Liste der Ermordeten


Folgende Informationen sind von Jura Soyfer verfügbar:

geboren am 08.12.1912 in Charkow
letzte bekannte Wohnadresse
andere Wohnadresse(n) Wien 3, Ölzeltg.1
Deportation derzeit nicht bekannt- Deportationsdatum unbekannt -
gestorben in Buchenwald am 16.02.1939
Die Recherche wurde von Daniel, 14 Jahre, BR/BRG Purkersdorf, übernommen.

Die Lebensgeschichte und wie die Recherche verlaufen ist:

Protokoll Daniel Liehr

Quellen: Internet, Jura Soyfer Gesellschaft ( Altes Rathaus, Wipplingerstrasse 8, 1010 Wien
beim Dokumentationsarchiv der Österreichischen Widerstandskämpfer),
Herr Horst Jarka ( Herausgeber mehrerer Bücher)


15.03.03: Besuch Website „letter to the stars“, auf der Seite „die Holocoust Dokumentation“
( Punkt 4: Erste KZ Transporte) fällt mir der Name Jura Soyfer auf.
Als ich den Namen in die Namensliste eingebe, sehe ich, dass noch niemand
recherchiert und bewerbe mich dafür.

23.03.03 – 10.04.03
Ich gebe den Namen Jura Soyfer in der Suchmaschine „ Austronaut“ ein und bekomme einige interessante Seiten zu dem Schriftsteller Soyfer aufgelistet.
Unter anderem die website der Jura Soyfer Gesellschaft in Wien
(www.soyfer.at), wo ich viele Informationen über das Leben und die Werke von Jura Soyfer finden kann.
Auch ein paar links zu Leon Askin sind da, der Jura Soyfer kannte und mit ihm gearbeitet hat.

10.04.03: Telefongespräch mit Herrn Horst Jarka, der viele Bücher über Jura Soyfer
herausgebracht hat und mir zum Beispiel erzählt, dass Jura viele Freundinnen gehabt hat.

11.04.03 Besuch beim Dokumentationsarchiv der österreichischen Widerstandskämpfer.
Ich lese Zeitungsartikel, Auschnitte aus Verhaftungsprotokoll und sehe viele Bilder von Jura.
JURA SOYFER
LEBENSGESCHICHTE


Jura Soyfer war Schriftsteller und Widerstandskämpfer.
Er wurde 08.12.1912 ( nach russischem Kalender ist das der 25. November) als Sohn jüdischer Eltern ( Wladimir und Ljubov Soyfer) in Charkov in der Ukraine geboren.

Charkov entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm, innerhalb von wenigen
Jahren wanderten über 150 000 Menschen zu, es ergab sich eine große Vielfalt von Religionen und Nationalitäten.
Auch Juras Vater war einer dieser Zuwanderer, er stammte aus Mariupol in der Südukraine.
Als Jura geboren wurde war er Kaufmann der 1. Gilde und besaß große Lager von Metall,
Zement, Kohle Ölfarben und Ölfirnis. Auch während des Krieges schien die Familie Soyfer reicher zu werden und hatte keine Geldsorgen.

Jura und seine fünf Jahre ältere Schwester Tamara lernten bereits in jungen Jahren Französisch, da Juras Mutter wollte, dass diese Sprache zu Hause gesprochen wurde, Ljubov Soyfer war auch literarisch interessiert. Juras erste Gedichte waren in Französisch.

Der Kriegsbeginn im Jahre 1914 hatte noch keine Auswirkungen auf die Familie, doch zwischen 1918 und 1920 wurde Charkow von unterschiedlichen Gruppen der Bürgerkriegsparteien eingenommen. Die Familie beschloss die Stadt mit dem Schiff zu verlassen, sie bleibt kurze Zeit in Konstantinopel –
im April 1921 kommt die Familie Soyfer nach Wien.

In Wien wohnte die Familie kurze Zeit in der Pension Amerika in der Kinderspitalsgasse.
Auch in Wien gab es zu der Zeit viele verschiedene Nationalitäten und große soziale Unterschiede.
Es gab ein Gesetz, dass jemand, der die österreichische Staatsbürgerschaft wollte, sie in einer Gemeinde ( nicht in Wien) beantragen musste. Daher zog die Familie zunächst nach Baden in die Strasserngasse 13 in eine Villa. ( Sie blieb dort vonm Mai 1921 bis zum August 1922)

Wladimir Soyfer konnte schnell wieder Geschäfte machen, außerdem waren viele Einwanderer aus der Ukraine nach Wien gekommen, mit denen er Projekte durchführte.
Jura freundete sich mit Samuel M. Rapoport ( Mitja) an, es wurde eine tiefe Freundschaft.

