Die letzten Zeugen - Das Buc

OTTO WEINER


 
 

Diese Geschichte wurde im Projekt "Überlebende" erstellt.

Otto und Margarete Weiner (geb. Glaser) gehörten zur einzigen jüdischen Familie, die aus dem Exil nach Wieselburg zurückkehrte. Otto Weiners Mutter wurde wie seine Schwester Frieda in Auschwitz getötet. Seine Schwester Marie, Margarethe und Hermina wurden nach Izbica deportiert und kamen nie zurück.

Die Tagebücher der Emigration von Wieselburg nach Israel

Schüler und Schülerinnen der HLWBLA Wieselburg haben in ihrem Projekt "Reconciling" die Lebensgeschichten der jüdischen Mostviertler erforscht und dokumentiert.

Die einzige jüdische Familie, die heute in Wieselburg lebt, ist die Familie Weiner. Die Eltern Otto Weiner und Margarete, geb. Glaser, waren vor einigen Jahren aus Israel nach Wieselburg zurückgekehrt, sind aber inzwischen leider nicht mehr am Leben. Ihr Sohn Eliezer Weiner und seine Frau Ida übergaben uns für unser Projekt eine große Fotosammlung über mehrere verwandte Familien (Weiner, Glaser, Kauder, Schulz) und mehrere volle, in schwer lesbarer Kurrentschrift geschriebene Notitzhefte, geschrieben von Leopold Glaser zwischen 1940 und 1945, dem Großvater mütterlichseits von Eliezer Weiner.

Zunächst aber noch ein Überblick über die Familienzusammenhänge: Familie Schulz lebte in Ruprechtshofen. Die Eltern Samuel und Sophie Schulz hatten mehrere Kinder: Emilie, sie heiratete Leopold Glaser. Adele und Max, sie wurden beide Opfer der Shoah. Ella, sie lebte mit ihrem Mann Edwin in Israel, sowie ihre Zwillingsschwester Mizzi. Emilie hatte mit ihrem Mann Leopold Glaser zwei Kinder: Pepie, er lebte mit seiner Frau Anny in Israel, und Margarete, sie heiratete 1938 Otto Weiner und ging mit ihm ebenso nach Israel.

Otto Weiner stammte aus einer sehr kinderreichen Familie, die zu einem großen Teil ausgerottet wurde. Umgekommen sind seine Mutter Franziska, seine Schwester Frieda in Ausschwitz, seine Schwestern Marie, Margarete und Hermine in Izbica. Sein Bruder Ernst war im KZ Mauthausen und ging so wie sein zweiter Bruder Wilhelm später nach Shanghai. Bruder Artur war wie Otto in Israel und ging dann in die USA.

Die Familien Weiner und Glaser haben viele KZ-Opfer zu beklagen. Aus den Briefen ist die Sorge um das Schicksal der nach Polen „abgereisten“ Verwandten und Freunde ersichtlich. Und die Suchaufrufe an andere Bekannte, die sich irgendwo in der Welt in Freiheit befanden, von deren Antwortbriefen den Notizheften Beispiele beiliegen.

Leopold Glaser legte mit seiner Frau Emilie am 3. September 1940 unter Aufsicht der Gestapo mit einem Donauschiff nach Palästina ab, wo die beiden mit ihren bereits ausgewanderten Kindern leben wollten. Nach grauenvoller Fahrt scheiterte dieser Plan daran, dass die britische Mandatsbehörde sie mit 1400 anderen Juden auf die Insel Mauritius im Indischen Ozean deportierte und dort bis Kriegsende festhielt. Über diese gesamte Zeit vom Herbst 1940 bis zum Kriegsende hat Leopold Glaser einen Reisebericht und danach sporadische Tagebuchnotizen verfasst. Unsere Aufgabe war es, jene etwa 70 Briefe zu tanskribieren, die er gemeinsam mit seiner Frau von Mauritius aus zwischen 1940 und 1945 an seine Kinder in Israel, aber auch an befreundete Familien in aller Welt richtete, sowie seine Rotkreuz-Suchbriefe nach Mitgliedern seiner Verwandtschaft zu erforschen. Darunter befindet sich auch ein Lebenszeichen an einen Nationalsozialisten im Mostviertel, der die Familie seiner Frau bis zur Abreise schikaniert hatte, um dem „Hund“ zu zeigen : „Wir leben noch!“

