Folgende Informationen sind von
Walter Turteltaub verfügbar:
geboren am |
24.03.1935 in Dornburg |
letzte bekannte Wohnadresse |
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andere Wohnadresse(n) |
Dornbirn (1939) |
Deportation |
von Fossoli nach Auschwitz am 26.06.1944 |
gestorben |
in Auschwitz am 30.06.1944
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Die Recherche wurde von
Stefanie, 14 Jahre, HS Gisingen,
übernommen.
Die Lebensgeschichte und wie die Recherche verlaufen ist:
Auf Hinweis einer aufmerksamen Leserin wird die Informtation weitergegeben, dass Walter Turteltaubs Geburtsort nicht Dornburg, sondern Dornbirn war.
Edmund Turteltaub, Walters Vater, wurde am 4. Oktober 1899 in Wien geboren. Seine Eltern, Wolf Meier Turteltaub und Amalie, geb. Wolfart, stammten aus Galizien und waren erst wenige Jahre zuvor nach Wien gekommen.
Wie die meisten ostjüdischen Einwanderer in Wien wohnten auch Wolf Meier und Amalie Turteltaub im zweiten bzw. im angrenzenden zwanzigsten Bezirk. Wolf Meier scheint in den Wiener Adressbüchern unter seinem Rufnamen Max zunächst als "Agent" in der Staudingergasse 14, dann als "Gemischtwarenverschleißer" in der Othmargasse 13 und in der Traunfelsgasse 3 auf. Alle drei Adressen liegen im Umkreis weniger Gehminuten und deuten auf die kleinräumige Struktur dieser dichtbesiedelten Bezirke hin.
Wolf Meier und Amalie Turteltaub hatten am 8. April 1894 in Stanislau, Amalies Geburtsstadt, geheiratet. In Wien kamen nun ihre ersten beiden Kinder auf die Welt: Edmund (1899) und Eva (1900). Während die Familie sonst überall unter dem Namen "Turteltaub" aufschien, wurde in die amtlichen Matrikeln der Israelitischen Kultusgemeinde der Name "Torkiltob" eingetragen. Noch bei Edmunds Hochzeit 1931 schrieb der Innsbrucker Rabbiner Link in die Matrikeln "Edmund Torkiltob, genannt Turteltaub".
Einige wenige der rund 150.000 Juden Wiens wagten nun wie Wolf Meier und Amalie Turteltaub den Sprung ins kalte Wasser: Sie gingen in die westlichen Kronländer, wo die boomenden Provinzstädte hervorragende wirtschaftliche Chancen boten.
Etwa 1903 übersiedelte die junge Familie nach Salzburg. In Maxglan wurden 1905 die Zwillinge Ella und Anna Turteltaub geboren. Rund zehn Jahre nach der Auswanderung aus Galizien hatten die Turteltaubs ein gesellschaftliches Profil als jüdische Österreicher und ein entsprechendes Selbstverständnis erreicht.
Ende 1905 ging die Familie nach Innsbruck. 1911 kaufte Amalie das Haus Defreggerstraße 12, in dem auch ihr Textilgeschäft mit dem Namen "Warenkredithaus Fortuna" untergebracht war und wo sie gemeinsam mit der (1924 zugezogenen) Familie von Amalies Bruder Joel Schrager wohnten. 1909 kam der jüngste Sohn Fritz Turteltaub auf die Welt.
Die Familie Turteltaub war eine der wenigen Familien Innsbrucks, die sich weitgehend an die religiösen Vorschriften hielt. Nicht zufällig ist der einzige Kultgegenstand aus dem Besitz der Innsbrucker Kultusgemeinde, der den Nationalsozialismus überdauert hat, ein Toramantel mit der eingestickten Widmung "Eine Herzensgabe des Mitglieds R. Meir Sev [hebr. für "Wolf"] Turteltaub und seiner Frau, der lieben Malka, sie möge leben, Innsbruck [5]686 [=1926]".
Edmund Turteltaub maturierte im Kriegsjahr 1917 an der k.k. Ober-Realschule in Innsbruck und studierte dann an den Technischen Hochschulen in Wien und München. Das Studium schloss er 1922 als Diplomingenieur der Chemie ab. Offensichtlich konnte er sich jedoch in seinem Beruf nicht etablieren, studierte zunächst ein zusätzliches Semester in Innsbruck und arbeitete einige Jahre als Angestellter der Wach- und Schließgesellschaft in Zell am See.
