Liste der Ermordeten


Folgende Informationen sind von Wolf Turteltaub verfügbar:

geboren am 30.11.1867 in Behorodezany, Galiz.
letzte bekannte Wohnadresse
andere Wohnadresse(n) Innsbruck, Tirol
Deportation von Wien nach Riga am 26.01.1942
gestorben - Todesdatum unbekannt -
Die Recherche wurde von Daniela, 18 Jahre, BHAK Innsbruck, übernommen.

Die Lebensgeschichte und wie die Recherche verlaufen ist:

WOLF TURTELTAUB

Wolf Turteltaub wurde am 30. Dezember 1867 in Bohorodczany, Galizien geboren. 1894 heiratete er Amalie Wolfart. Sie verließen ihre Heimat wegen Armut, Arbeitslosigkeit und Hunger. Sie zogen nach Wien, wo sie sich wie die meisten ostjüdischen Einwanderer im II. oder XX. Bezirk niederließen. 1899 und 1900 kamen die ersten beiden Kinder auf die Welt. Am 26.01.1942 wurden sie mit der Transportnummer 15/276 nach Riga deportiert. Seine letzte Wohnadresse ist Rembrandtstrasse 28, 1020 Wien.

Nach einem kurzem Aufenthalt in Salzburg übersiedelte die Familie Turteltaub nach Innsbruck, da hier gute Verdienstmöglichkeiten lockten. Innsbruck nahm dazumal als wichtiger Verkehrsknotenpunkt aufgrund des Baus der Eisenbahnlinie Richtung Brenner und nach Mittenwald einen wirtschaftlichen Aufschwung. Das Ehepaar Turteltaub kaufte 1911 das Haus in der Defreggerstraße 12 und betrieb dort einen Gemischtwarenhandel. Im selben Haus war auch das Textilgeschäft „Warenhaus Fortuna“ untergebracht. In der weiteren Folge brachte Amalie noch 3 weitere Kinder zur Welt. Darunter Sohn Fritz, der an der Seite des Vaters im Geschäft arbeitete. Fritz kassierte unter anderem die Raten der Kundschaften im „Warenkredithaus Fortuna“.
Der einzige Kultgegenstand, es handelt sich dabei um einen Thoramantel mit eingestickter Widmung von „R. Meir Sev Turteltaub und seiner Frau, der lieben Malka, der heute noch im Besitz der Innsbrucker Kultusgemeinde ist, wurde im Jahre 1926 von Wolf und Amalie Turteltaub gestiftet.

Eine Erhebung des Stadtmagistrats im Jahre 1936 ergab, dass Wolf Turteltaub für seine Gattin und seinen stellenlosen Sohn Fritz, für drei Enkelkinder und für seine geschiedene Tochter Eva und deren Sohn zu sorgen hatte. Außerdem hatte er an Erbs- und Einkommenssteuer einen Steuerrückstand von 3000 S zu begleichen. Thomas Albrich meint in seinem Buch „Wir lebten wie sie....“, dass vom monatlichen Umsatz von ungefähr 2000 S, den Turteltaub angab, nur 18 bis 20 % als Verdienst bezeichnet werden können. Dies weist wohl darauf hin, dass die Familie Turteltaub in größere finanzielle Schwierigkeiten geraten war.
Nach dem Anschluss wurde das Geschäft von den Nazis unter kommissarische Verwaltung gestellt. Es wurde von den NS Behörden als zu wenig profitabel erachtet, und man beschloss die Liquidation des Gemischtwarenladens.

Wolf Turteltaub und unter anderem sein Sohn Fritz wurden in der „Reichskristallnacht“ von der Gestapo verhaftet, aber nach einigen Tagen wieder freigelassen.

Um ihre Ausreise vorzubereiten, mussten die Turteltaubs wieder nach Wien umsiedeln. Wolf und seine Frau Amalie blieben in Wien zurück, während die anderen Familienmitglieder voneinander unabhängige Wege einschlugen.
Sohn Fritz konnte sich erfolgreich nach England absetzen, während Tochter Eva mit Sohn und zwei Kindern ihrer Schwester Anna nach Palästina auswanderte.

Wolf Turteltaub wurde am 26. Jänner 1942 von der Rembrandtstr. 28, 1020 Wien mit der Transportnummer 15/276 gemeinsam mit seiner Gattin von Wien nach Riga (heutiges Lettland) deportiert. Die Deportierten wurden dort in das Ghetto eingewiesen oder mussten im Lager Salaspils Zwangsarbeit leisten. Aufgrund der furchtbaren Lebensbedingungen stieg die Sterblichkeitsrate enorm an.
Die restlichen Familienmitglieder bis auf die oben genannten Personen fanden direkt oder auf Umwegen ebenfalls den Tod.
Quellen für Recherchen:
Adressenbücher von Innsbruck im Stadtarchiv
Sella, Gad Hugo: Die Juden Tirols. Ihr Leben und Schicksal, Mai 1979
Schreiber, Horst: Jüd. Geschäfte in Innsbruck. Eine Spurensuche, Innsbruck 2001
Albrich, Thomas (Herausgeber): „Wir lebten wie sie ...“ Jüd. Lebensgeschichte aus Tirol und Vorarlberg, Innsbruck 1999
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (Hrg.): Widerstand und Verfolgung in Tirol 1934 – 1945, Bd. 1 und 2, Wien, 1984

zis.uibk.ac.at/quellen/turteltaub/turt1.html
www.judenpogrom.at/deutsch/ Defreggerstrasse_Information.htm
www.tibs.at/projekte/turteltaub/turtel2.html
www.doew.at

Wie die vielen Quellenangaben zeigen, hatten wir von allem Anfang an keine Probleme bei unseren Nachforschungen.



