OE1-Beitrag

Lorenz Adamer, Schüler, hat als Botschafter der Erinnerung im März 2008 den Überlebenden Awraham Shomroni in Wien getroffen.
Die Lebensgeschichte von Awraham Shomroni wurde von Lorenz Adamer, des BG Kufstein, geschrieben.
Die englische Kurzbiographie, verfasst von Awraham Shomroni finden Sie hier.


DIE LEBENSGESCHICHTE VON AWRAHAM SHOMRONI 


"Bereits als ich mit Avraham Shomroni das erste mal telefoniert habe, wurde mir bewusst, dass ich einen Zeitzeugen treffen werde, der wohl eine spannende Geschichte zu erzählen hat, aber mir war nicht bewusst, wie facettenreich und einprägend seine Lebensgeschichte dann wirklich sein sollte." (L. Adamer)

Avraham Shomroni wurde am 08.03.1927 als Alfred (Fredi) Helfgott in Wien geboren. Seine Eltern Fritz und Rosa Helfgott, sein Bruder Isak und er wohnten damals in der Leopoldstadt in der Rueppgasse 18/22. Avraham beschreibt seine Kindheit in Wien vor 1938 als „recht normal“, obwohl er früh bemerkte, dass ein Antisemitismus in der Luft lag. Er und sein Bruder wurde von seinen Eltern orthodox erzogen, aber in seiner Familie wurde interessanterweise hochdeutsch und nicht jiddisch oder wienerisch gesprochen. Avraham und sein Bruder hatten Freundschaften sowohl mit jüdischen als auch mit nicht jüdischen Kindern vor dem Anschluss und Avraham startete 1937 mit dem Chajes – Gymnasium in Wien. Natürlich änderte sich alles am 12.März 1938 mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Eine bleibende Erinnerung hierfür ist zum Beispiel, dass Avraham und sein Vater auf dem Weg nach Hause waren und eine große Menschenmenge auf der Straße sahen. Sie schauten neugierig und erstaunt, was dort vor sich ginge und mussten erkennen, dass neben einigen anderen gedemütigten Leuten die Mutter von Avraham die Straße von austrofaschistischen Parolen mit ihren Fingernägeln reinigen musste. Diese erste wirkliche Demütigung konnte der Vater und Avraham selber lösen, indem sie die Mutter im Getümmel in die Mitte nahmen und heimbringen konnten, aber Avraham erlebte in der Folge auch harte Konfrontationen mit dem Antisemitismus. So wurde er und sein Bruder mehrmals von Hitler-Jugend-Mitgliedern auf dem Heimweg mit Stöcken oder unter Beschuss von Steinen gejagt.
Die Reichskristallnacht im 38er – Jahr erlebte er ebenso einprägsam und klarerweise schrecklich und er hat noch immer vor Augen, wie sich der Himmel von Wien rot färbte, als man Tora – Rollen aus allen Synagogen brachte und diese auf der Strasse verbrannte. Der wahre Schock bzw. ein persönliches einschneidendes Erlebnis kam für Avraham aber erst am Tag nach der Kristallnacht. Die (ebenfalls jüdischen) Nachbarn der Helfgotts suchten seine Eltern auf und teilten Fritz Helfgott mit, er solle sich jetzt vor den Nazis verstecken, da die Nachbarn vernommen hätten, dass diese von Haus zu Haus gingen, um Nachforschungen und Festnahmen durchzuführen.
Der Vater von Avraham wollte sich aber nicht verstecken, wie es ihm seine Nachbarn geraten hatten, da er keinen Grund darin fand. Er diente als 17 – Jähriger freiwillig dem Kaiser an der Front und sah sich eindeutig als pflichtbewusster Österreicher, der sich nichts zu Schulden kommen hat lassen.