1930 versuchte Edmund schließlich sein Glück als Kaufmann in Dornbirn. Er errichtete eine Zweigniederlassung des Familienbetriebes "Warenkredithaus Fortuna" in der Marktstraße 39 und übersiedelte im selben Jahr ins Hatlerdorf.
Anfang 1931 heiratete Edmund Turteltaub in Innsbruck Gertrude Popper aus Lundenburg in der CSR. Vor der Hochzeit mietete er sich im Hatlerdorf, Birngasse 12, ein; nach der Geburt des ersten Sohnes Hans, 1932, übersiedelte die Familie mit dem Geschäft in die Lustenauerstraße 3. Dort kam 1935 auch der zweite Sohn, Walter, auf die Welt.
Mit dem "Anschluss" im März 1938 änderten sich für die Familie Turteltaub wie für alle Juden Österreichs schlagartig die Lebensumstände. Die erhaltenen Akten beinhalten nicht mehr das alltägliche Leben einer Dornbirner Familie, sondern die systematische Verfolgung und Vertreibung der Juden aus Vorarlberg.
Die Turteltaubs "waren gleich nach dem 'Anschluss' Zielscheibe für nationalsozialistische Rowdys, die rund um das Haus, das sie in Dornbirn bewohnten, nächtens Krach schlugen."
Anders als einige der Hohenemser Juden, die noch 1938 in die Schweiz flohen, blieb die Familie in Dornbirn. Edmund Turteltaub wurde noch am 14. August 1938 als Ersatzmitglied in den Kultusausschuss der - auf 27 Vorarlberger "Seelen" geschrumpften - Israelitischen Kultusgemeinde Hohenems gewählt. Der sechsjährige Hans wurde am 19. September 1938 in die 1. Klasse der Knabenvolksschule Hatlerdorf eingeschult. Anfang September 1938 wurden der Familie Turteltaub von der BH Feldkirch Reisepässe ausgestellt ; ihnen muss klar gewesen sein, dass es im nationalsozialistischen Dornbirn keine Zukunft geben konnte.
Im Jänner 1939 mussten alle Juden Vorarlbergs die neu eingeführten "Kennkarten für Juden" beantragen. Gleich fünf Passfotos waren abzugeben, die Fingerabdrücke wurden ihnen abgenommen, der Antrag war mit den allen Juden aufgezwungenen Beinamen Israel und Sara zu unterschreiben.
Das Hatler Schülerverzeichnis vermerkt bei Hans Turteltaub 79 versäumte Halbtage im ersten Semester - ab Mitte November war Juden der Schulbesuch verboten - und 33 im zweiten, bis er am 7. März 1939 von der Schule abgemeldet wurde. Die ganze Familie musste an diesem Tag nach Wien übersiedeln.
Der spätere legendäre Dornbirner Stadtpolizist Bruno Walter besuchte die Familie Turteltaub im Juni 1939 in Wien. In einem Brief an seine ehem. Vermieterin teilte Edmund Turteltaub mit, er habe in Uruguay eine Anstellung bekommen, die Einschiffung in Genua war für den 2. September 1939 geplant. Im Juli 1939 reiste die Familie von Wien nach Mailand. Zwar legte Italien, das während der ersten neun Monate des Weltkrieges neutral blieb, einer Auswanderung jüdischer Flüchtlinge nichts in den Weg, doch gelang der Familie Turteltaub in den Wirren um den am 1. September 1939 begonnenen Zweiten Weltkrieg die geplante Ausreise nicht mehr.
Während die Familie Edmund Turteltaub in Italien festsaß, entschied sich das Schicksal der Großfamilie genau in diesen Jahren. Edmunds Schwester Eva Alloggi und ihr Sohn Aldo, die schon Anfang 1939 über Triest illegal nach Palästina geflüchtet waren, sowie Edmunds Neffe Erich Weinreb und dessen Bruder Poldi Scharf, die als 10- bzw. 8-jährige Buben mit einem illegalen Transport Palästina erreichten, und Edmunds Bruder Fritz Turteltaub, der im Sommer 1939 nach England gelangte, konnten rechtzeitig fliehen und überlebten.
