Liste der Ermordeten


Folgende Informationen sind von Eduard Schratter verfügbar:

geboren am 20.12.1930 in Wien
letzte bekannte Wohnadresse
andere Wohnadresse(n)
Deportation von Wien nach Minsk am 28.11.1941
gestorben - Todesdatum unbekannt -
Die Recherche wurde von Julia, 11 Jahre, GRG Hagenmüllergasse, übernommen.

Die Lebensgeschichte und wie die Recherche verlaufen ist:

Recherche über Elsa und Eduard Schratter

Elsa wurde am 27. Mai 1926 geboren, Eduard am 20. Dezember 1930, beide in Wien. Sie haben die österreichische Staatsbürgerschaft.

Familie
Ihre Vorfahren kommen aus Podziwierzyniac bei Lancut in Kleinpolen. Lancut liegt 130 km westlich von Lemberg auf der Höhe von Krakau.1 Entweder kamen sie mit der ersten Flüchtlingswelle um 1900 auf der Suche nach Arbeit, oder im ersten Weltkrieg, da das Kriegsgeschehen schon sehr nahe an Lancut war und gehäuft Antisemitismus auftrat. Viele dieser Juden kehrten aber später wieder in ihre Heimat zurück.

Vater: Bernhard Schratter
Beruf: Vertreter (unbekannt wofür)
Geburtsdatum: 12. 10. 1880 2

Mutter: Sali (Sarah) Schratter
Beruf: Strickerin
Geburtsdatum: 11. 3. 1897 2

Geschwister: Charlotte Schratter
Geburtsdatum: ? (wahrscheinlich noch sehr klein, vielleicht noch vor Deportation gestorben) 2

Wohnort
1030 Wien, Adamsgasse 27/ 28, Eckhaus zur Hetzgasse
Es ist ein sehr großer Altbau mit ungefähr 40 kleinen Wohnungen. Es gibt vier Stockwerke. Familie Schratter wohnte im dritten. Die Toilettenanlagen sind bis heute am Gang, wahrscheinlich gab es in der Wohnung früher kein Fließwasser. Türnummer 28 gibt es heute nicht mehr, da einige Wohnungen zusammengelegt wurden. In den späteren Kriegsjahren wurde das Haus beschädigt, 1955 wieder aufgebaut3. Die Schratters wohnten schon mindestens seit 1932 in diesem Haus.
Mit ihnen wohnten im Haus die Familien: Amlicher, Baier, Baumgartner, Berger, Bosch, Cerovitz, Drexler, Eigenfeld, Gauf, Grebenicek, Grimus, Guthann, Heilmann, Heller, Hogl, Janowetz, Kellner (=Hauseigentümer), Kirner, Kluge, v. Kolber, Kral, Lippert, Losert, Machek, Petters, Pröller, Ratz, Rendl, Riffler, Roth, Schuster, Simon, Vokner, Weigl, Wondracek, Woybich. Hausmeisterin war Agnes Thoma.4

Im Gegensatz zu vielen anderen wohnten die Schratters bis zu ihrer Deportation in dieser Wohnung.
Wir nehmen an, dass die Familie arm war, da die Mutter dazu verdienen musste und das Haus eher ärmlich ist. Außerdem gehörten die meisten Ostjuden zu den Ärmeren.

Schule
Elsa wurde am 16. 9. 1932 mit 6 Jahren eingeschult. Sie besuchte die Mädchen Volksschule Löwengasse 12, ganz in der Nähe ihrer Wohnung. Der Schulleiter war Karl Riskann
Die vierte Klasse schloss sie 1936 mit folgenden Noten ab:
Betragen: 1 Deutsche Sprache: 1 Singen: 1
Fleiß: 1 Lesen: 1 Turnen (körperliche Übungen): 1
Religion: 1 Schreiben: 1 Weibliche Handarbeit: 1
Heimatkunde: 1 Rechnen u. Raumlehre: 2 Äußere Form u. Arbeiten: 2
Naturkunde: 1 Zeichnen (u. Handarbeit): 1

Am 4. 7. 1936 wurde sie von der Mittelschule Radetzkystraße im 3. Bezirk abgemeldet. Diese Schule hat sie offenbar nie besucht, da sie die Volksschule ja erst 1936 abschloss.
Ein Jahr war sie in der Hauptschule Wittelsbachstraße im 2. Bezirk angemeldet, am 28. 9. 1937 wurde sie auch von dort abgemeldet.1