Schlussendlich war es aber so, dass die „Prophezeihung“ der Nachbarn wahr wurde und kurz nachher zwei SS – Männer in Zivil kamen, um Herrn Fritz Helfgott zur Gestapo mitzunehmen. Er wurde nach Dachau geschickt und die Mutter Avrahams setzte verzweifelt alles daran, ihren Mann wieder freizubekommen – vor allem, weil sie dachte, das alles sei ein Missverständnis. Herr Helfgott war ein Buchhalter, der seine Bürgerrechte stets erfüllt hatte und, um leichter auswandern zu können, zum Schuster umgelernt hatte (wie seine Freunde – Ärzte und Rechtsanwälte, die in der Welt gesucht werden, wenn sie nur nicht Juden sind). Sie überlegte aber anschließend trotzdem wohin sie denn gehen könnte, um Österreich zu verlassen, da sich die Situation zuspitzte. Sie hatte einige Geschwister bereits seit 1934 in Palästina, aber sie wollte auf keinen Fall ohne ihren Mann das Land verlassen. Rosa Helfgott suchte jedoch jede Möglichkeit wenigstens die Kinder wegzuschicken und endlich gelang es ihr ihre beiden Söhne Isak und Alfred (Avraham) für den ersten Kindertransport nach England anzumelden, von dem sie vorher gehört hatte. So kam es also, dass die Mutter Avrahams, begleitet von ihrer Schwester schweren Herzens den damals 11 – jährigen Avraham und den 13 – jährigen Isak am 10. Dezember 1938 am Bahnhof in Wien verabschiedete und auch zum letzten Mal sah. Avraham konnte damals die Traurigkeit und Verzweiflung seiner Mutter nicht verstehen, aber im Nachhinein ist im eindeutig klar, wie schwer es gewesen sein musste, dass eine Mutter ihre zwei Kinder nach England schicken und sie verabschieden musste, um ihnen Sicherheit zu bieten.

Sie setzte natürlich weiterhin alles daran ihren Mann freizubekommen, um mit ihm nachzureisen und erfuhr schließlich von seiner Kondition. Er wurde sechs Wochen freigemacht und hatte die Wahl auszureisen oder dazubleiben und wieder festgenommen zu werden. Er versuchte daraufhin Visums zu bekommen, um mit seiner Frau ausreisen zu können, aber er blieb erfolglos, da es nicht möglich war irgendein Visum zu bekommen – unter anderem, weil die Familie nicht genug Geld hatte.

Avraham war hingegen mit seinem Bruder „Ischu“ und hunderten anderen Jungen bis zum Juli 1939 in verschiedenen Flüchtlingslagern in England. Im Juli 1939 wurde er schließlich mit seinem Bruder und einem anderen jüdischen Jungen namens Felix nach Bentham (ein kleines englisches Dorf mit circa 3000 Einwohnern) geschickt und das ortsansässige Flüchtlingskomitte beschloss die drei Burschen in der „Bentham Grammar School“ unterzubringen. So konnten Avraham, Isak und Felix während der Schulferien ihre Zeit auf beispielsweise einem Bauernhof und Weihnachten mit dem Priester des Ortes verbringen.

Hinzuzufügen ist allerdings noch, dass Avraham noch bis zum Kriegsbeginn 1939 bestmöglichen Kontakt mit seinen Eltern hatte. So erhielten er und sein Bruder regelmäßige Briefe ihrer Mutter und in den Wochen, in denen ihr Vater aus dem KZ Dachau nach Hause kam, natürlich auch von ihm. Nach Kriegsbeginn gab es nur mehr monatliche Rot – Kreuz – Karten, die 25 Wörter enthalten durften.
Im Jahre 1942, als Avraham 15 Jahre alt war, schloss er die Schule mit dem School Certificate der Oxford Universität ab und lehnte die Möglichkeit weiter in die Schule zu gehen ab, um eine Kriegsarbeit zu verrichten und sich „nützlich zu machen“. Er begann die Arbeit bei den „Keighley Laboratories“, wo Metalle für die Luftwaffenindustrie analysiert wurden. Er bildete sich aber in Abendklassen weiter, um das „Degree“ zu erreichen. Als 20 – Jähriger wurde er 1947 bei dem Dunlop Research Centre in Birmingham eingestellt, wo 200 Wissenschaftler für die 10 000 Mann Fabrik alles über Gummi erforschten (die Fabrik stellte hauptsächlich Reifen für Flugzeuge und die Motorindustrie her). Dort war er auch Assistent von jemandem, der später Professor an der Cambridge University wurde und der ihm sehr zu seinem Ph.D. leiten wollte. Aber von all dem war nichts wichtiger als die Entscheidung einem neuen Kibbutz in Israel beizutreten. (Er hörte aber weiterhin nicht auf sich weiterzubilden und nach 20 Jahren studierte er für den Master (MSc) auf der Bar Ilan University). Beim Abschied vom Research Centre fragte ihn sein Chef, warum er nicht weiter bei der Firma bleiben wollte, antwortete er, dass die Juden nicht ihr Schicksal erleiden, weil es zu wenige Chemiker gab, sondern weil es zu wenige Leute gab, die das Land besiedeln und die Außengrenzen verteidigen.
Von 1950 – 1953 war er der General Sekretär einer zionistischen – sozialistischen Jugendbewegung bis er schließlich 1953 nach Israel zog und dort dem Kibbutz Barkai beitrat, bei dem er 15 Jahre lang im Feldanbau (Baumwolle, Mais, Kartoffel,…), 15 Jahre auf der regionalen Mittelschule (auch als Direktor) und 6 Jahre auch in der Kibbutz Plastikfabrik tätig war. Er heiratete außerdem im Kibbutz und zog neben all seinen Beschäftigungen seine zwei Söhne groß.

