Die letzten Zeugen - Das Buc
  • Matthias Hofmarcher, Schüler, triff als Botschafter der Erinnerung im Oktober 2007 die
  • Überlebende Josephine Dutch geb Weiss in London.

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Kurzer Überblick über Josephine Dutchs/Weiss' Leben

Lebensgeschichte von Josephine Weiss

Niedergeschrieben von Matthias Hofmarcher
Josephine möchte gerne mit ihrem Mädchennamen genannt werden

Josephine Weiss wurde am 6.12.1927 in Wien geboren. Josephines Mutter hieß Hedwig Weiss und kam aus Bucovice (Tschechien) nach Wien. Ihr Vater Bernhard Weiss stammte von einer ärmlicheren Familie aus der Slowakei, er hatte fünf Geschwister, und studierte in Wien an einer Handelsakademie. Später hatte er sein eigenes Geschäft in der Nähe der Wohnung in der Hainestraße 8. Dort wohnte die Familie im 3. Stock.
Das Geschäft hatte den Namen „Bernhard Weiss und Bruder“. Wie der Name schon sagte, war dieses Geschäft ein Familiengeschäft. Ihr Vater kümmerte sich hauptsächlich um das Büro und sein Bruder machte die Kundenkontakte in Wien und Wien Umgebung. Sie erzeugten Wurstprodukte und verkauften Gewürze. Damals wurde Wurst viel gegessen und war auch viel billiger als Fleisch.

Josephine Weiss wuchs als eines von zwei Kindern normal und glücklich in Wien auf. Sie ging wie jedes andere Kind zur Schule und hatte viele Freunde. Damals spürte sie nichts vom Antisemitismus. Doch am 12. März 1938 änderte sich alles in dem Leben der glücklichen Familie. Damals war Josephine erst 10 Jahre alt, als sie den Einmarsch der deutschen Soldaten hautnah miterlebte. Über Nacht hat sich alles in ihrem Leben geändert, denn ihr Vater wurde bald aus dem Geschäft geholt und ist einfach verschwunden. Sein Bruder wurde von nichtjüdischen Kunden versteckt.

Von nun an hat Josephine Weiss auch nicht mehr in die Schule gehen können und ihr Leben wurde völlig eingeschränkt. Sie war es aber, die die ganzen Einkäufe erledigte, da sie „nichtjüdisch“ aussah (blondes Haar, …). Nach Josephines Erzählungen war der Antisemitismus im 2. Wiener Gemeindebezirk besonders stark. Im Wohnbezirk ihres Mannes (1. Bezirk) spürte man vieles nicht so sehr wie in anderen Bezirken Wiens. Besonders Geschäftsleute waren betroffen von den vielen Plünderungen. „Es war schrecklich. Alles hat sich geändert!“, so Josephine Weiss.

Ihr Vater war noch immer verschwunden und man glaubte bereits, dass er gestorben sei. Ein Rechtsanwalt, Freund von Onkel David, half ihnen dabei herauszufinden, wohin er gebracht worden war. Dann schickte man ihnen ein Paket mit all seinen Sachen und plötzlich, es war kurz vor der Kristallnacht, ist der geliebte Vater nach Hause zurückgekommen, nachdem er viele Monate im KZ-Lager war. Er war zu diesem Zeitpunkt sehr dünn und sah sehr schlecht aus und er war durch die vielen schrecklichen Erlebnisse auch mental bzw. geistig sehr deprimiert. In der Kristallnacht am 9. November 1938 holte man wieder viele Menschen, um sie in die Konzentrationslager zu bringen. Der Vater und die Familie hatten sich in einer Wohnung einer alten Frau versteckt und man hatte gehofft, nicht entdeckt zu werden.
Jemand aus dem Haus verriet aber, dass im Haus Juden seien und danach wurde der Vater wieder abgeholt. Sie holten ihn und alle glaubten, dass sie ihn nie wieder sehen werden. Zum Glück half ihm jemand und dieser ließ ihn entkommen, nachdem der Vater ein Dokument aus Buchenwald herzeigte. Sein ganzes weiters Leben leidete er an Asthma und er hatte Probleme mit den Nerven, denn seinen Aufenthalt im KZ-Lager hat er nicht mehr verkraftet.

