OE1-Beitrag

Ernst Flesch lebte bis 1939 in Wien und konnte mit einem Kindertransport nach England ausreisen. Seine Mutter überlebte Auschwitz und Bergen-Belsen. Sein Großvater Salomon Fried wurde 1943 im KZ ermordet. SchülerInnen der HLWBLA Wieselburg haben ihm zugehört.

"Es gab auch Österreicher, die sich nicht verhetzen ließen"

Unser Projekt "Reconciling" hat zum Ziel, die frühere jüdische Gemeinde von Ybbs und Amstetten zu erforschen, die Lebensgeschichten und Schicksale ihrer Mitglieder und Familien zu dokumentieren, mit deren Überlebenden und Nachkommen Kontakt zu pflegen sowie den Jüdischen Friedhof in Ybbs als einzigen Ort der Erinnerung an diese Gemeinde zu bewahren.

Bei vielen unserer Kontakte kam die Rede immer wieder auf die Person, die den Zusammenhalt dieser immer schon sehr zerstreuten Gemeinschaft repräsentierte, auf den jüdischen Religionslehrer Salomon Fried (links im Bild).

Sein Unterricht fand in den jüdischen Familien statt. Und sogar in der Vorgängerinstitution unserer Schule unterrichtete Salomon Fried im Schloss Weinzierl die jüdischen Kinder des ehemaligen Franz-Joseph-Jugendasyls.

Nach gut zwei Jahren detektivischer Suche über Meldeämter früherer Aufenthaltsorte seiner Familie sind wir ganz stolz, endlich ein Bild von Salomon Fried zeigen zu können. Wir erhielten es zusammen mit einem Brief von seinem Enkel Ernst Flesch aus London, der damit auf unseren vom "Nationalfond für die Opfer des Nationalsozialismus" verschickten Rundbrief antwortete. Darin schreibt Ernst Flesch:

"Ich persönlich lebte bis zu meiner Auswanderung Anfang 1939 ... mit einem der bekannten Kindertransporte nach Großbritannien ... mit meinen Eltern in Wien ... Ich verbrachte ... jede Sommerferien ganz nahe von Wieselburg bei meinem Großvater Salomon Fried in Purgstall an der Erlauf.

Er war ursprünglich aus der Slowakei, lebte aber schon seit vor dem 1. Weltkrieg mit seiner Familie in Purgstall.

Ich erinnere mich, dass er als Religionslehrer in der Gegend herumfuhr und die Kinder der jüdischen Familien, die in Orten wie Amstetten und Waidhofen an der Ybbs wohnten, unterrichtete.

Er war auch als jüdischer Ritualschlächter tätig. Ich sah ihn manchmal im Garten Hühner schlachten, und jeden Morgen machte er im Wohnzimmer das Morgengebet. Er war natürlich fromm, aber nicht orthodox im osteuropäischen Sinn .... Als ungarisch sprechender Slowake gehörte er der modernen mitteleuropäischen Richtung an.

In Purgstall hatte er ein Haus am heutigen Alois-Fragner-Platz. Nach dem Anschluss zog mein Großvater Salomon Fried dann nach Wien, wo er bis zu seiner "Umsiedlung" nach dem Osten, wohnte.

Seine Frau, meine Großmutter Anna Fried (am Foto rechts), starb schon vor 1942. Er kam dann 1943 im Lager um.

Meine Mutter, Marie Flesch, geb. Fried, hatte 1927 in Wien geheiratet und kam nachher nur in den Sommerferien mit mir nach Purgstall. Meine Mutter ... überlebte Auschwitz und Bergen-Belsen und kam 1946 zu uns nach London, wo sie 40 Jahre lebte. ... Ich selbst war ungefähr seit 1969 mehrere Male in Purgstall, und war jahrelang in Kontakt mit der Nachbarin Hermine Buxhofer, mit der ich als Kind in den Ferien gespielt hatte."

Diesem Hinweis verdanken wir den Kontakt zu Frau Buxhofer und viele Einzelheiten und Fotos beider Familien, wobei immer noch das Bild von Salomon Fried fehlte. Diesen Wunsch erfüllte uns Ernst Flesch mit seinem nächsten Brief, dem er viele Fotos beilegte und einige unserer speziellen Fragen nach der religiösen Praxis der Jüdischen Gemeinde ausführlich beantwortete :

"Es hat mich sehr gefreut, durch Sie wieder von Frau Buxhofer zu hören. ... Sie ist wiederum ein Beispiel von den zahlreichen Österreichern, die sich niemals von den Nazis verhetzen ließen. ...

Mein Vater Alfred Flesch war Sekretär des Tempels im 10. Bezirk Wiens, aber nicht sehr tief religiös.

Mein Onkel Erich (Neufeld) ließ sich aus beruflichen und politischen Gründen sogar taufen (ist von den Nazis erschossen worden)."

Ernst Flesch half uns auch, unseren Stammbaumentwurf zur Familie Fried/Flesch, den wir aus den Standesbüchern der Israelitischen Kultusgemeinde Ybbs (1881-1938) erstellt hatten, zu ergänzen und zu korrigieren.

Auf unsere Standardfrage nach anderen jüdischen Familien in der näheren Umgebung schildert er eine Szene, die mit der Familie Thierfeld, ebenfalls in Purgstall, zusammenhängt. "Sie hatten gegenüber dem Haus meines Großvaters ein größeres Kleidergeschäft und waren sehr beliebt. Ich glaube, sie wanderten nach Amerika aus. Ich erinnere mich, dass mir erzählt wurde, dass die Nazis ein Bauernmädchen, das bei Thierfelds eingekauft hatte, mit einem schmählichen Plakat ,Ich deutsches Schwein kauft` beim Juden ein´ ins Schaufenster setzten, von wo sie jedoch die Purgstaller sofort herausholten.


SchülerInnen der HLWBLA Wieselburg