- Agnes Vana, trifft als Botschafterin der Erinnerung im März 2008
- Benjamin Ben-Rechav in Israel.
BENJAMIN BEN RECHAV
„was nicht geschrieben wird, geht verloren“
GEORG SCHWARZ alias BENJAMIN BEN RECHAV, geboren am 09. August 1938. Nur 2 von den etwa 9 Identitäten, die dieser Mann innerhalb nur eines Jahres angenommen hatte, nämlich, als er im Alter von 10 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder auf der Suche nach Heimat war.
Angefangen hat es mit Georg Schwarz, der im Jahre 1938 ein Baby war. Im August geboren, kannte er „normales Leben“ wie wir es verstehen nicht. In seiner Heimat Österreich hatte seit wenigen Monaten ein Mann das Sagen, dessen Namen noch heute mit Schrecken und Ekel und meist nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird.
Adolf Hitler, Gigant des Grauens.
Er hatte am 13. März die Macht in Österreich übernommen und so die Heimat von Georg Schwarz, die auch die Heimat von Adolf Hitler selber war, „ins große Deutsche Reich heimgeführt“.
In dieser nun „Ostmark“ genannten Gegend galten neue Regeln und Gesetze, neue Lehren und Gebote.
Dem schon lange schwelenden Antisemitismus wurde fester Grund gegeben, Öl in die Glut geschüttet und den Menschen eine Rassenlehre vermittelt, die in Hitlers Kopf seinen Ursprung hatte und Millionen von Menschen das Leben kostete.
Mensch war nicht mehr gleich Mensch.
Georg Schwarz – ein blonder Bub zwar,
aber ein jüdisches Baby.
Kein „Herrenmensch“.
An seinen Vater hat er keine Erinnerung. Nur aus Erzählungen kennt er den Mann, der schon 1939 nach England ging, in der Hoffnung, möglichst rasch die nötigen Papiere und Zertifikate zu bekommen, die ihm erlauben würden, Frau und Söhne wie auch seinen Neffen nachzuholen und in Sicherheit zu bringen.
Dazu aber sollte es nie kommen.
Als in Deutschland der Krieg ausbrach, wurden alle deutschen Staatsbürger in Großbritannien festgenommen und nach Canada und Australien in Gefangenenlager deportiert.
Georgs Vater war unter ihnen.
Heimat und Familie sah er nie wieder.
Wie er diese Zeit als Georg Schwarz überlebte, ist Benjamin Ben Rechav heute selbst ein Rätsel.
Die Einschränkungen im täglichen Leben, die Jüdinnen und Juden in Wien erfuhren: Ausgehverbot, Beschimpfungen, wachsender Hass, Brandmarkung durch den Judenstern, etc. konnte der kleine Georg noch nicht einordnen. Erst vier Jahre war er alt, als er 1942 mit Mutter und Bruder vom Sammellager im zweiten Wiener Gemeindebezirk abtransportiert wurde. Den Weg von der Zugstation ins Lager Theresienstadt mussten sie zu Fuß zurücklegen.
Die kleinen kurzen Kinderfüße trugen ihn in ein Leben hinter Mauern.
Die Grausamkeiten der SS, die er und tausende Andere daraufhin erfuhren, waren und bleiben unbeschreiblich. Benjamin Ben Rechav ist nicht der Einzige, der sich rückblickend fragt, wie diese Bestien, die distanziert von jeglicher Menschlichkeit ihre „Arbeit“ verrichteten, zu Frau und Kindern nach Hause gehen konnten. „Wenn man Menschen nicht mehr als Menschen sieht, nur dann kann man so mit ihnen umgehen, wie es geschehen ist. Der Mensch“, sagt Benjamin Ben Rechav heute, „ist die schrecklichste Bestie, die man sich vorstellen kann. Das ist schon bewiesen.“
Zum sechsten Geburtstag bekam er ein „Geschenk“: den Judenstern, den er von diesem Tag an immer tragen musste. Er hat ihn immer noch – durch alle Wirrnisse, die noch kommen sollten hindurchgerettet, als Zeichen dessen, was Menschen damals voneinander unterschied – ein gelber Stern aus Stoff.
Die Seife zum Waschen, die es im Lager gab, war wertvoll, grün und hart. „Judenseife“ hieß sie, „Judenseife“ stand darauf. Man war froh, ein Minimum an Hygiene bewahren zu können. Alle Arten von Krankheiten breiteten sich ohnehin mit rasender Geschwindigkeit aus. Man wusch sich wenn es Wasser gab. Was man nicht wusste: es war nicht nur Seife für Juden, es war Seife aus Juden, die das Lager nicht überlebt hatten.
Vergast, erschossen, zu Seife gemacht.
Einmal kam eine Kommission des Roten Kreuzes ins Lager um es zu begutachten. Da gab es plötzlich Schokolade für die Kleinen und Roller, mit denen sie über den freien Platz fahren durften. Natürlich waren die Kinder begeistert, wie lange hatten sie darauf verzichten müssen. Die kleinen ausgehungerten Mägen vertrugen die Schokolade schlecht, aber das Rote Kreuz war zufrieden mit dem was es sah..... Zwei Kindertransporte wurden in Folge in die Schweiz geschickt, für die Zurückbleibenden rückten Roller und Schokolade wieder in unerreichbare Ferne und das Leben ging weiter als hätte keine Kommission je ihren Fuß über die Schwelle von Theresienstadt gesetzt.
Wie enttäuscht der hungrige kleine Georg war, als eines Tages Säckchen mit Sandwiches verteilt wurden – ein Leckerbissen, den nur einige Auserwählte bekamen, die von allen anderen dafür beneidet wurden.