2-3 Wochen später ist Josephine Weiss mit ihrem Vater nach Budjovice in der Nähe von Brünn geflüchtet. Bei dieser Reise passte mehr sie auf ihn auf, als er auf sie. Er sah noch immer sehr mitgenommen aus und der Großvater in der Tschechoslowakei glaubte, er sei krank. Dieser konnte nämlich nicht glauben, dass die Deutschen so grausame Taten vollziehen können, denn er kannte nur nette Deutsche, die in seinem Geschäft einkauften. Der Großvater war damals 76 Jahre alt.
Der katholische Onkel Ludwig, der in Prag lebte, erkannte jedoch die schreckliche Situation und half sofort der Familie Weiss aus Österreich zu entkommen. Nachdem ihre Mutter und ihre Schwester Erika ohne jegliches Besitzgut in Bucovice angekommen sind, marschierte Hitler im März 1939 in Prag ein und somit war die Familie Weiss wieder in einer sehr schlechten Situation. Onkel Ludwig holte sie anschließend nach Prag und die ganze Familie versuchte, mit dem letzten Zug aus Prag zu flüchten. Ihr Vater hat Judensteuer zahlen müssen und alles hat der Bruder aus Wien arrangiert und somit konnte der Vater mit der Familie doch noch mit dem letzten Zug Prag verlassen.

Der Zug fuhr länger als eine Woche über Schweden nach England und kam schließlich am 6. April 1939 in Tilbury an. Onkel Ludwig hatte sogar jemanden mitgeschickt, der der Familie half, über die Grenze zu kommen. Onkel Ludwig selbst ging nach Frankreich und gab alle seine Besitztümer bzw. seine Arbeit auf. Er starb im Jahr 1942 an der Folge einer Verletzung des 1. Weltkrieges in London.

In England kamen sie mit Nichts an und Josephine und ihre Schwester wurden in eine Boarding School geschickt. Sie und ihre ganze Familie besaßen zu diesem Zeitpunkt nur ein vorübergehendes Visum.
Die erste Zeit in England war sehr schwierig für alle. Die Eltern konnten überhaupt nicht Englisch sprechen, Josephine ein bisschen. Sie erlernte die Sprache aber sehr rasch. Die Eltern wohnten in einem kleinen Zimmer, die Kinder besuchten die Boarding School. Es war schwierig zu überleben, denn sie bekamen nur 2 Pfund wöchentlich. Trotzdem lebten sie nicht mehr in Angst, nun waren sie in einem freien Land! Mit diesen 2 Pfund mussten sie die ganze Woche lang auskommen. Doch dann brach der Krieg aus und auch London wurde mit Bomben attackiert. Die Schule, die Josephine besuchte, lag an der Küste und musste somit verlegt werden. Doch dann zog die gesamte Familie zu Bekannten in die Provinz, nach Derby im Norden Englands.

Dort lebten sie zwei Wochen lang und dann suchten sie sich eine eigene Bleibe. Josephine betonte immer wieder, wie nett die englischen Leute waren und wie sehr sie den Leuten geholfen haben. Die Wohnstätte, die sie dann endlich gefunden hatten, war eher primitiv eingerichtet, doch zum Leben tat sie es alle mal. Es tat ihnen gut, endlich wieder etwas Eigenes zu besitzen.
Josephine begann mit 14 ½ Jahren zu arbeiten. Sie arbeitete als Junior clerk in einem Büro, wo sie Stenographie und Maschinenschreiben erlernte. Somit half sie der Familie, die finanzielle Situation zu verbessern. Es war nicht viel, doch geholfen hat es sehr!

Als der Krieg endlich zu Ende war, wollte Josephine unbedingt nach London zu Verwandten ziehen. Mit 17 bekam sie einen Posten beim Komitee für Flüchtlinge, wo sie drei Jahre lang arbeitete. Später zog dann die gesamte Familie nach London und sie lernte ihren zukünftigen Ehemann, Albert Deutsch, in einem ungarischen Club kennen. Josephine und ihr Mann heirateten in jungen Jahren. Sie war zu dieser Zeit 21 und er war 24 Jahre alt.
Ihr Mann Albert stammte auch aus Wien und kam mit dem Kindertransport nach London. Er war 14 Jahre alt, als er von seiner Familie getrennt wurde. Nach diesem Abschied sah er seine Eltern nie wieder.
Seine Eltern, Dr. Ignatz Deutsch, war ein bekannter Zahnarzt im 1. Wiener Gemeindebezirk. Im 1. Weltkrieg machte er Kieferoperationen an der Front (Soldaten die Schusswunden hatten). Dr. Ignatz Deutsch, seine Frau Elisabeth Deutsch und Alberts kleine Schwester Reneé sind im Frühjahr 1939 nach Frankreich ausgewandert und wohnten in Vichy, Frankreich, bis August 1942. Albert bekam Post von ihnen bis Juli 1942. Leider erfuhr er nach dem Krieg im Jahre 1945, dass seine Eltern u. seine zehnjährige Schwester Reneé, von Drancy (in der Nähe von Paris) am 9.9.1942 (Convoy 30) ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wurden. Auch wurde Josephines alter Großvater Hermann Lang 1942 von Bucovice ins Konzentrationslager verschleppt und ermordet, sowie Geschwister ihres Vaters hatten dasselbe traurige Schicksal (Berta und Leo Kohn, Gustav Weiss). Mehrer Verwandte haben leider ebenfalls das Leben verloren. Eine Cousine ist mit ihrem Mann und Kind von Belgien 1944 in ein Konzentrationslager deportiert worden. Auch sie haben nicht überlebt.

