Die letzten Zeugen - Das Buc

BRIDGET (BRIGITTE) BOGARD


 
 


BRIDGET (BRIGITTE)
BOGARD

(früher Angel)
geb. 1923-08-24
lebt heute in den USA

Ermordete Verwandte


Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Im Projekt "Holocaust - Die Überlebenden" ist die Schülerin Ilse Förster aus dem RG Rahlgasse der Überlebenden Bridget Bogard begegnet und hat ihre Lebensgeschichte dokumentiert.

Begegnung in New York: Wie Ilsa, 14, Bridget Bogard, 81, traf

Bridget Bogard wurde am 24.8.1923 in Wien geboren. Sie konnte mit ihrer Mutter zunächst nach Paris flüchten. Als die Deutschen Frankreich besetzten, gelang ihr die Ausreise nach England. Ihre Mutter wurde verhaftet und in Auschwitz umgebracht. Bridget Bogard lebt heute in den USA.

Ende Februar 2004 erzählt eine meiner Mitschülerinnen vom Projekt „A Letter To The Stars“ und unsere Deutschlehrerin verspricht, alle interessierten SchülerInnen, die sich an dem Projekt beteiligen wollen, zu unterstützen. Zuhause informiere ich mich genauer im Internet darüber. Sofort steht mein Entschluss fest: Ich bin dabei!

In der Schule haben wir viel über die Zeit des Nationalsozialismus gesprochen und die Idee, Informationen von einem Betroffenen zu bekommen, scheint mir faszinierend. Außerdem berührt mich dieses Thema sehr persönlich. Mein jüdischer Großvater, den ich nie kennen gelernt habe, ist als l2-Jähriger mit einem Kindertransport nach England gekommen, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen und konnte erst nach dem Krieg nach Österreich zurückkehren. Seine Familie hat er nie wieder gesehen.

Als ich im Internet die lange Liste der möglichen Ansprechpartner durchschaue, habe ich eine Idee: In den Osterferien planen meine Eltern und ich eine Reise nach New York und da wäre es doch toll, dort jemanden persönlich zu treffen. Ich suche nach Leuten, die in New York City wohnen und sofort bleibe ich bei dem Namen „Bridget B.“ hängen. Ich weiß nicht warum, aber ich habe das Gefühl: „Die ist es!“ Ein paar Tage später halte ich ihren vollen Namen – Bridget Bogard – und ihre exakte Adresse in Händen und setze mich sofort hin, um ihr einen Brief zu schreiben. Ich erzähle vom Projekt und stelle mich vor. Zuletzt schreibe ich von unserem geplanten New York-Urlaub und lege Adresse und Telefonnummer des Hotels, in dem wir wohnen werden, bei. Jetzt heißt es Daumen halten – ob sie
sich wohl bei mir melden wird?

Bis zu unserer Abreise bekomme ich keine Antwort, doch in New York klingelt eines Abends das Telefon: Bridget Bogard! Sie würde sich sehr über ein Treffen mit mir freuen. Meine Überraschung ist groß: Obwohl gestanden ist, dass sie auf Deutsch kommunizieren will, spricht sie nur Englisch. Wir verabreden uns für den nächsten Tag. Sie schlägt vor, uns in einem kleinen polnischen Lokal in der Nähe von Greenwich Village zu treffen. Jetzt bin ich wirklich sehr aufgeregt. Was soll ich sie fragen? Wird sie mir überhaupt etwas
über ihre Flucht aus Wien erzählen wollen?

Am Weg überlege ich mir ein paar Fragen. Als ich mit meinen Eltern beim Treffpunkt ankomme, ist es etwas zu früh. Während wir
warten, schaue ich alle alten Damen, die die Straße entlang kommen, genau an. Wie wird sie wohl aussehen? Endlich kommt eine ältere Frau auf uns zu und begrüßt uns herzlich (natürlich auf Englisch!). Sie wirkt viel jünger, als sie ist, und strahlt unheimlich viel Energie aus. Da das Wetter sehr schön ist, suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen im Gastgarten. Es ist Bridgets Lieblingslokal, weil da die Palatschinken so gut sind. Sie lacht herzlich, als ich sage, in den USA möchte ich Hamburger essen und erzählt, dass ihr Sohn jahrelang nur Hamburger und Pommes gegessen hat. Wenn es Gemüse gab, spuckte er es aus dem Fenster – sie wohnten im
achten Stock!

