Liste der Ermordeten


Folgende Informationen sind von Ilse Hahn verfügbar:

geboren am 08.02.1928 in Wien
letzte bekannte Wohnadresse
andere Wohnadresse(n)
Deportation von Wien nach Maly Trostinec am 17.08.1942
gestorben in Maly Trostinec am 21.08.1942
Die Recherche wurde von daniela, 13 Jahre, Hs Vitis, übernommen.

Die Lebensgeschichte und wie die Recherche verlaufen ist:

Hintergrundinformationen zu meiner Recherche:
· Das jüdische Mädchen Ilse Hahn war eine gute Freundin meiner Großmutter, die mir als Zeitzeugin einiges erzählen konnte. Von diesem Mädchen existieren unseres Wissens nach nur mehr zwei Fotos und vier von ihr handgeschriebene Wörter (siehe Fotos)
· Im Zuge meiner Recherchen stellte eine Mitschülerin von mir Kontakte zum lokalen Heimatforscher Josef Skopik her, welcher in verschiedenen Archiven zahlreiche Kopien von Dokumenten und Schriftstücken vor allem über den Vater von Ilse Hahn anfertigen konnte. Diese Unterlagen standen mir zur Verfügung, ebenso wie die Aussagen seines Vaters, der auch Zeitzeuge ist.
· Herr Skopik plant - angeregt durch das vorliegende Projekt und seine Recherchen - auch die Herausgabe eines Bandes über die Familie Hahn sowie zwei weitere jüdische Familien im damaligen Großweikersdorf.
· Meine Erhebungen erwiesen sich als heikel, weil in dem ehemaligen Kaufhaus heute ein Geldinstitut untergebracht ist. Außerdem leben Nachkommen der im folgenden Text vorkommenden Personen (Namen wurden abgekürzt) in unserer Gemeinde.
· Es gab auch eine wenig erfreuliche Überraschung: Der im Zuge der Arisierung eingesetzte Kommissarische Verwalter ist ein entfernter Verwandter meiner Großmutter.
· Als ich von den damaligen Ereignissen rund um Ilse Hahn in meiner Klasse berichtete, konnte ich unseren Klassenvorstand dazu bringen, dass wir an dem Projekt „Letter to the stars“ teilnehmen. Außerdem begannen einige meiner Mitschüler, auch Namen verstorbener Juden auszusuchen und über diese zu recherchieren.
· Der folgende Bericht wurde auf Basis von Schriftstücken verfasst, kursiv sind meine eigenen Anmerkungen und Einfügungen geschrieben.