Josephine Weiss kann heute noch immer nicht begreifen, was ihr in der Vergangenheit zugestoßen ist. Obwohl es schon sehr lange her ist, kann sie sich noch immer genau an alles erinnern und ihr kommt es so vor, als ob es erst gestern gewesen ist.
Wien besuchte sie nach ihrer Flucht aus Österreich einige Male, denn ihre Schwester Erika zog wieder nach Wien, die vor kurzer Zeit leider verstorben ist. An Österreich gewöhnen kann sie sich aber nicht mehr. Interessant ist auch, dass sie noch immer perfekt Deutsch spricht und hier in England immer noch einen deutschen Akzent hat.

Das letzte Mal besuchte sie Wien im Jahre 2005, wo sie auch einige Vorträge an Schulen hielt.
Außerdem ist sie heute Mitglied einiger Clubs. Hier treffen sich regelmäßig Überlebende des Holocausts, um die Geschichten weiterzuerzählen. Denn was damals geschah, darf nicht vergessen werden. Niemals!

Heute lebt Josephine Weiss glücklich am Stadtrand von London. Sie hat zwei Töchter und einen Sohn, sechs Enkelkinder und drei Urenkerl. Josephine Weiss hat ihren lieben Mann Albert leider 2003 verloren. Er starb an Krebs. Ihn hätte das Projekt „A letter to the stars“ sicher sehr interessiert.

Erfahrungsgeschichte der Londonreise

- Vieles sehe ich jetzt mit anderen Augen … -


Ich habe wirklich so viele schöne, sowie auch viele nachdenkliche Momente in London erlebt. Als ich am Mittwoch, dem 24. Oktober 2007 mit dem Flugzeug von Salzburg nach London abhob, dachte ich mir, ich werde nicht mehr so zurückkommen wie ich zu diesem Zeitpunkt war. Die ganze Gruppe wird so viele neue Erfahrungen machen und viele verschiedene Leute kennen lernen, all das würde mich und alle anderen wahrscheinlich verändern - und so war es auch. Wir kamen als nachdenkliche, berührte Gruppe zurück.
Gleich zu Beginn unserer Begegnungsreise besuchten wir eines der bekanntesten Museen in London, das Imperial War Museum. Eine Ausstellung, die heute noch in meinen Gedanken ist und die einen bleibenden Eindruck hinterließ. Bilder, Videos und Gegenstände machten das Thema sehr realistisch und man konnte sehr viel daraus lernen. Nicht nur durch den Vortrag im Vorhinein, nein, sondern alleine durch die eigenen Eindrücke wurde einem das Thema viel näher gebracht. Es war ein wirklich interessanter Start in eine Woche, die so einiges in mir bewirkte!
Am nächsten Tag waren wir zu Gast im Jewish Cultural Center und in der Belsize Square Synagogue. Im Jewish Cultural Center hatten wir die einmalige Gelegenheit, einem Vortrag von Bertha Leverton über den Kindertransport im zweiten Weltkrieg zu lauschen. Sie ist eine bewundernswerte Frau, die großes geleistet hat. Nach diesem Vortrag saßen wir alle gemeinsam mit ihr in einem Raum und konnten ihr Fragen zu ihrem Leben stellen. Am Abend waren wir in einer Synagoge eingeladen. Es war irrsinnig schön, Teil dieser Sabbathfeier zu sein. Außerdem traf ich zum ersten Mal meine Überlebende Josephine Dutch. Es war ein schönes Gefühl, neben ihr zu sitzen und dem Gesang zuzuhören. Man hatte ein Gefühl der Geborgenheit. Es war ein einmaliges Erlebnis, das nicht zu beschreiben ist. Das erste Mal in einer Synagoge, mein erstes Treffen mit einer jüdischen Überlebenden. Es war einer der schönsten Momente dieser Woche. Am nächsten Tag trafen Conny, eine Reporterin vom Ö1, und ich Ottie McCrea, auch einen Überlebende, die ich besuchten durfte. Es war Nachmittag, fast schon etwas dunkel und es regnete leicht. Ich kann mich an alles so genau erinnern. Wie gespannt ich war, bevor ich sie kennen lernen durfte, wie die Fahrt zu ihrem Haus war, wie die Häuser aussehen in der Siedlung in der Ottie wohnt, … Alles sehe ich nun vor meinem Auge. Als wir mit dem Auto vor ihrem Haus anhielten, stand sie bereits vor der Haustüre und wartete gespannt auf uns. Sie begrüßte uns herzlich und begleitete uns in ihr gemütliches Wohnzimmer. Ich wusste nicht, wie ich mich gegenüber ihr verhalten sollte, doch alle meine Nervosität war umsonst. Ihre liebenswürdige Art war so herzlich, dass ich das Gefühl hatte, ich sprach mit einer langjährigen Freundin. Ich freute mich auch besonders, wie gut ihr mein Paket der Erinnerung gefiel. Sie hatte wirklich große Freude damit! Das schöne daran ist, dass man jemanden mit Kleinigkeiten eine solche Freude bereiten kann. Danke, dass ich Ottie McCrea besuchen und dass ich ihr eine Freude bereiten konnte. Es bedeutet mir so viel, jemandem das Gefühl zu geben, dass er nicht vergessen wird! Danke!