Über Eduards Schule konnten wir nichts herausfinden, wahrscheinlich besuchte er die Knabenvolksschule am Kolonitzplatz, neben der Schule seiner Schwester. Wir nehmen an, dass er 1937 eingeschult wurde.2

Jugendaliya
Elsa war Mitglied der Jugendaliya.2 Diese Organisation kümmerte sich darum, dass so viele Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren wie möglich eine Ausreisemöglichkeit nach Palästina erhielten. In Palästina mussten die Jugendlichen in der Landwirtschaft mithelfen, dafür wurden sie schon in Wien ausgebildet. Sie wohnten in Kibuzzim. Die Jugendaliya wurde 1938 in Deutschland von Recha Freier gegründet. Anfang Mai 1941 musste die Jugendaliya aufgelöst werden.

Kurz vorher mussten viele Jüdinnen zwischen 14 und 21 Jahren auf Befehl des Sicherheitsdienstes nach Siems und in andere Orte zum Spargelernten fahren, um den dortigen Bauern zu helfen. Das Ganze wurde „Arbeitsdienst“ genannt. Elsa war zu diesem Zeitpunkt fast 15, es besteht die Möglichkeit, dass sie daran teilnahm, Beweise gibt es allerdings keine.
Tragischer Weise meldeten sich viele freiwillig, 150 wurden genommen, Mitte Mai weitere 150 nachgeschickt.
Untergebracht wurden sie in einem Haus auf Strohsäcken als Betten. Arbeitszeit war von 7 bis 16 Uhr. Am Anfang durfte man noch in die Stadt gehen und mit der dortigen Bevölkerung gemeinsam arbeiten. Bald darauf wurden jedoch die neuen Lagerbestimmungen wirksam, frei war nur noch der Sonntag Nachmittag. Die Arbeitszeit erhöhte sich auf 10 bis 12 Stunden pro Tag, trotzdem gab es immer weniger zu essen. 3 mal am Tag bekamen sie Kaffee, zu Mittag Eintopf. Pro Woche erhielten alle gemeinsam zusätzlich 3kg Brot, wenig Butter, Käse, Wurst und Marmelade. Für die ersten 12 Tage erhielt jeder 3 RM Lohn. Ab Juni war die Spargelernte zu Ende, die neue Beschäftigung war Grasrupfen.
Am 13. 6. 1941 wurde das „Lager“ Siems aufgelöst, weil schon zu viele krank waren. Viele litten an Scharlach. Alle erhielten 6 RM Gesamtlohn.

Gesetze, von denen Elsa und Eduard betroffen waren
Im März 1938 begannen die Angriffe auf Juden.
27. 4. 1938: jüdische Mittelschüler in rein jüdische Schulen (3. Bez.: Radetzkystraße)
9. 5. 1938: alle jüdischen Kinder in jüdische Schulen (3. Bez.: VS Eslarng., HS Sechskrügelg)
Sommmer 1938: Benützung von öffentlichen Parks und Bänken verboten
Zusätzliche Vornamen Israel oder Sarah
Ende 1938: Verbot, Kinos, Theater und Kaffeehäuser zu besuchen
September 1939: Ausgangssperre im Sommer zwischen 20 und 7 Uhr, im Winter zwischen 19 und 7 Uhr.
ab Schuljahr 1940/41: überhaupt kein Unterricht für Juden mehr
Jänner 1941: Beschränkte Einkaufszeiten und eigene Lebensmittelkarten für Juden.
Februar 1941: Verlassen von Wien ohne schriftliche Erlaubnis von Alois Brunner verboten
September 1941: Judenstern
Ende 1941: Verbot der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel

Die Deportation
Organisiert wurden die Deportationen auf den Befehl von Alois Brunner von der Zentralstelle für jüdische Auswanderung und der Kultusgemeinde. Sie mussten die Leute auswählen, Sammellager errichten und unterhalten, die Ausgewählten benachrichtigen, ihr Gepäck abholen lassen und sie schließlich zum Aspangbahnhof befördern. Sie führten genaue Listen über die Deportationen. Haben sie sich diesen Befehlen widersetzt, wurden sie durch andere ersetzt und ermordet.
Mit der Post erhielt Familie Schratter wahrscheinlich eine Postkarte, auf der folgendes zu lesen war (am Beispiel einer anderen solchen Karte): „Sie haben sich am ....... um......... mit Ihren Angehörigen Sahra Schratter, Elsa Schratter, Eduard Schratter und Handgepäck mit Höchstgewicht von 50 kg pro Person in der Schule Wien ........(? Wien 2, Kleine Sperlgasse 2a oder anderes Sammellager im 2. Bezirk) einzufinden. Bei Nichterscheinen erfolgt polizeiliche Vorführung.“
In den Sammellagern herrschten schlechte Bedingungen, es gab wenig zu essen und oft wurden die Menschen von Gestapobeamten misshandelt, gedemütigt und beraubt. Manche begingen in diesen Lagern Selbstmord oder starben an Schwäche. Je näher das Deportationsdatum rückte, desto voller wurde das Lager. Man musste alle Geldmittel, Edelsteine, Münzen, Fotos, Operngläser, Feldstecher, Pelzwaren und den Wohnungsschlüssel abliefern. Das Gepäck wurde oft durchwühlt.
Der zurückgelassene Besitz wurde von der Vugesta beschlagnahmt und an Antiquitäten- und Altwarenhändler verkauft. Ausgeräumt wurden die Wohnungen von anderen Juden.
Irgendwann wurden die Leute aus dem Sammellager zum Aspangbahnhof gebracht. Von dort fuhren die Transporte nach Minsk, Theresienstadt oder Auschwitz zwischen 12 und 16 Uhr ab. Bei jedem Transport war Alois Brunner persönlich anwesend, er galt als einer der brutalsten Schläger.6
Am 28. 11. war es auch für die Familie Schratter so weit. Elsa hatte die Transportnummer 12/412, Eduard 12/413. Mit ihnen stiegen ungefähr 1 000 andere Juden in den Zug. Ihr Transport fuhr wahrscheinlich über Olmitz, Oppeln, Warschau und Wolkowitz. Dort wurden sie von den Personenwagen dritter Klasse in Viehwaggons umgeladen. Auf der Zugfahrt und vor allem beim Umladen wurde die Polizeibegleitmannschaft oft gewalttätig. Nach ein paar weiteren Stunden kamen sie in Minsk an. Schon auf der Zugfahrt starben etliche Menschen. Insgesamt dauerte der Transport drei bis vier Tage. Von diesem Transport haben nur 3 Personen das Jahr 1950 erlebt. 7

Was ist sonst noch an diesem Tag passiert?
Die Zeitung „Das kleine Blatt“ berichtete über eine Vorstellung des Zirkus Renz, die am Nachmittag des 28. 11. stattfand. „Am Ende des Nachmittags konnten wir mit Genugtuung ohne Überheblichkeit sagen: „Guat is gangen, viel is g’schen!“ Auf die Deportation von ungefähr 1000 Juden weist nicht einmal ein kleines Wort hin.
Auch der „Völkischer Beobachter“ berichtet nichts über die Deportation. Schlagzeile war die festliche Eröffnung der Mozartwoche. „Mit guter Laune erfreuen ab 21: 15 Margot Guilleaume, ......., die Unterhaltungskapellen ......... und im großen Rundfunkorchester ...... .“
In einem anderen Artikel meinte der Reichsorganisationsleiter desKDF: „Das Gute und Kraftvolle siegt, weil die Lebensbejahung der Sinn der Schöpfung und der göttlichen Ordnung ist, an die wir inbrünstig glauben.“
Während die Familie Schratter und viele andere in den Zug stiegen, konnten sich ihre Nachbarn zum Beispiel im Löwenkino „Wir bitten zum Tanz“ mit Paul Hörbiger und Hans Moser oder in den „Radetzkyspielen“, einem anderen Kino, „6 Tage Heimaturlaub“ mit Gustav Fröhlich ansehen. Das Burgtheater spielte „Don Carlos“ von Friedrich Schiller. In den Kammerspielen wurde das Singspiel „Fahr‘ ma Euer Gnaden“ von Oskar Weber gezeigt.