1923 zog die Familie Soyfer nach Wien, wo sie in der Gärtnergasse 4 im 3. Bezirk in einer Dreizimmerwohnung wohnte.
Zusammen mit ihnen lebten eine Köchin, ein Zimmermädchen und die französische Gouvernante, die mit ihnen geflüchtet waren.

Die Familie überstand noch die Zeit der Inflation gut, doch dann kam der finanzielle Abstieg.
1926 bekamen die Familienmitglieder die österreichische Staatsbürgerschaft. Trotzdem wurde Wladimir Soyfer als „Ausländer“ bei seiner Geschäftsausübung behindert.

Zu Hause bei Jura wurden Russisch und Französisch gesprochen, Deutsch lernte er in der Schule und auf dem Spielplatz. Im Herbst 1923 kam Jura in das Bundesrealgymnasium
in der Hagenmüllergasse. Heinz Pohl, der ehemalige Geschichtsprofessor, erinnert sich,
dass Jura gerne Schlachten mit Zinnsoldaten mit seinem Banknachbarn kämpfte.

1927 brannte der Justizpalast, es gab Unruhen hervorgerufen durch große soziale Gegensätze,
Arbeitslosigkeit und Armut.
Jura begann sich politisch zu engagieren, gegen soziale Ungerechtigkeit zu kämpfen und trat den Sozialistischen Mittelschülern bei.
1929 begann er seine Mitarbeit beim Politischen Kabarett der Sozialdemokratischen Partei.
1930 schreibt er zum ersten Mal für den „Schulkampf“ und die „Arbeiterzeitung“.
In dieser Zeit ist er noch sicher, erlebt die erste Liebe, macht Wanderungen und Skiausflüge mit Freunden.
1931 maturiert Jura Soyfer und schreibt sich an der Universität Wien in Deutsch und Geschichte ein. Seine literarische und politische Tätigkeit wurde immer wichtiger.
Ab Dezember 1931 veröffentlicht er regelmäßig unter dem Namen „Jura“ in der „Arbeiterzeitung“.
In seinen Schriften und Gedichten von 1931-1934 kann man den Aufstieg des Faschismus und den Widerstand dagegen nachvollziehen.
Noch heute behaupten viele über diese Zeit „wir haben nichts gewusst“, doch Soyfer schrieb im Gedicht „Reformiertes Deutsches Kirchenlied“, das am 25. Nov. 1933 in der Arbeiterzeitung abgedruckt wurde: „ Wir stehen in Dachau beim Prügeln, habt acht....“

Im März 1933 wurde das Parlament ausgeschaltet. Juras wichtiges Erlebnis war eine Tippeltour durch Deutschland, er schreibt Reportagen über die Auseinandersetzungen zwischen Demokratie und Faschismus.
Im Februar 1934 wird die Arbeiterbewegung militärisch zerschlagen, Jura wird aktiver Teil des Widerstandes. Jura versuchte diese Zeit in einem Roman auzuarbeiten, dieser ist wie ein Drittel seines Werkes verschwunden, nur ein Fragment „ So starb eine Partei“ ist erhalten,
es half in den 70 iger und 80 iger Jahren vielen Menschen zu verstehen, in welcher Zeit und wie ihre Eltern und Großeltern gelebt hatten.
Nach dem Februar 1934 schreibt Jura für die Kellerbühnen, die von der Polizei überwacht wurden. Die linke Presse wurde verboten. Soyfers Gedichte waren nun als getarnte Zwischenrufe aus dem linken Untergrund zu hören. Es enstanden viele Stücke wie „Weltuntergang“, „Der Lechner Edi schaut ins Paradies“, „ Astoria“,.. Der relative liberale
„ Wiener Tag“ druckte Soyfers Kulturkritiken.
Soyfers Engagement beginnt gefährlich für ihn zu werden, am 17. November 1937 wird er verhaftet, ebenso wie seine Freundin Helene Ultmann.

