OE1-Beitrag

Die Geschichte der Familie Popper

Ludwig Popper wurde am 20. Februar 1904 in Wien geboren. Nach Hitlers Einmarsch versuchte er mit seiner Familie Österreich zu verlassen. Nach einer abenteuerlichen Flucht gelang es ihm sich mit seiner Familie nach Bolivien durchzuschlagen.


Dr. Lutz Elija Popper


wurde am 1.März 1938 in Wien geboren, emigrierte im Juli 1939 mit seiner Familie nach Bolivien und verbrachte dort seine Kindheit. Nach 8 Jahren, 1947, kehrte er nach Wien zurück und studierte Medizin (1956 - 1963). Seit 1973 war er Facharzt für Urologie in Oberwart, wo er im Krankenhaus bis zu seiner Pensionierung die Abteilung für Urologie leitete. Seither galt sein besonderes Interesse der Aufarbeitung und Herausgabe der zahlreichen Tagebuchaufzeichnungen seines Vaters Ludwig Popper.

Am  17 . April 2007 war Herr Dr. Lutz Popper bei uns in der Schule und hat uns zweieinhalb Stunden von sich und seiner Familie, im besonderen über seinen Vater, das Leben in der NS- Zeit und über die Flucht und das Leben in Bolivien berichtet. Wir danken sehr herzlich für seinen Besuch!

Lebensgeschichte von Dr. Ludwig Popper

  Dr. Ludwig Popper, der Vater, wurde am 20. Februar 1904 in Wien geboren. Er war das zweite Kind des Carl und der Clara Popper. Mit vier Jahren zog er mit den Eltern und dem Bruder nach Paris, weil ein Brand den Betrieb des Vaters in Wien zerstört hatte. Der Vater arbeitete als Prokurist im Bankhaus seines Cousins.  1916 starb die Mutter mit 38 Jahren an Brustkrebs. Als der 1. Weltkrieg ausbrach, musste die Familie Paris verlassen, weil sie als "Ausländer" galten. Sie zogen nach Zürich. 1921, nachdem Ludwig Popper maturiert hatte, zog er nach Wien, wo er 1927 sein Medizinstudium abschloss und im Wiener Allgemeinen Krankenhaus zu arbeiten begann. Er wurde Internist und begann intensiv wissenschaftlich zu arbeiten. Diese Arbeiten wurden aufgrund seiner nichtarischen Abstammung 1938 nicht anerkannt.
1934 heiratete er, nachdem er zum katholischen Glauben übergetreten war, Friederike Bednarsky. Diese Mischehe war 1935 durch die Nürnberger Gesetze zur "Rassenschande" geworden.

1936 verlor Ludwig seine Arbeit im Allgemeinen Krankenhaus, richtete sich eine eigene Praxis ein, die aber wenig einbrachte. 1937 zog die Familie in eine kleinere, billigere Wohnung in der Josefsgasse. Ohne Bezahlung arbeitete er noch immer im AKH und in einem anderen Ambulatorium weiter. Als Hitlers Truppen am 12. März 1938 einmarschierten, war Lutz erst 12 Tage alt, aber die Familie wusste, dass sie Österreich so schnell als möglich verlassen mussten.
Der Vater Carl hatte zum dritten Mal seine Existenz verloren. Seine tiefe Depression führte 1940 zu seinem Tod, noch bevor er seinem Sohn nach Bolivien folgen konnte.

Auswanderung:
Nach Hitlers Einmarsch war es nur an den ersten zwei bis drei Tagen möglich ohne Visum in ein Nachbarland zu gelangen, später brauchte man ein Visum, Arbeitsbewilligungen usw. Da Hunderttausende weg wollten, sperrten viele Länder ihre Grenzen. Das Traumziel war auch für die Familie die USA. Doch es gab verschärfte Einreisebedingungen und lange Wartelisten. Schweizer Schulfreunde bemühten sich für Ludwig in der Schweiz Arbeit zu finden. Sie bemühten sich auch, das für die Auswanderung in die USA notwendige Affidavit zu bekommen. Friedel, Ludwigs Frau, war als Arierin nicht unmittelbar gefährdet und sollte mit den Kindern in die USA nachkommen, sobald  er dort Fuß gefasst hätte. Auf dem Umweg über Italien, wo er 3 Wochen ohne Geld festsaß,  versuchte er in die Schweiz zu gelangen. Friedel blieb mit den zwei Kindern in Wien. Ein intensiver Briefwechsel, der sich über ein Jahr bis zum Juli 1939 hinzog, begann.
Trotz des monatelangen Kampfes um die Ausreisegenehmigung lehnte das amerikanische Konsulat das Affidavit ab, weil Ludwig nicht genügend Mittel habe, sein Bürge mit ihm nicht verwandt sei und er somit der Öffentlichkeit zur Last fallen würde. Die Schweizer Aufenthaltsbewilligung läuft - nach mehrfacher Verlängerung- endgültig am 15.Juli 1939 ab. Die Schweiz wollte den lästigen Ausländer los sein.

Die Idee nach Bolivien zu gehen, wurde immer konkreter. Aber auch das bedeutete einen enormen Papierkrieg, und schließlich kam der nächste Schock, dass die Einwanderung nach Bolivien gesperrt sei, doch dies wurde zum Glück nach einigen Tagen widerrufen. Die Sperre erstreckte sich nicht auf bereits erteilte Visa. Ein chilenisches Durchreisevisum, um Bolivien auf dem Seeweg und über Arica zu erreichen, und ein Durchreisevisum für Frankreich waren notwendig. Die Kinder bekamen eigene Kinderausweise, weil sie Mischlinge waren und nicht im Ausweis einer Arierin eingetragen werden durften. Es war außerdem äußerst schwierig, für die Kinder die Durchreisevisa zu bekommen. Für das chilenische reiste Friedl Popper extra von Wien nach Lausanne. Am 11.Juli 1939 flog sie schließlich mit den Kindern nach Zürich und fuhr  mit dem Zug nach Paris.