Ich bin Ilse Hahn, geboren am 8.2.1928 in Großweikersdorf. Mein Vater Eduard, geboren am 16.10.1883 leitet einen Gemischtwarenhandel in Großweikersdorf. Meine Mutter Emma (geb. Spitz) kam am 14.5.1888 auch in Großweikersdorf zur Welt. Auch meine Großeltern Max und Fanny, die aus Ungarn kamen, wohnen schon seit Jahrzehnten in Großweikersdorf.
Mein Elternhaus, Großweikersdorf Nr. 22 (heute: Wienerstraße Nr.3) wurde von meinen Großeltern am 30.6.1895 gekauft und zur Hochzeit meiner Eltern am 9.10.1912 auf diese überschrieben. Dieses Haus wurde in der Zwischenkriegszeit aufgestockt, weil es davor ebenerdig war. Mein Vater ist Geschäftsmann und Betreiber einer Gemischtwarenhandlung mit einem Getreide- und Hülsenfrüchtehandel, die im Haus integriert sind. In unserem Ort gibt es insgesamt drei weitere Gemischtwarenhandlungen, die gemeinsam mit dem meines Vaters die Versorgung der Bevölkerung sicherstellen.
Unser Geschäft hebt sich dadurch hervor, dass mein Vater jeden Tag schon um etwa 6 Uhr zu arbeiten beginnt. Viel wichtiger für die ansässigen Landwirte und Weinbauern ist jedoch, dass sie Waren aus unserem Geschäft auf Kredit („Anschreiben“) erhalten, den sie erst im Herbst nach der Ernte bzw. Weinlese zurückzahlen müssen. Zur Illustration: Der Umsatz meines Vaters betrug im Jahr 1937 rund 400 000 RM, davon waren die Bauern von Großweikersdorf und der umliegenden Ortschaften meinem Vater 128 705 RM schuldig.
Ich bin im September 1934 in die erste Klasse Volksschule eingetreten und habe Luise Markowetz als Klassenlehrerin, mein Lehrer Hans Kastner ist für Schreiben und Turnen zuständig, mein Direktor heißt Severin Goldmann.
Ich habe gute Freundinnen in der Klasse, z.B. Herta P., die mich oft daheim besuchen kommt und von unserem Geschäft beeindruckt ist. Sie kommt sehr gerne zu mir und wir spielen oft im Haus oder im Garten, obwohl manche Leute ihren Vater fragen, warum er sie denn zu einem jüdischen Mädchen gehen ließe. Doch meine Freundin hat einen sehr aufgeschlossenen und toleranten Vater. Zwischendurch bin ich mit meinen Eltern hin und wieder unterwegs, und so schreibe ich meiner Freundin eine Ansichtskarte aus Baden. Obwohl ich oft krank bin und deswegen in der Schule häufig fehle, bin ich fleißig und lerne sehr gut, was sich daran zeigt, dass ich in der Volksschule vier Jahre lang nur Einser habe. Im Juni 1938 schließe ich die Volksschule in Großweikersdorf mit der 4. Klasse ab.
Vorher ist etwas Schreckliches passiert. Am 12./13. März 1938 kam Hitler an die Macht. Schon zehn Tage später, am 23. März, wird Johann P. zum Kommissarischen Aufseher über unser Geschäft ernannt, danach zum Kommissarischen Verwalter. Bald danach, am 31. Juli muss mein Vater seinen Gewerbeschein zurücklegen. Das Geschäft meines Vaters wird aufgelöst, die schönen Lagerbestände und das Grundstück mit unserem Haus verkauft und unsere Familie völlig enteignet. Mein Vater und meine Mutter können das nicht verstehen. Die oben angeführten Forderungen über 128 000 RM sollen jetzt vom Kommissarischen Verwalter ab August von den Bauern eingetrieben werden. Da er damit wenig Erfolg hat, wird der Treuhänder über jüdisches Vermögen, Franz Häufl, aus Wien, mit der Eintreibung dieser Schulden beauftragt. Offenbar nimmt er dabei sehr wenig Rücksicht auf die finanzielle Situation der Bauern. Sowohl der Kreisbauernführer von Tulln als auch von Hollabrunn schreiben an den Treuhänder und an das Gauwirtschaftsamt in Wien, dass auf die Bauern mehr geachtet werden soll sowie bis zur Ernte- und Lesezeit gewartet werden soll.