Wolf Meier und Amalie Turteltaub wurden mit ihrer 10-jährigen Enkelin Gita Scharf im Jänner 1942 von Wien nach Riga deportiert und ermordet. Edmunds Schwester Ella und deren Ehemann Ernst Reichmann wurden im Mai 1942 von Prag über Theresienstadt nach Lublin deportiert und ermordet. Ihr 10-jähriger Sohn Poldi kam im Oktober 1942 ins KZ Theresienstadt und von dort im Mai 1944 nach Auschwitz und wurde ermordet.
Aus den spärlichen Überresten der behördlichen Aufzeichnungen lassen sich die Lebensumstände der Dornbirner Familie Turteltaub in Italien rekonstruieren.
Im Oktober 1939 wohnte die Familie noch in Mailand, am Corso Buenos Ayres 45. Edmund Turteltaub legte dem italienischen Innenministerium ein Telegramm vor, das der Familie bestätigte, für ein Visum nach Bolivien vorgemerkt zu sein. Das Visum selbst erwartete er noch für den November. Allerdings war sein von der BH Dornbirn ausgestellter Reisepass am 6. September 1939 ungültig geworden. Sein Ansuchen um Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung bis 10. Dezember 1939 wurde vom Innenministerium abgelehnt, wie es der Linie der italienischen Politik entsprach.
Edmund Turteltaub wurde im Juli 1940 in das sogenannte "Konzentrationslager" Isola Gran Sasso in der Provinz Teramo gebracht, eines der vierzehn in Mittelitalien gelegenen Lager.
Im Dezember 1940 konnte Gertrud Turteltaub ihren Mann für vier Tage in Gran Sasso besuchen. Kurz darauf beantragte die Mailänder Präfektur, die ganze Familie gemeinsam im Lager Ferramonti di Tarsia im südlichsten Italien zu internieren. Edmund wurde am 24. Jänner 1941 nach Ferramonti gebracht, Gertrud, Hans und Walter, die bis dahin wohl in Mailand geblieben waren, am 20. Februar.
Die Familie Turteltaub lebte in Ferramonti in einer der "Familienbaracken", das heißt, sie hatten einen Wohnraum und eine eigene Küche zur Verfügung. Von der italienischen Regierung erhielten sie ein Taggeld von 24 Lire für ihre Verpflegung.
Als Ferramonti di Tarsia am 14. September 1943 von britischen Truppen befreit wurde und damit rund 1500 ausländische Juden gerettet waren, befanden sich die Turteltaubs aber nicht mehr dort.
Sie waren am 9. Oktober 1941 in die Provinz Grossetto in Mittelitalien und dort in die Gemeinde Arcidosso zur "freien Internierung" geschickt worden.
Für den Fall ihrer Bedürftigkeit, so das Innenministerium, seien sie mit 50 Lire pro Monat Unterkunftsentschädigung sowie Verpflegungskosten von täglich 8 Lire für den Familienvorstand und einem Zuschlag für Angehörige in der Höhe von 4 Lire für die Frau und 3 weiteren für jedes Kind zu unterstützen.
Gertrud Turteltaub litt an einer schweren Krankheit; ein Arzt des "Ospedale Israelitico" in Rom diagnostizierte im Oktober 1941 die Hodgkin'sche Krankheit (Lymphogranulomatose), eine Erkrankung der Lymphknoten und des lymphatischen Gewebes in anderen Organen, die ohne Behandlung sogar tödlich verläuft. Die Behandlung erforderte auch Röntgenbestrahlung. Edmund Turteltaub beantragte die Erhöhung des für Gertrud bezahlten Taggeldes von vier auf acht Lire, wie er es auch in Ferramonti erhalten hatte. Gemeinsam mit sechs weiteren in Arcidosso internierten jüdischen Frauen stellte Gertrud im November 1941 neuerlich einen Antrag auf Erhöhung des Unterhaltsbeitrages, da das Leben in Arcidosso offenbar sehr teuer war.