 Am 15. Juli erfolgte die Einschiffung der wieder vereinten Familie in La Rochelle, am 10. August kam man in der chilenischen Hafenstadt Arica an, am 15. August nach stundenlanger Fahrt durch das Hochland in La Paz (Bolivien). Die Wohnungssuche war schwierig und durch die vielen Emigranten warten Wohnungen knapp und sehr teuer geworden. Ludwig Popper hatte das Glück  eine Stelle als Militärarzt zu bekommen, am 20. Oktober verließ die Familie La Paz und reiste nach Ibibobo im Gran Chaco. Man wurde freundlich aufgenommen, doch man musste sich erst daran gewöhnen, dass das Haus eine Hütte mit einem Zimmer war. Boden und Wände waren aus Lehm, das Dach aus Stroh.  Man schlief auf Strohsäcken, weil das große Gepäck, vor allem die Betten und Matratzen, noch nicht angekommen waren. Ein 200-Liter Fass neben dem Haus diente als Wasservorrat. Das Wasser war eine trübe Brühe  und immer warm. Es war sehr heiß, 49 Grad im Schatten waren keine Seltenheit. Es gab jede Menge Sandfliegen, die Bindehautentzündungen übertrugen, Moskitos, Stechfliegen und Zecken. Die Kinder gingen jahrelang nur barfuß. Da sie anfangs kein Geschirr hatten, aßen sie im Offizierskasino. Da nur wenige Leute da waren, wurde nur selten geschlachtet und gebacken, deshalb war das Brot schimmelig und das Fleisch hatte einen Stich. Obst und Gemüse gab es nur selten. Außerdem war das Essen sehr scharf gewürzt.  Die hygienischen Bedingungen waren auch nicht gerade die besten.
1941 kam die Tochter Susanne zur Welt. Da Frischmilch nicht einwandfrei war, gab man ihr Trockenmilch, von da an gedieh die Kleine.
Die Garnison wurde mehrfach verlegt  und Ludwig Popper wurde als Militärarzt mehrfach versetzt, die Familie wechselte ihren Wohnplatz.
Die Kinder lernten Spanisch, denn ihre einzigen Freunde waren Indios. In fast allen Garnisonen, in die sie kamen, waren gleichaltrige Kinder da, mit denen sie spielen konnten. Sie wuchsen recht frei auf, wie man es sich bei uns wohl kaum vorstellen kann. So lernten sie zu fischen oder mit der Schleuder umzugehen. Die Kinder gingen zwar zur Schule, doch hatten sie nur am Vormittag Unterricht und Aufgaben gab es keine. Gelernt haben die Kinder nicht viel, denn die Lehrer waren nicht ausgebildet, jeder, der Lesen und Schreiben konnte, konnte auch in dem Land, in dem der Großteil Analphabeten war, unterrichten. So war Lutz der Viertbeste in der Schule, seine Betragensnote war "Null", also die allerschlechteste Note.

1942 kam Madeleine zur Welt, sie war blond und blauäugig und für die Bolivianer ein "Wunderkind".
Je älter die Kinder wurden, desto mehr war Familie Popper klar, dass diese eine bessere Bildung benötigten und deshalb plante man eine Rückkehr nach Österreich. Einen Übergang bildete der Aufenthalt in La Paz. Die Kinder staunten, denn sie hatten noch nie PKWs oder mehrstöckige Häuser oder einen Lichtschalter gesehen.
 
Ende 1947 kehrte die Familie schließlich nach Österreich zurück. Die Nachkriegszeit war überall spürbar, überall in der Erde versunkene Panzer, die Wohnungen kalt und finster. Ein krasser Gegensatz zur Wärme in La Paz. Es war eine große Umstellung. Man lebte bei der Großmutter zu sechst in einem Zimmer, es fehlte an allem in den ersten Monaten und Jahren. Die Buben mussten sich vor allem daran gewöhnen, dass sie mehr zu lernen und vor allem Aufgaben hatten, außerdem mussten sie nun die deutsche Sprache verwenden. Susi, die erst in die Schule kam, hatte es leichter, sie musste nicht umlernen.

Mitschüler versuchten Peter und Lutz deutsche Wörter beizubringen, aber es stellte sich dann heraus, dass diese zu Hause oft zu Heiterkeitsausbrüchen führten oder peinlich waren, vor allem wenn Besuch da war. Häufig mussten sie auch ihre Erlebnisse im Dschungel erzählen, was dazu geführt hat, dass durch das häufige Wiederholen  die Geschichten gut im Gedächtnis geblieben sind.
Aber über das, was vor Bolivien war, über die Vertreibung und Gräueltaten der Nazis wurde nicht gesprochen. Die Familie war zerfallen, viele emigriert oder in Konzentrationslagern umgekommen. Man wollte ein neues Leben beginnen und nach vorne blicken. Ludwig hat erst nach seiner Pensionierung (um  1970 herum) nachgeforscht, was mit seiner ehemaligen Familie geschehen ist, und hat darüber Aufzeichnungen gemacht und eine Familienchronik geschrieben.

Diese hat sein Sohn Dr. Lutz Popper 2005 in Buchform herausgegeben. (Bolivien für Gringos)
Bolivien war der Familie Popper eine zweite Heimat geworden und sie ist diesem Land nach wie vor verbunden und dankbar für die Aufnahme.