Nachdem ich nach einer Stunde Zugfahrt bei Golden's Bridge angekommen war, freute ich mich schon sehr Ruth zu treffen. Sie versprach mir, mich am Bahnsteig abzuholen, jedoch war keine Menschenseele zu sehen, als ich den Zug verließ. Ich lief hoffnungsvoll von einem Ende des Mini-Bahnhofs zum anderen, doch es war weit und breit niemand zu sehen. Zu allem Überfluss musste ich auch noch sehr dringend auf die Toilette, doch auch davon keine Spur. Als ich versuchte, Ruth anzurufen, meldete sich beim ersten Versuch niemand. Wenig später probierte ich es nochmals und mir antwortete ein Mann, der mir sehr schnell weiß machen wollte, dass ich die falsche Nummer gewählt hatte. Nach einem tiefen Atemzug kontrollierte ich erneut die Handynummer und mir fiel ein, dass ich die eben gehörte Mönnerstimme wieder erkannte. So startete ich den dritten Versuch und die gleiche Stimme wie vorhin war am Telefon. Es war Fred Bachner, der Mann von Ruth, der mich unglücklicherweise nicht wieder erkannte, als ich ihm meinen Namen nannte. Nachdem er mich erneut abwimmeln wollte, ließ ich jedoch nicht locker und löcherte ihn mit Fragen, wo Ruth sei. Anfangs sagte Fred, dass er gerade im Auto wäre und jetzt nicht sprechen könnte. Das Gespräch beendend bat er mich, ihn erst wieder in 3 Stunden anzurufen. Ich konnte in letzter Sekunde verhindern, dass er mich aus der Leitung warf und er teilte mir schließlich mit, dass Ruth zu Hause sei. Na gut, dachte ich mir und versuchte, sie daheim zu erreichen. Ruth fragte mich wo ich sei und war überrascht, dass ich schon am Bahnhof wartete. Sie erklärte mir, dass ihr Mann sehr schlecht hört und mich wahrscheinlich deshalb nicht mehr erkannt hatte. Nachdem das Missverständnis geklärt war, holte sie mich binnen kurzer Zeit ab und zeigte mir ihre neue Heimat. Ich war schon alleine von dem Weg zu ihrem Haus begeistert, denn sie wohnt in einem Gebiet auf einem "Hügel", das einem enormen Feriendorf glich. Mit 2000 Häusern, Country-Clubs, unzähligen Swimmingpools, Tennisanlagen und Golfplätzen ist Heritage Hills eine eigene kleine Stadt. Der erste Gedanke im Haus war, dass ich mich sofort heimelig fühlte und mir Ruth jeden Wunsch von den Augen ablas. Sie teilte mit mir intime und berührende Geschichten ihrer Vergangenheit, was mir sehr viel bedeutete. Weiters unterhielten wir uns auch über Aktuelles, Familie, Freunde, Bräuche und lachten sehr viel miteinander. Voller Stolz zeigte sie mir hunderte von Familienbildern, den Hochzeiten ihrer beiden Töchter und Erinnerungsfotos ihrer Enkelkinder. Ich spürte die Liebe, die in diesem Haus vorherrscht, was mich glücklich und zufrieden stimmte. Nachdem Fred nach Hause gekommen war, sprach ich auch mit ihm über Erinnerungen und Erlebnisse. Ich bewunderte den liebevollen Umgang der beiden miteinander, der so war, als seien sie frisch verliebt... Ruth und Fred sind schon sehr früh mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit getreten und halten unter anderem in Schulen Vorträge über ihre Vergangenheit. Deshalb wurde Freddy eine Gedenktafel in der Heritage Hill Bibliothek gewidmet, die er mir unbedingt zeigen wollte. Ruth und ich machten uns auf den Weg zur Bücherei, wo ich dieses wunderschöne Denkmal bewundern konnte. An diesem Tag wurde ich behandelt, wie ihr eigenes Enkelkind und genauso fühlte ich mich auch. Nach einem unvergesslichen Tag aßen wir bei einem sehr netten Italiener und begannen uns zu verabschieden. Da Ruth nicht wollte, dass ich um halb zehn noch alleine mit dem Zug zurck zum Hostel fahre, brachten sie mich den ganzen weiten Weg mit dem Auto nach Manhatten und warteten, bis ich sicher drinnen angekommen war. Es fiel mir sehr schwer, mich von ihnen zu trennen und ich hoffe, sie irgendwann einmal wieder zu sehen... |