Nun will Bridget alles über mich wissen: Wo ich in die Schule gehe, welche Hobbys ich habe ... Es ist nicht ganz einfach für mich, die
Unterhaltung auf Englisch zu führen, aber nach einiger Zeit geht es recht gut. Bridget erzählt von ihrem Leben in New York. Sie ist geschieden und hat einen Sohn und Enkelkinder. Sie ist Fotografin und hat lange Zeit eine Fotogalerie geleitet. Im Moment gibt es in einem Restaurant eine Ausstellung ihrer Fotos, die sie in ihrem Lieblingsland Mexiko gemacht hat. Außerdem schreibt sie ein Buch über ihr Leben, das demnächst auch in Österreich erscheinen soll. Deshalb, meint sie, könne sie mir nicht erlauben, ausführlich
über ihre Lebensgeschichte zu schreiben. „Denn wer wird dann noch mein Buch lesen wollen?“, lacht sie.

Ohne dass ich sie danach frage, fängt sie dann aber doch plötzlich an, von der Vergangenheit zu sprechen, den „dark times“, wie sie sie nennt. Als Kind wusste sie überhaupt nicht, dass sie Jüdin ist. Im Jahre 1938 wurde sie plötzlich mit dieser Tatsache konfrontiert und konnte eigentlich überhaupt nichts damit anfangen – Religion war in ihrer Familie nie ein Thema gewesen. Dann durfte sie von einem Tag auf den anderen nicht mehr in die Schule gehen – sie verstand die Welt nicht mehr! Gemeinsam mit einem anderen jüdischen Mädchen vertrieb sie sich die Zeit damit, stundenlang Monopoly zu spielen. Eine andere liebe Freundin durfte sie plötzlich nicht mehr besuchen, weil deren Schwester mit einem SS-Offizier befreundet war und solche Besuche für Bridget gefährlich wurden.

Mit Hilfe eines Onkels, der in Paris ein Reisebüro hatte, kamen Bridget und ihre Mutter (ihre Eltern hatten sich getrennt) nach
Frankreich. Als die Deutschen Frankreich besetzten, wurde Bridget nach England in ein Internat geschickt, ihre Mutter wurde verhaftet.
Die Zeit im Internat war sehr hart für sie – sie konnte ja anfänglich kein Wort Englisch! Ihrer jüdischen Freundin aus Wien war ebenfalls
die Flucht nach England geglückt. Nach dem Krieg kam Bridget zu ihrem Vater nach Amerika und lebt seitdem in N.Y. Mit ihrer Freundin, die immer noch in England lebt, hat sie nach wie vor guten Kontakt – die beiden fahren ein Mal im Jahr gemeinsam auf Urlaub.

Bridget kommt auch immer wieder nach Österreich, vor allem in ihre Lieblingsgegend – ins Salzkammergut. Sie erzählt aber auch, dass sie selbst in Österreich nicht gerne Deutsch spricht, obwohl sie es natürlich kann. Lächelnd erzählt sie davon, als sie das letzte Mal mit ihrer Freundin in Wien war und mit einem Taxifahrer sprach, dass dieser wissen wollte, wieso sie so gut
Deutsch könne. „In der Schule gelernt“, hat sie gesagt – von ihrer Emigration will sie nicht mit jedem sprechen.

Bridget will wissen, ob es immer noch Antisemitismus in Österreich gibt und wie die Jugend dazu steht. Mein Vater erzählt, dass
auch er einen jüdischen Vater hatte, der seine Familie in der Zeit des NS-Regimes verlor. Bridget ist sehr am politischen Weltgeschehen interessiert und daher ergibt sich noch eine interessante Diskussion über amerikanische Politik, den lrak-Krieg und die momentane politische Situation in Österreich.

Bevor wir uns verabschieden, schreibt sich Bridget meine Telefonnummer auf: Wenn sie das nächste Mal nach Österreich kommt, wird sie uns besuchen. Ich freue mich riesig, als sie sagt, ich könne sie jederzeit in New York besuchen und auch bei ihr wohnen. Irgendwie habe ich das Gefühl, Bridget schon lange zu kennen und hoffe, dass wir uns irgendwann wieder sehen. Bevor wir ins Hotel zurückfahren, gehen wir noch in das Restaurant, in dem Bridget ihre Ausstellung hat und schauen uns die Fotos an: Sie ist wirklich eine tolle Fotografin!

Ich bin sehr glücklich, Bridget getroffen zu haben. Gleichzeitig macht mich das Gespräch sehr betroffen: Ich muss daran denken, was mir passieren würde, wenn ich im Jahre 1938 leben würde. Auch mich würden die Nationalsozialisten verfolgen, schließlich stamme ich aus einer jüdischen Familie. Müsste ich Österreich auch verlassen?

Ilsa Förster, RG Rahlgasse,Wien

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