Minsk
Nach der Ankunft wurde allen Reisenden ihr ganzes Gepäck weggenommen. Sie kamen in das Ghetto in Minsk. Minsk beherbergte schon vor Kriegsausbruch eine starke jüdische Gemeinde von ca. 70 000 Personen, für die bereits im Juni 1941 ein 2 km² großes Stadtviertel als Ghetto eingerichtet wurde. Die erste große Mordaktion fand statt, um Juden aus anderen Ländern Platz zu machen. Die aus anderen Ländern deportierten Juden kamen in einen separaten Teil, der noch einmal aus fünf Abteilungen bestand. Ein Teil war für die Juden aus Wien, ein anderer für die aus dem Rheinland, weitere Teile für Berliner, Hamburger und Bremer. Es gab kaum Verbindungen zum Hauptghetto. Die Kontrolle über das Ghetto hatte ein Teil der Sicherheitspolizei, eine Einheit der SS und eine Kompanie lettischer Hilfswilliger.
Im Herbst 1941 begannen die Massenerschießungen. Am Anfang waren in erster Linie Kranke, Alte und Kinder betroffen, später alle. Durch diese Mordaktionen sowie Krankheiten und Hunger reduzierte sich die Bevölkerung rasch. Das musste sie ja, für die immer neu nachkommenden Juden aus dem Westen.....
Alle Ghettoinsaßen über 14 Jahre wurden Arbeitskolonnen zugeteilt, mit Essen musste sich jeder selbst versorgen, deshalb litt jeder im Ghetto unter Hunger. Manchmal schlichen sich Kinder aus dem Ghetto hinaus, um etwas umzutauschen oder zu erbetteln. Wurden sie erwischt, erschoss man sie.
Die meisten deutschen Juden wurden in den großen Aktionen am 28. und 31. Juni 1942 sowie im Herbst 1942 und am 8. März 1943 umgebracht. SS-Männer trieben sie in Kolonnen aus der Stadt und erschossen sie im Wald.8
Anmerkungen
1) Aufnahms- und Schulstammblatt (Archiv der Volkssschule Kolonitzgasse)
2) Auskunft von Prof. Karl Hauer (Beziksmuseum Landstraße, Leiter des Projekts „Jüdisches Leben im 3. Bezirk“)
3) Besuch im Haus Adamsgasse 27
4) Wiener Staats- und Landesarchiv, Lehmann’s Wohnungsanzeiger
5) Grunner Wolf, Zwangsarbeit und Verfolgung (2000), 229 ff
6) Hafner Georg/ Schapira Esther, Die Akte Alois Brunner (2000), 82 ff
7) Safrian Hans, Die Eichmannmänner (1993): Beispiel für einen Transport nach Minsk 1942
8) Manuskript zur Radiosendung "Gemeinsam erinnern - zusammen aufbauen - Die Geschichtswerkstatt in Minsk", eine Reportage von Sibylle Wahnschaffe (gesendet 30.3.2003, 17.05 Uhr, NDR)

Simone und Julia Tanzer

Die Recherche war von einigen Enttäuschungen begleitet: Leider konnten wir niemand finden, der vielleicht die beiden gekannt hat. Ein erster Versuch über das Schularchiv schlug fehl, weil es keine geordneten Klassenlisten gab. Dann wollten wir jemanden finden, der zu dieser Zeit im gleichen Haus gelebt hat, aber im ganzen Haus fanden wir keine Namensschilder und auch im Telefonverzeichnis niemanden, der sie gekannt haben könnte und heute noch dort lebt. Erschreckend fanden wir, wie wenig Spuren eine ganze Familie hinterlassen hat!

Der Brief an den/die Ermordete/n :

Der Brief an die Zukunft (stieg am 5. Mai 2003 an einem Luftballon gebunden in den Himmel):

Gedanken von heute, über die Vergangenheit, an die Zukunft

Im Dunkel scheint dein Licht.
Woher? Ich weiß es nicht.
Es scheint so nah und doch so fern.
Ich weiß nicht, wie du heißt.
Was du auch immer seist:
Schimm’re, schimm’re, kleiner Stern.

für Eduard Schratter, ein Opfer des Nationalsozialismus

ZUKUNFT, wer bist du? Was bringst du?
Hoffentlich nicht die Vergangenheit. Und auch nicht das Heute.

Eigentlich sollten wir nicht an die Zukunft schreiben, sondern an uns selbst.
WIR SIND DIE ZUKUNFT!
Denn noch heute passieren die gleichen Dinge wie damals. Leute sterben, verschwinden, werden diskriminiert, weil andere Macht haben wollen. Auch hier, bei uns.
ALSO TUN WIR ETWAS DAGEGEN!
Wofür brauchen wir Geld? Wofür Macht?
Es reicht doch, wenn wir glücklich sind, und glücklich sind wir, wenn wir andere glücklich machen.
Wir sollen nicht verurteilen, sondern handeln. Denn die, die Macht wollen, haben noch nie Liebe erfahren, darum müssen WIR sie lieben. Dann brauchen sie keine Macht mehr, um glücklich zu sein.

Denkt daran:
Was wir heute denken, wird unsere Zukunft.
Was wir heute säen, ernten wir später.
Wenn wir heute lieben, wird für alle Zeit Frieden sein - das Paradies auf Erden!

Bewahren wir unser Glück. Gemeinsam schaffen wir es!

Julia Tanzer

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