In Israel bekam er aber auch Informationen zu dem Schicksal seiner Eltern. Avrahams Vater wurde, nachdem er in Dachau war, nach Polen geschickt, aber es gelang ihm zu einem Onkel in der näheren Umgebung zu flüchten und dort zu verweilen. Die Cousine von Fritz Helfgott, die nach dem Krieg nach Israel kam, erzählte Avraham außerdem, dass sein Vater bis zur Ankunft der Sowjets (die Polen mit den Nazis teilten) bei ihnen wohnte. Die Sowjets meinten zu Herrn Helfgott, dass jeder, der die sowjetische Staatsbürgerschaft annimmt, dort bleiben darf, aber derjenige, der die Staatsbürgerschaft nicht annimmt, wird in den Osten geschickt. Avrahams Vater sagte (den Erzählungen der Cousine nach), dass er nie die österreichische Staatsbürgerschaft abgeben würde. So wurde er von den Sowjets weggeschickt und Avraham und seine Familie erfuhren nie wohin. Fritz Helfgott hätte allerdings die Adresse von Avraham gehabt und hätte sicher geschrieben, wenn es ihm irgendwie möglich gewesen wäre.
Avrahams Mutter hingegen wurde mit ihrer Schwester und derer kleiner Tochter 1942 nach Theresienstadt geschickt und kam 1943 nach Auschwitz. Avraham selbst hat die Nummern von den Frauen, Männern und Kindern gelesen, die an diesem Tag abgeschickt wurden und ankamen. Avraham meinte, er habe bis zum Ende des Krieges gehofft und sich nie als Waisenkind gefühlt, aber in der Tat sah er seine Eltern zum letzten Mal 1938, als er 11 Jahre alt war.

In Israel war Avraham aber auch mehrmals Sekretär des Kibbutz und von 1982 – 1986 Abgeordneter der Zionistisch – Sozialistischen Partei Mapam und der National Kibbutz Federation in England.

1994 zog er schließlich nach Tel Aviv und ist noch heute in einer israelisch – palästinensischen Organisation von Familien tätig, die ihre Kinder im Zuge des Nahostkonflikts verloren haben, aktiv (hierbei speziell auch mit fast wöchentlichen Kontakt zu Mittelschülern).

Englische Kurzfassung von Avraham Shomroni


Avraham Shomroni formerly Alfred (Fredi) Helfgott My short biography: 8.3.1927 Born in Vienna. Enrolled in the Chajes-Realgymnasium in 1937 10.12.1938 Left Vienna on the first Kindertransport for England, a month after my father was sent to Dachau concentration camp 1939-1942 Cared for by the Bentham Refugee Committee (Quakers, Church of England members, Methodists et al.) at Bentham Grammar School 1942-1947 War-work as a laboratory assistant 1947-1950 Dunlop Research Centre, Birmingham 1948 B.Sc. (Special chemistry with physics and mathematics, University of London). Many years later,M.Sc. studies (chemistry, education etc.) at Bar Ilan University. 1950-1953 General Secretary of Zionist-Socialist Youth Movement 1953 Moved to Israel and joined Kibbutz Barkai, married and raised two sons 15 years in field-crops (cotton, maize, potatoes etc.) 12 years in regional high-school (partly as principal) 6 years in Kibbutz plastics factory (partly as general manager) Several times Kibbutz Secretary 1982-1986 Representative of the Zionist-Socialist Party Mapam and of my Kibbutz Federation, in England 1994 Resident in Tel Aviv, Active in the Israeli-Palestinian Forum of Bereaved Families for Reconciliation and Peace, especially in meetings with high-school students