Georg ging leer aus.
Das rettete ihn.
Das Sandwich war der Proviant für den letzten Weg dieser Kinder.
Den Weg nach Auschwitz.
Den Weg in den Tod.
Heute lacht Benjamin Ben Rechav erleichtert, wenn er von den Geschehnissen nach der Befreiung erzählt. Auf der Fahrt von Theresienstadt nach Deggendorf wurden sie ohne Essen in einem Waggon eingesperrt, weil die Franzosen sie Deutsch sprechen gehört hatten und dachten, sie seien Nazis oder Sudetendeutsche.
In München erst konnten sie den Amerikanern verständlich machen, dass sie Juden sind. Aus dieser Zeit rührt auch die Schwäche von Benjamin Ben Rechav für den Geruch von gekochten Erdäpfeln. Damals die erste feste Nahrung, nach zu langer Zeit der Entbehrung.
Georgs Mutter beschloss nach den Schrecklichkeiten des Krieges, dass es für sie und ihre Kinder nur noch einen Ort gäbe: Palästina.
Im Sammellager in Marseilles, lag Georg in einem Zimmer mit vielen Frauen, von denen einige noch nicht einmal Bretter im Bettrahmen hatten, von Matratzen wagte man nicht einmal zu träumen. Manche schliefen am Boden unterm Bettgestell und die Phantasie des 5-Jährigen flüchtete sich in die Vorstellung sie wären im Unterseeboot.
Im Lager, Sammelplatz für all jene, die nach Palästina auswandern wollten, glaubte der 7 Jahre ältere Bruder zu hören, dass der Weitertransport gar nicht nach Palästina sondern nach Paris ginge, also tauchte er kurzerhand mit dem jüngeren Georg unter.
Ein halbes Jahr streunten der damals 10-Jährige und sein Bruder wie zwei Vagabunden in Frankreich umher. Untertags teilten sie die Kinobänke mit Arbeitslosen und Nordafrikanern. Daran erinnert er sich heute noch so genau, weil die Nordafrikaner bei der Tagesschau immer klatschten, wenn Angriffe der Araber auf die jüdischen Neuankömmlinge in Palästina gezeigt wurden. Doch um unerkannt zu bleiben klatschten sie mit.
Einmal fiel Georg von einer Brücke auf einen Betonboden und lag danach 2 Tage ohnmächtig in einem französischen Spital. Schwer war es mit der Sprache – die Brüder konnten nur Deutsch und hatten diese Sprache Zeit ihres Lebens gesprochen, doch plötzlich war diese ihre Muttersprache gefährlich, weil es die Sprache des geschlagenen Feindes war.
Dies war auch die Zeit, in dem die zwei laufend ihre Namen ändern mussten und eine Identität nach der Anderen annahmen und ablegten.
Nach einem halben Jahr schließlich wurden die zwei Streunenden von der Jugend-Aliya aufgegriffen und in ein Schiff nach Palästina gesetzt. In Richtung jenes Landes, wo, wie die Erzählung sagt, Milch und Honig fließen und einem in Georgs kindlicher Vorstellung Orangen und Bananen in den Mund wachsen.
Im Hafen von Haifa betraten sie das erste Mal palästinensischen Boden. Und nicht nur sie allein. Der 600.000 Einwohner zählende Landstrich mit dem viel versprechenden Namen „Palästina“, ward innerhalb kürzester Zeit von 1,5 Millionen Einwanderern überschwemmt. „Es war lustig.“ sagt Benjamin Ben Rechav heute „obwohl überall Krieg war und wir nicht viel zu essen hatten.“
All diese Menschen hatten nicht nur Hab und Gut in Europa zurückgelassen, sondern auch das Schlechte, das Elend, das sie jahrelang erleben mussten und waren bereit neu anzufangen.
Aus Georg wurde Benjamin, der mit 10 Jahren endlich die Schule beginnen konnte. Und seine Mutter heiratete wieder. Den Vater seiner ehemaligen Betreuerin im Kinderheim in Theresienstadt übrigens.
Mit einem verschmitzten Lächeln in den Augen und dem ihm eigenen unumstößlichen Optimismus ringt dieser Mann auch den schwierigen Zeiten seines Lebens etwas Positives ab: „Die Wohnungsnot hatte auch etwas Gutes. Meine Mutter wohnte bei ihrem Bruder und ich heiratete später meine Cousine. Das war mein Vorteil.... und ist nun schon 46 Jahre her!“
Diese Frau – Zippi – hat ihren Mann des Öfteren gebeten, den Kindern zu erzählen, doch für ihn war das Thema tabu und er wollte nicht mehr daran denken. Doch jetzt kommt es heraus. „Die Jugend soll wissen, was passiert ist und man soll nicht vergessen!“ sagt er und schreibt nun auch selber seine Geschichte auf um sie für alle kommenden Generationen zu erhalten.
Sieht dieser Mann nun seinen vielen Enkeln zu, wie sie unbekümmert spielen, wandert er in seiner Erinnerung oft weit zurück und denkt daran, wo er selber in jenem Alter sein Dasein fristete, ums Überleben kämpfte. Dann ist er froh, dass diese seine Nachkommen nicht so leiden müssen, „dass’ gibt a bess’res Leben, nicht so a Dreck.“ wie er es ausdrückt.
Dann dankt er weder Schicksal noch Gott, denn an all das glaubt er nicht.
BENJAMIN BEN RECHAV schaut zurück, er schaut nach vorn, er lächelt und sagt „ICH FREU MICH, ICH LEB!“