Ganz besondere Dokumente sind die Stammbücher der Eltern von Eliezer Weiner, Otto und Margarete Weiner. Otto Weiners Stammbuch hat selbst eine berührende Geschichte. Darin ist eine Seite, die seine Mutter Franziska geschrieben hat, die später in Ausschwitz getötet wurde. Dieses Stammbuch hat Ottos Schwiegervater Leopold Glaser 1940 aufs Schiff nach Palästina mitgenommen, um es Otto zu übergeben. Da die britische Mandatsbehörde aber jeden Kontakt der Ankömmlinge mit ihren bereits im Land befindlichen Angehörigen untersagte, nahm er das Stammbuch nach Mauritius mit und schickte es von dort, darauf wird in den Briefprotokollen mehrmals Bezug genommen, nach Erez (Israel). In den beiden Stammbüchern gibt es Eintragungen vieler Personen, von denen auch Bilder im Familienalbum zu finden sind.

Aus den Briefen geht einerseits die religiöse Praxis der Inhaftierten mit allen möglichen Querelen zwischen verschiedenen religiöspolitischen Gruppierungen hervor, andererseits ganz besonders die persönliche religiöse Einstellung der betroffenen Personen in ihrer verzweifelten Lage als völlig unschuldige Kriegsgefangene. Fast bis Kriegsende blieben sie im Unklaren, wie und wo es mit ihnen nach dem Krieg weitergehen sollte.

Aus Leopold Glasers Tagebuch „Über unsere Emigration“: „Durch die bekannten Verhältnisse wurden wir gezwungen, unsere, wie wir glaubten, Heimat zu verlassen, um unseren Kindern, die gleich nach dem Umbruch flüchten mussten, nach Erez zu folgen, um ihnen beim Aufbau ihrer neuen Heimat behilflich zu sein und unsere Jahre bei ihnen beschließen zu können. Wir schifften uns am 3.September 1940 bei der Reichsbrücke in Wien nach vorangegangener Zollabfertigung ein... auf dem Donaudampfer ‚Schönbrunn’...“. Leopold Glaser schildert die menschenunwürdigen Verhältnisse auf dem Schiff, die Korruption von Kapitän und Mannschaft, den Kampf um die Kohle, die Ankunft am 24. November in Haifa, die Ausschiffung und Unterbringung der Frauen im Lager Atlit und der Männer im Lager Akko, die endlos immer wiederkehrenden Untersuchungen usw.

„Jedenfalls waren wir über den Empfang in Palästina sehr enttäuscht. Alles ging ohne Pauken und Trompeten, ohne feierlichen Empfang, man sah nicht einen einzigen Juden. Jedenfalls ließ man keinen an uns heran. Auch die Gaffirim (jüdische Polizei) verhielt sich sehr kühl, und nur, wenn sie sich unbeobachtet glaubten, sprachen sie mit uns... Furchtbar war es für uns Verheirateten, von unseren Frauen nichts zu hören... Am nächsten Tag fing man schon wieder an zu munkeln, wir kommen fort und als es Abend wurde, kam die Katastrophe an uns heran. Meine gute Frau kam zu mir in die Baracke, schreckensbleich, aber gefasst. Man konnte es immer noch nicht glauben, man redete wieder von einer Deportierung nach Afrika... Das ganze Lager war von Militärpolizei umstellt, die Gaffirim abgezogen und durch Engländer ersetzt, Geschütze in Bereitschaft... Man expedierte uns zum Hafen. Das Schreien der armen Frauen, die der ganzen Prozedur durch den Drahtzaun zusehen mussten, das Schreien der Kinder geht mir heute noch, wenn ich daran denke, durch Mark und Bein...

