Geschichten sozusagen auf der Seele brannten und nur so aus ihm herausbrodelten.
Es gab viele Momente, in denen Berthold die Tränen über die Wangen liefen und auch ich mit meinen Gefühlen kämpfen musste. Durch diese Nähe, die zwischen uns zu spüren war, schien es fast so, als kannten wir uns schon aus einem früheren Leben.
Als ich Berthold das Paket der Erinnerung überreichte, war er bereits von der Tatsache, ein Geschenk von mir zu erhalten, so überwältigt, dass er sofort wieder zu weinen begann.
Die Bilder seines ehemaligen Wohnhauses erweckten Gefühle in ihm, die anscheinend sehr lange Zeit versteckt und unterdrückt wurden. Sich mit diesen erneut auseinanderzusetzen, machten ihn zugleich glücklich als auch traurig.
Herr Silbermann war so dankbar, dankbar dafür, dass ich da war und dankbar, dass Österreich ihn nicht vergessen hat.