In der Zwischenzeit, am 27. Juli 1938, kauft die Landwirtschaftliche Genossenschaft Absdorf das Geschäft um 29 000 RM. Offenbar war mein Vater ein sehr wichtiger und umsichtiger Geschäftsmann, denn anschließend schreibt die Kreisbauernschaft Tulln an den Verband der Ländlichen Genossenschaften, dass der Ankauf der Liegenschaft Hahn in Großweikersdorf über den Reichsnährstand nötig sei, um keine „Lücke in die Absatzmöglichkeit für die Landwirte zu reissen“. Alle Leute im Ort kennen uns als hilfsbereite und freundliche Menschen, und meinen Vater als ehrlichen Geschäftsmann (siehe auch die Bestätigung der Zeitzeugen im März/April 2003).
Weil wir Juden sind, werden wir im Oktober 1938 verhaftet und in der Gemeindekanzlei von Großweikersdorf festgehalten. Vor dem Gemeindeamt hat sich eine Menschenmenge am Hauptplatz versammelt, die berichten, dass wir abtransportiert werden würden. Leopold K. trägt eine SS-Uniform, macht sich vor dem Gemeindeamt wichtig und sorgt mit den Worten „Zurück treten!“ für Ordnung. Nach einigen Stunden kommt der Mechanikermeister G. mit einem alten Roten Kreuz-Wagen vorgefahren, in den wir alle einsteigen müssen. Obwohl wir so viele Großweikersdorfer kennen und uns viele Leute schätzen, traut sich niemand von uns zu verabschieden oder ein Wort zu sagen, weil sie alle Angst vor den Nazis haben.
Für meinen Vater war schon am 19. September klar, dass ich ab Oktober in Wien die Hauptschule besuchen werde, weil ich in Großweikersdorf nicht mehr zur Schule gehen darf: An diesem Tag schreibt er nämlich an den Arisierungskommissär Dr. Schükert in Tulln eine Bitte, dass er etwas mehr Geld aus seinem eigenen Vermögen erhalten solle, denn er „muss hier Ihr Kostgeld bezahlen und auch Verschiedenes was ein Kind braucht.“ Damit bin ich gemeint. Denn wir müssen seit September 1938 im zweiten Wiener Gemeindebezirk in der Tandelmarktgasse 19 wohnen. Mein Vater wollte nie aus Großweikersdorf weg, weil wir dort geboren sind und unser zu Hause hatten, aber jetzt versucht er verzweifelt, mit dem wenigen Geld, das wir noch haben, eine Schiffspassage nach Amerika zu bekommen. Zu spät.
Nun ist es leider soweit. Wir müssen am 29. Jänner 1941 auch aus unserer bisherigen Wohnung ausziehen und in das „Sammelhaus“ in der Böcklinstraße 35 im 2. Bezirk einziehen. Dort habe ich es nicht mehr so einfach wie in Großweikersdorf, weil ich meine besten Freundinnen verloren hatte. Jetzt wohnen wir auch nicht mehr in so einem schönem Haus und unsere Versorgung ist nicht gerade die beste. Meine Eltern geben mir immer einen Teil ihres Essens, weil sie nicht wollen, dass ich unterernährt bin. Ich höre meinen Vater jeden Tag jammern, warum wir nicht auf meinen Bruder gehört hatten und nach Amerika gekommen sind, als dies noch möglich war.
Am 17. August 1942 werden wir verhaftet, in einen Gefangenenwagen gepfercht und zum Bahnhof gebracht. Dort erhalten wir eine Transportnummer (mein Vater Eduard Nr. 250, meine Mutter Emma 251 und ich 252). Es ist der 21. August 1942: Nach Tagen kommen mit diesem 36. Transport insgesamt noch genau 1 000 Menschen mit uns in Minsk an. Dort müssen wir auf einen Sammelplatz, und alle Gefangenen werden auf Wertsachen durchsucht. Manche werden ausgemustert und für die Zwangsarbeit auf dem Gut Maly Trostinec herangezogen. Danach müssen wir und die restlichen Gefangenen schwer bewacht auf einen Lastwagen aufsteigen und gute 18 km fahren.
Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Meinen Eltern stehen Tränen in den Augen. Alle haben Todesangst! Dann werden wir zu einer Art Graben gebracht, welcher ca. 3 Meter tief und 50 Meter lang ist. Da höre ich dann nur mehr Schüsse ...

Verfasser: Michael Fridrich (5b BG/BRG Hollabrunn)
Dr.-Johann-Baumgartnerstraße 2
3701 Großweikersdorf

Der Brief an den/die Ermordete/n :

Der Brief an die Zukunft (stieg am 5. Mai 2003 an einem Luftballon gebunden in den Himmel):

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