Auch beim Besuch von Josephine Dutch war ich sehr berührt. Dadurch ich sie ja bereits in der Synagoge das erste Mal getroffen habe, war für mich die Begegnung anders als bei Ottie McCrea. Wir kannten uns bereits, das war eine komplett unterschiedliche Situation wie ich sie bei Ottie erlebt habe. Mrs. Dutch ist wie Mrs. McCrea eine so starke, offene Frau. Ihre Lebensgeschichten sind tragisch, doch selbst sehen sie ihre Geschichte als nicht schlimm. Sie sagen oft, dass Geschichten anderer Überlebender viel schrecklicher sind. Das zeigt Menschen, die eine innere Stärke haben, die wahrscheinlich keiner von uns hat. Menschen, die trotz ihrer Vergangenheit nach vorne blicken und die glücklich mit ihren Familien in England leben! Menschen, vor denen ich Respekt habe! Die Begegnung mit Josephine Dutch war wunderschön, für die ich mich bedanken möchte! Ich werde sie nie vergessen!

Am letzten Tag in London trafen wir alle Überlebenden nochmals in der österreichischen Botschaft. Was dort passiert ist, bringt mich immer noch fast zum Weinen. Jung und Alt saßen an den runden Tischen im Empfangssaal. Alle redeten miteinander und wir konnten nochmals alle eine wunderschöne Zeit miteinander verbringen. Als dann der berührende Projektfilm über "A letter to the stars" gezeigt wurde, stand eine Frau auf und sagte: "Ich hätte nicht geglaubt, dass Österreich so etwas noch machen würde!" Sie sagte es zu einem Zeitpunkt, als es ganz leise im Raum war. Es war ein Moment der Stille. Jeder dachte sich wahrscheinlich das gleiche. Wir sind es, die die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten lassen dürfen. Wir können es besser machen und uns für das entschuldigen, dass den Menschen früher zugestoßen ist. Es bleibt immer ein Teil unserer Vergangenheit, doch daraus lernen können wir alle! So etwas darf nicht noch einmal passieren, es darf nicht vergessen werden!

Ich möchte mich ganz herzlich bei dem Projektteam von "A letter to the stars" bedanken! Die vielen schönen Erlebnisse, die wir alle gemeinsam erlebt haben, die Abende, an denen wir gemeinsam gelacht und geweint haben, die Zeit, in der wir London und uns besser kennen gelernt haben. Diese Momente möchte ich nicht mehr missen! Mich hat diese Reise verändert und mir wurden die Augen geöffnet! Es war eine einzigartige Reise! Danke, dass ich Teil davon sein durfte!

Eine kurzer Überbick über Josephine Dutchs Leben:


Gelebt hat sie in der Heinestrasse in Wien. Sie hat viele Verwandte verloren, nicht aber ihre Eltern, konnte mit dem Vater über die Slowakei fliehen, eigentlich überlebte sie durch die Hilfe des Onkels Ludwig, der war nicht Jude. Hat sie nach England gebracht und gerettet. Auch ihr Vater, der schon in Buchenwald war, konnte wieder befreit und gerettet werden (1939). Ihr Mann, der schon gestorben ist vor vier Jahren, ist mit Kindertransport von Wien nach Großbritannien gekommen, Eltern von ihrem Mann wurden umgebracht, auch Vichi-Frankreich deportiert. Der Vater ihres Mannes war ein berühmter Zahnchirurg, der im ersten Welkrieg Auszeichnungen bekommen hat, seine Familie war aus Baden, die Praxis war in der Seilergasse; er wurde auch ermordet.