Im Situationsbericht der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit vom 18. Nov 1937,
9 Uhr ( DÖW- Akt 12 322) steht:
„ Am 17. Nov 1937 wurde nach längerer Beobachtung der 25 jährige Schriftsteller Jura Soyfer, VII. Lindengasse Nr. 41, welcher verdächtig ist, Leiter des Agitationsbüros
der K. P. Oe. zu sein und den Pressedienst der „Roten Fahne“ zu redigieren, verhaftet.
In seiner Wohnung wurde auch kommunistisches Material gefunden. Gleichzeitig wurde auch seine Freundin Helene Ultmann, 21 Jahre, Korrespondentin bei der Firma Gerngroß A. G..,wohnhaft Löblichgasse Nr. 8, verhaftet. Auch bei ihr wurde Material gefunden.“
Über die Zeit im Gefängnis gibt es einen Briefwechsel, der zeigt, was in Jura vorging.
( Jura Soyfer, Sturmzeit, Briefe, herausgegeben von Horst Jarka, Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1991)
Juras Familie unterstützt ihn, am 17. Februar 1938 wird Jura Soyfer im Zuge einer Generalamnestie aus dem Gefängnis entlassen.
Jura hoffte noch, dass die Besetzung Österreich verhindert werden könnte, da marschierte
am 12. März 1938 das deutsche Militär ein, schon am 11. März hatte die Finanzlandesdirektion in Feldkirch den Befehl erhalten, die Grenzen abzuriegeln.
Jura Soyfer und sein Freund Hugo Ebner versuchten noch in die Schweiz zu flüchten und wurden dabei von österreichischen Beamten an der „grünen Grenze“ verhaftet.

Jura kam zuerst in die Gefängnisse Bludenz, Feldkirch und Innsbruck und von dort ins
Konzentrationslager Dachau. Im KZ Dachau schrieb er das berühmte „ Dachau-Lied“,
das von Herbert Zipper vertont wurde. Er schrieb sogar noch im KZ Sketches,
um seine Kameraden aufzuheitern.
Juras Familie versuchte noch, ihn aus dem KZ herauszubekommen, doch es wurde für sie
immer gefährlicher in Österreich und sie verlassen das Land. Am 9. Febr. 1939 treffen Wladimir, Ljubov und Tamara in New York ein, dort bleiben sie bis zu ihrem Lebensende.

Am 23. September 1938 wurde Jura Soyfer ins KZ Buchenwald transportiert. Als dort Typhus ausbrach, musste er als Leichenträger arbeiten und infizierte sich mit Typhus.

Jura Soyfer starb am 16.12.1939 im KZ Buchenwald an Typhus.





Zu Jura Soyfers Arbeiten:

Jura Soyfer galt als Dichter der Armen, während der Wirtschaftskrise in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Seine Verse waren erbitterte Proteste gegen die Verelendigung der Massen, anfeuernde Aufrufe zu solidarischem Widerstand, politische Satiren im Kampf gegen den drohenden Faschismus. Das sind Themen, die heute noch aktuell sind, der Ausländerhass ist nicht verschwunden, es gibt noch immer Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Gegensätze und Kriege ( die durch nationalistische Propaganda entstehen). Soyfer schrieb mit Witz, Humor und Einfühlungsvermögen in die Welt der Armen, er vereinte Lyrik und ätzende Satire, viele seiner Lehrstücke enden mit Hoffnung. Seine Texte lösen Lachen aus, dieses Lachen setzt
Soyfer dem Krieg, der Diktatur und dem Tod entgegen. Er konnte das Leid der Menschen nicht verhindern, doch seine Texte haben Menschen Hoffnung gegeben.
Alessandra Schininá schreibt: Die pahantastische und märchenhafte Verkleidung der
Theaterstücke und Gedichte Soyfers waren nicht nur ein Mittel um der Zensur zu entgehen,...
...Soyfer hat eine Literatur des Negativen abgelehnt und kämpfte gegen die fatalistische
Resignation vieler seiner Zeitgenossen..... seine Menschlichkeit, sein Sinn für Humor, sein reiche Phantasie und sein scharfer Blick halten ihn vom Dogma als auch von einer naiven Utopie fern.
Soyfers bestes Stück über diese Zeit und unsere Zeit ist „Astoria“. In einem anderen Stück „Lechner Edi schaut ins Paradies“ schreibt Soyfer über ein Thema, das heute hochaktuell ist,
die Schuld an der Arbeitslosigkeit.











