PROF. DR. HABIL.
(früher Thau) |
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Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.
Eveline Goodman-Thau wurde am 20. 6. 1934 in Wien geboren. Mit 15 Jahren gelingt ihr die Flucht nach Holland, wo sie Judaistik studiert. Danach gelingt es ihr,nach Palästina auszuwandern. 2002 kehrt sie nach Wien zurück – als Rabbinerin. Eveline Goodman-Thau lebt heute in Israel, Wien und Berlin.
Verdrängt und vergessen, weil Erinnerung einfach zu schmerzhaft war
Eveline Goodman-Thau erzählt aus ihrem Leben.
Eine meiner Tanten hatte ein Geschäft in der Rotenturmstrasse, darüber wurde in der Familie immer gesprochen, wahrscheinlich, weil es ein schönes Geschäft war. Aber niemals wurde erwähnt, was für ein Geschäft es war. Jeder wusste es angeblich, und wer es nicht wusste, dem war es zu peinlich zu fragen, weil man dann in die Details hätte gehen müssen. Aus diesem Grund ist mir heute auch klar, warum ich so wenig über Wien weiß, weil jede Frage bei meinen Eltern und meiner Mutter nur wieder den Schmerz ausgelöst hätte ... es gab also die Erinnerung an das schöne Wien, Bilder, die ich jetzt rekonstruiere aus dem Gedächtnis, das ausgelöscht ist für immer und ewig, weil im unbekannten Schaufenster vom Geschäft meiner Tante fremde Ware liegt ...Es gibt also Erinnerung ohne Details, ohne Fakten, und man ist auf die Vorstellungskraft angewiesen, Restauration ohne Vorlage. Einmal, als ich den Graben hinunterging, den Mauern der Peterskirche entlang, hatte ich auf einmal ein Deja-vu-Erlebnis. Ich ging auf der Rundung des Trottoirs und plötzlich sprang mir der ungewöhnlich breite Rand entgegen. Ich wusste: Als Kind bin ich auf diesem runden Bogen gegangen. Nicht die Kirche erkannte ich, sondern den runden Bogen, der mich um die Ecke führte. So ist es letztendlich doch das Ufer der Erinnerung, das uns das feste Land unter den Füßen gibt, trotz allem dankbar, dass das Erkannte manchmal zum Bekannten wird.
Wien, Wien, nur du allein ...? Nein, es gibt heute Jerusalem, wo mein Mann und all meine Kinder und Enkelkinder geboren sind, wo auch eines Tages Frieden sein wird, mit Gottes Hilfe. (Bei unserem ersten Besuch in Wien hatten wir den Weg verloren, und als ein alter Wiener uns helfen wollte mit dem Stadtplan, fragte er, woher wir kämen. Ich sagte: „Israel.“ Er: „Ach, dort macht ihr nur Krieg, wir in Wien machen Liebe!“ Da antwortete ich ihm: „Wenn ihr keinen Krieg gegen mich gemacht hättet, hätte ich auch Liebe in Wien gemacht.“)
Es ist, als ob ich langsam, wie in einem Film, die innere Biographie meiner Eltern ablaufen sehe, alle Träume und Hoffnungen, die zerschmettert wurden, die verdrängt und vergessen bleiben mussten, nicht nur, weil es so viele alltägliche Sorgen gab, sondern auch, weil die Erinnerung einfach zu schmerzhaft war. Meine Mutter, eine einmal bildschöne und bis zuletzt besonders kluge Frau, hat sich von der Katastrophe nie erholt. Ihre Lebenslust war gebrochen, sie starb an Magenkrebs im Alter von 49 Jahren. Sie wollte leben und sagte mir einmal: „Elfi, in deinen Augen sehe ich, wie krank ich bin.“ Sie hasste mich in dem Augenblick, da sie leben wollte und sie in meinen Augen die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage sah. Freilich, der Himmel stirbt unseren Scherben voraus. Mein Vater und ich brachten sie zum Begräbnis zurück nach Amsterdam; neben meiner Großmutter ruht sie dort auf dem jüdischen Friedhof im Exil. So hat meine Großmutter zumindest eine Tochter bei sich, nachdem sie Malciu und Pepi hier in der Schmelzgasse lassen musste, ohne Grab. Nicht zu sprechen von ihrem Sohn Iciu (Isaak), der nach Belgien geflüchtet war und von dort aus versucht hatte, über die Grenze in die Schweiz zu entfliehen. Aber er wurde auf der Flucht gefasst, nach Drancy und von dort nach Auschwitz deportiert. Von Pepi haben wir nur zwei letzte Postkarten, aus Nordhausen an unsere Adresse in Hilversum geschickt, datiert vom 26. Mai 1942.
Auf der vorletzten ist zu lesen:
„Meine sehr Lieben! Es ärgert mich sehr das habe von Euch keine Nachricht. Was soll das bedeuten? Bitte mir die Ursache zu schreiben – denn vor lauter Nachdenkung halte ich nicht mehr aus. Meine sehr Lieben, das Paket, was Ihr mir geschickt, habe bis jetzt nicht bekommen – Ich bin ein großer Nebich, brauche es sehr dringend, bitte euch sehr, mir etwas zu schicken. Von der Malciu habe bittere Briefe, sie hat nicht wovon zu leben – bitte habt Mitleid und schickt ihr alte Sachen. Sonst kein wichtiges als ich Euch alles Gute wünsche wir sollen uns in Freude sehen sollen, bitte mir sofort eine gute Nachricht zukommen zu lassen.
Viele herzliche Grüße und innigste Küsse, Ihre Pepi.
Bitte mir den Sommermantel und ein Kleid zu schicken.“