Im Jänner 1942 bat Edmund Turteltaub das Innenministerium um die Verlegung seines Schwagers Erich Wolken von Ferramonti nach Arcidosso; Wolken stellte von Ferramonti aus denselben Antrag. Sie waren zusammen in Ferramonti interniert und wollten nun - auch aus wirtschaftlichen Gründen, wie Edmund Turteltaub in seinem Antrag schrieb - wieder zusammenleben. Der Antrag wurde nicht befürwortet. Vermutlich war Erich Wolken unter den 1500 von britischen Truppen befreiten Juden in Ferramonti.
Am 12. Dezember 1943 verhafteten italienische Behörden die Familie Turteltaub in Arcidosso in der Provinz Grosseto in der Toskana und brachten sie nach Roccatederighi , eines der sogenannten "Provinzkonzentrationslager", die ab Dezember 1943 im gesamten italienischen Machtbereich eingerichtet wurden.
Roccatederighi war ein früheres Priesterseminar bei der Sommerresidenz des Bischofs von Grosseto.
Die Familie Turteltaub war nur kurz in Fossoli interniert. Mit dem "Transport" vom 26. Juni 1944 wurde sie nach Auschwitz verschleppt.
Der Zug mit rund 1000 Männern, Frauen und Kindern kam am 30. Juni dort an. Das "Kalendarium der Ereignisse im KZ Auschwitz-Birkenau" vermerkt lapidar:
"Nach der Selektion werden 180 Männer, die die Nummern A-15677 bis A-15856 erhalten, und 51 Frauen, die die Nummern A-8457 bis A-8507 erhalten, als Häftlinge ins Lager eingewiesen. Alle übrigen Menschen, unter ihnen 582 Männer, werden in den Gaskammern getötet."
Unter diesen waren die beiden Dornbirner Kinder Hans und Walter Turteltaub, 13 und 9 Jahre alt. Auch Edmund und Gertrude Turteltaub erlebten die Befreiung des KZ Auschwitz durch sowjetische Truppen am 27. Jänner 1945 nicht mehr.
In Dornbirn wird zur Erinnerung an die Familie eine Straße „Turteltaubweg“ benannt. |
Der Brief an den/die Ermordete/n :
Lieber Walter!
Obwohl wir einiges über dich recherchiert haben, sind trotzdem noch viele Fragen offen, die wahrscheinlich nie beantwortet werden können. Wir würden gerne wissen, was das für ein Gefühl ist, wenn man weiß, dass man von so vielen verfolgt wird und weiß, dass man nur noch überlebt, wenn man Glück hat. Wahrscheinlich wird unsere Generation niemals solche Gedanken oder Gefühle erleben. Du lebtest nur wenige Jahre, wir hoffen, dass wenigstens einige davon schön waren. Es hätte vieles anders kommen können und schuld sind alle an diesem Unglück. Die Vergangenheit kann leider nicht mehr verändert werden, jedoch können wir die Zukunft, jeder für sich, einen kleinen Teil beeinflussen.
Daniel und Stefanie |
Der Brief an die Zukunft (stieg am 5. Mai 2003 an einem Luftballon gebunden in den Himmel):
An die Zukunft!
Viele denken, dass es Krieg vor vielen, vielen Jahren gab oder dass es irgendwo in irgendeinem Land passiert und alles nichts mit uns selber zu tun hat. Doch ist dies ganz anders. Viele unsere Großeltern haben den II. Weltkrieg miterlebt. Auch heute sind Kriege, bei denen wir nicht unbeteiligt sind. Vielleicht lernen die Menschen irgendwann, dass es nicht nur gewalttätige Lösungen gibt. Wir Menschen vernichten uns selber, merken dies zwar, aber nehmen es entweder zu gemütlich oder meinen, dies würde die nächsten Generationen angehen und uns nicht mehr. Doch wenn ein Präsident oder König die Bevölkerung in den Krieg schickt, wird ihm selber fast sicher nichts passieren. Er muss zwar verantworten, dass wegen ihm Tausende Menschen sterben, doch er kann trotzdem sein Leben weiterleben. Viele Familien werden dadurch zerstört, andere komplett vernichtet. Wir hoffen, wir Menschen fangen an zu denken. Wenn nicht jetzt, wann dann? Irgendwann wird es zu spät sein und wir werden uns selber hassen, weil wir nicht früher eingeschritten sind. Dieser Brief soll keine generelle Verachtung allen Menschen gegenüber ausdrücken, er soll nur ein Antrieb zum Nachdenken sein.
Daniel und Stefanie |
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