Auszug aus „Marschlied für deutsche Kinder“, Mai 1933:

Hänschen klein
Geht allein
Vor den strammen Dreierreih’n.
Seht, wie fein
Stehn dem Schelm
Säbel doch und Helm!
Und es lacht sein Mütterlein:
Lieb Vaterland, magst ruhig sein!
Eins und zwei,
Fest und treu
Steht die Wacht am Rhein!


Auszug Refrain des Strassensängers im Weltuntergang ( in der Volkssprache):

Gehen ma halt a bisserl unter,
mit tschin-tschin in Viererreihn,
immer lustig, fesch und munter,
gar so arg kann’s ja net sein.
Esrtens kann uns eh nix gschehn,
zweitens ist das Untergehen
`s einzige, was der kleine Mann
heutzutag sich leisten kann.
Drum gehen ma halt a bisserl unter,
`s riskant, aber fein.

Beispiele für Aufführungen von Juras Stücken:

1934 „Seeschlangen- Fox“ von Jura Soyfer und Grete Hartwig in Wien, Die Seeschlange
1935 „Kasperl sucht ein Stück“ von Walter West (= Jura Soyfer) im „Bunten Herbstprogramm“ 14. Okt. Bis 11. Dez 1935, Wien, ABC
1937 „Die Botschaft von Astoria“ von Walter West (= Jura Soyfer) 27. 03 bis
17.04.1937, Wien, ABC ( ABC im Regenbogen)
1938 Dachaulied und Sketches im Konzentrationslager Dachau und Buchenwald
1939 „Journey to Paradise“ ( Übersetzung von „ der Lechner Edi schaut ins Paradies“ von John Latouche ) im Programm „From Vienna“. New York, 20.Juni 1939
The Musicbox
Und so weiter…..

Der Brief an den/die Ermordete/n :




Lieber Jura,

ich hoffe, Du weisst, dass Du nicht in Vergessenheit geraten bist. Deine Stücke werden
noch immer aufgeführt, Deine Reportagen, Werke und Gedichte werden noch immer von vielen Menschen gelesen.

Du warst ein Mensch, der sich auch in schlechten und gefährlichen Zeiten mit Mut für soziale Gerechtigkeit, Toleranz gegenüber Ausländern und ein demokratisches System einsetzte.
Ich weiss nicht, ob in diesen Zeiten denselben Mut gehabt hätte, Widerstand zu leisten und für meine Ideale zu kämpfen, so wie Du.

Deine Werke sind noch immer aktuell, da es noch immer Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Gegensätze gibt. Es gibt noch immer Verfolgungen anders Denkender aus politischen und religiösen Gründen auf der Welt. Auch heute gibt es noch Diktaturen und Krieg.
Man kann heute genauso verhaftet und ermordet werden, wenn man seine Meinung frei sagt- zwar nicht in Österreich, aber eben anderswo.

Du hast uns gezeigt, dass man die Hoffnung nicht aufgeben darf und dass es sich lohnt, mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen, für die Freiheit zu kämpfen. Du hast anderen Menschen Mut gegeben, deswegen habe ich sehr viel Respekt vor Dir und bewundere Dich.

Schade, dass Du nicht früher geflüchtet bist. Aber es muss schwer sein, dauernd auf der Flucht zu sein, in andere Länder zu ziehen, wo man wahrscheinlich wieder keine Arbeit, keine Freunde und kein Zuhause hat.

Zum Glück gibt es immer noch Menschen, die sich für politisch Verfolgte einsetzen, die die Hoffnung nicht aufgeben und Widerstand leisten. Ich bin glücklich, dass wir in Österreich leben, denn hier sind wir frei. Dafür sollten wir dankbar sein und nie vergessen, wie es früher einmal war. Auch Du hilfts uns dabei, nicht zu vergessen was damals geschah.

Ich möchte auch versuchen meinen Beitrag zu leisten, will mich nicht vom Hass auf Ausländer oder andere Religionen anstecken lassen. Man hat ja gesehen, wie schnell so etwas geht, also muss man immer die Augen offenhalten. Jeder kann einen kleinen Beitrag leisten.
Ich will mich bemühen und auf der Seite der Gerechtigkeit, des Friedens,der Toleranz und der Demokratie stehen, das verspreche ich Dir!

Dein Daniel


Der Brief an die Zukunft (stieg am 5. Mai 2003 an einem Luftballon gebunden in den Himmel):

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