Aber sind wir ehrlich. Was wäre uns in Hitler-Deutschland passiert? Man hätte uns (es ist Krieg) einfach niedergeschossen. Erwähnen will ich noch, dass Leute wahnsinnig wurden. Die Sorge, was wird mit den Frauen geschehen?... Dann kamen wir hinaus und mussten durch einen Polizeikordon zu einem der zwei Ozeanschiffe... bevor wir einstiegen, hörten wir, dass auch die Frauen den gleichen Weg gehen mussten, aber nur ein Teil ins erste Schiff... Alles Gepäck war offen, von den Koffern die Schlösser herausgeschnitten... wie dies alles von zirka 800 Menschen zusammengeworfen wurde... Das Schiff war elegant eingerichtet... zu meinem großen Schreck musste ich erfahren, dass meine Frau sowie die Schwester von Karl Weiner, mit dem ich beisammen war, nicht auf dem Schiff sind.

Von der ganzen Reise sahen wir eigentlich gar nichts, denn so oft wir uns einem Hafen näherten, mussten wir alle von Deck verschwinden... Und so fuhren wir volle 17 Tage und Nächte. Schließlich ging auch diese Zeit vorüber und wir landeten am 26. Dezember 1940 in Mauritius im Hafen von Port Luis... und im Gefängnis von Bon-Basin. Gefangene, abgeschlossen von der Außenwelt, fertig. Unser ganzer Mut, den wir noch besaßen, war auf den Nullpunkt gefallen... Eine Nummer, meine war 1433, die mir wohl, solange ich lebe, im Gedächtnis bleiben wird... Unbegreiflicherweise ließ die Lagerverwaltung noch zehn Tage vergehen, bis sie erlaubte, dass die Frauen auf zwei Stunden ins Männerlager kommen durften, selbstverständlich unter Bewachung... Der Typhus wurde von der Atlantic (so hieß das Schiff) eingeschleppt... Todesfälle. Um unnötige Belästigungen des Kommandanten zu vermeiden, wurde ein Komitee gebildet, das wiederum einen Präsidenten (Chairman) als Verbindungsglied zwischen uns und dem Kommandanten wählte... Spielball des Kommandanten... Heute heiratet... Oberrabbiner Bichler... allerdings um 6 Uhr abends musste der junge Ehemann das Frauenlager verlassen und die Brautnacht allein feiern... wir hofften, dass die entsetzliche Internierung nach 6 Monaten zu Ende sei ...

25.Juli 1941: eine Auslese der umlaufenden Ponkes (Gerüchte): Göring wurde eingesperrt, Hitler hat sich erschossen... Ich wurde heute zur Kommandantur berufen... Soeben komme ich vom Gitter, wo ich mit meiner Frau zwei Sekunden sprechen konnte... Malariarückfall... Brief an Willi Weiner, Shanghai... Man soll alle alten Leute in der Malzgasse (jüdisches Spital in Wien) umgebracht haben... Die Hitze wird schon unerträglich... Kriegszustand zwischen Lagerinsassen und dem Kommandanten... Malariaanfälle... Diebstähle in der Küche.
29.November 1941 : Gott soll mir das Glück schenken, nächstes Jahr diesen Tag im Kreis meiner Familie feiern zu können...
3. September 1943: Soeben lese ich in einer deutschen Zeitung aus England, dass man den Mann von Steindl Gisa, Gustl Steindl, zuletzt in St.Pölten beschäftigt, am 26. 3. 1943 in Wien hingerichtet hat (seine Verwandten waren in Weinzierl, Wieselburg)...
Liebe Mama ist schon 18 Wochen im Spital...“