Der Brief an den/die Ermordete/n :

Sehr geehrter Herr Turteltaub,

wir vier Schüler der Handelsakademie Innsbruck haben Ihren Namen aus der umfangreichen Liste der jüdischen Opfer in der Zeit des Nationalsozialismus ausgewählt, da als Adresse auch Innsbruck angegeben war. Uns war es ein Anliegen, uns mit dem Schicksal eines jüdischen Mitbürgers aus unserer Region auseinander zu setzen.

Nach gründlicher Recherche erkannten wir, wie schwer wohl die 30-iger Jahre, vor allem aber die Jahre nach der Machtergreifung Hitlers für Sie und Ihre Familie gewesen sein müssen. Natürlich können wir Geschehenes nicht wieder gutmachen. Es ist uns aber möglich, dabei zu helfen, anhand Ihrer tragischen Biographie diese Zeit aufzuarbeiten und zu verhindern, dass sie vergessen wird. Denn nur durch das Verankern und das Bewusstmachen Ihres Schicksals und von Millionen anderer Opfern in unseren Hinterköpfen kann verhindert werden, dass solch brutale und menschenfeindliche Gruppierungen auch in der Zukunft über das Leben und den grausamen Tod anderer Menschen entscheiden.

Wir können Ihnen nur aufrichtig unsere Anteilnahme an Ihrem tragischen Schicksal und das Ihrer Familie auszudrücken. Wir vier haben dank unserer Recherche wichtige Erfahrungen gemacht, die unser Verhalten gegenüber anderen Volksgruppen nachhaltig respektvoll beeinflussen werden.



Hochachtungsvoll
Patrick, Thomas, Michael F. und Michael S.

Der Brief an die Zukunft (stieg am 5. Mai 2003 an einem Luftballon gebunden in den Himmel):

Brief an die Zukunft

Unsere Recherche hat uns in Hinblick auf die Judenverfolgung im Zeitalter des Nationalsozialismus die Augen geöffnet. Jetzt erst ist uns richtig bewusst geworden, wie man mit Juden bzw. Jüdinnen umgegangen ist, da wir uns intensivst mit Einzelschicksalen auseinander gesetzt haben. Welche Demütigungen mussten sie wohl ertragen! Welche Ängste, welche Qualen müssen diese Opfer ausgestanden haben!

Wir würden jetzt gerne behaupten, dass heute alles besser ist, aber auch heutzutage werden Minderheiten noch immer diskriminiert und ausgegrenzt. Das geschieht nicht nur im fernen Afrika, sondern auch bei uns in Europa!

Uns jedoch wurde durch die Teilnahme an diesem Projekt klar, dass wir toleranter mit unseren Mitmenschen umgehen müssen, egal welcher Religion, Nation oder Hautfarbe sie angehören. Aber wie uns die Gegenwart zeigt, sind wir noch meilenwert davon entfernt.

Hoffentlich zeigt auch das Projekt „Letter to the stars“ und macht uns klar, welch schwerwiegende Auswirkungen die Gleichgültigkeit anderen Mitmenschen gegenüber mit sich bringen kann. Für uns ist es schwer nachzuvollziehen, dass wirklich niemand gemerkt hat, dass Tausende Menschen in Österreich verschwunden sind. Hat sich kein Mitschüler bzw. Arbeitnehmer gefragt, wo jüdische MitschülerInnen bzw. KollegInnen hingekommen sind? Warum haben LehrerInnen SchülerInnen, KollegInnen und Chefs nicht Alarm geschlagen? Die Abtransporte der jüdischen Mitbürger sind auch nicht nur im Geheimen ablaufen! Wir wissen, dass Proteste auch in der NS-Zeit etwas bewirkt haben. So lief das so genannte „Euthanasieprogramm“ 1941 aus, da man von katholischer Seite massiv dagegen aufgetreten ist.

Wie heißt es immer so schön von den Erwachsenen uns gegenüber: „Ihr Jungen seid unsere Zukunft!“ Setzen wir diese Behauptung doch in die Wirklichkeit um, engagieren wir uns doch für die Gleichheit aller Menschen und für den Frieden auf der Welt und bekämpfen wir all die Ungerechtigkeiten, die auch heute noch vor unseren Augen tagtäglich passieren.

Wir können und wir werden unsere Erfahrungen aus der Recherchearbeit im Gedächtnis behalten. Und eben mit diesem Wissen und den dadurch veränderten moralischen Gedanken werden wir anders an solche Probleme herangehen. Denn jeder Einzelne kann etwas dazu beitragen, dass sich Vergangenes nicht wiederholt und der Mensch daraus lernt.

Patrick, Philipp, Daniela, Thomas

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