Die Tagebucheintragungen werden in der Folge immer sporadischer und kürzer. Aus den Briefprotokollen geht aber sehr deutlich hervor, wie sich die Verhältnisse im Lager, die Aussicht auf Befreiung und das zu erwartende kommende Schicksal ständig veränderten. Bis gegen Jahresende 1944 rechnete Leopold Glaser mit einer Rückkehr nach Österreich. Erst in den letzten Kriegsmonaten stellten sich die Lagerinsassen darauf ein, nach ihrer Befreiung zu ihren Kindern nach Israel zu gehen. Mehr als 70 Briefe richteten die Glasers an ihre Kinder Otto und Gretl, Pepie und Anny sowie an ihre Schwager und Schwägerinnen.

Im Rahmen dieser Familiengeschichte konzentrieren wir uns auf eine Formulierung, die in all den Briefen sehr häufig vorkommt und in klassischer Abkürzung verwendet wird: GSD = Gott sei Dank! Dazu stellen wir ähnliche differenziertere Aussagen religiösen Inhalts und Österreich-Bemerkungen.
„Die Hauptsache der Sommer ist GSD vorüber.“
„Nach Beendigung des Krieges werden wir ja weitersehen, ob eine Rückkehr nach Österreich möglich ist bzw. ob es noch für uns einen Aufbau gibt, falls wir von unserem Vermögen noch etwas retten können.“
„Wir sind GSD gesund und hoffen, das Gleiche von euch zu hören.“
„Gott möge euch in dieser furchtbaren Zeit beschützen und gesund erhalten und geben, dass wir doch das nächste Jahr in größeren Freuden und mit euch verbringen können.“
„Gott möge euch in dieser schrecklichen Zeit alle beschützen und noch alles zum Guten wenden.“
„Es gehört wahrlich viel Gottvertrauen dazu, durchzuhalten, damit die Nerven nicht durchgehen.“
„Wir sind aber leider Gottes heimatlos.“
„... und soll Gott geben, dass wir uns im kommenden Jahr gesund wieder sehen. Einmal muss es ja doch ein Ende werden.“
(An die Schwiegertochter) „Liebe Anny, wir danken dir, dass unter deinem Einfluss Pepie sich in punkto religiöser Auffassung so grundsätzlich geändert hat. Ja, sorgen lehrt beten. Derjenige, der in den Tag hineinlebt, von anderen sorgen lässt, weiß nicht, wo Gott wohnt.“
„Man muss noch Gott und der englischen Regierung danken.“
„Aber danken wir Gott, dass wir uns wenigstens das Leben retten konnten.“
„Gott möge endlich mit uns allen ein Einsehen haben. Ich glaube, wir haben uns das schon verdient.“
„GSD sind wir gesund und hoffen, dass wir in diesem Pfefferland die Feiertage zum letzen Mal mitmachen müssen.“
„Gott weiß, wie lange noch.“
„Nun kann ich euch mitteilen, dass wir GSD auch den 2. Cyklon (Wirbelsturm) gut überstanden haben ... Die Dörfer wurden einfach davongetragen... eine Insel ist buchstäblich versunken... Ich weiß nicht, was das werden wird.“

Trotz der widrigen Umstände kommt der Humor nicht zu kurz. Am 20. August 1944 schreibt Leopold Glaser seiner Tochter Gretl: „Liebe Gretl, du fragst viel, haben aber schon oft ein Großteil beantwortet. Zum Beispiel willst du wissen, ob wir Wanzen und Flöhe haben. Na, weißt du, beleidigen brauchst du uns, das heißt mich, gerade nicht. Selbstverständlich haben wir sie, das heißt: sie uns... Das wäre eine schöne Schande, bei vier Jahren in einer Kerkerzelle, wenn man keine hat. Mama in ihrer Baracke hat keine. Einfach unverständlich und weint darüber alle Tage ...“ Das reichhaltige Briefprotokoll endet mit dem 30. März 1945.

SchülerInnen der HLWBLA Wieselburg, 2005


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