Die letzten Zeugen - Das Buc

SUSANNE LAMBERG


 
 

SUSANNE
LAMBERG

geb. 1925-11-03
lebt heute in Österreich


Diese Geschichte wurde im Projekt "Die Letzten Zeugen" erstellt.

Lesen Sie auch das Interview mit Susanne Lamberg.

"Kein Mensch soll aushalten müssen, was er aushalten kann"

Die Rede der Holocaust-Überlebenden Susanne Lamberg in der "Nacht des Schweigens" - begrüßt von Julia Smetana.

"Mein Name ist Julia Smetana, ich bin 19 Jahre alt und Schülerin der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe der Ordensschwestern in Wien. Ich bin heute hier am Heldenplatz, weil es mir wichtig ist, jener Menschen zu gedenken, die ermordet wurden.

Allein in der Pappenheimgasse, in der ich wohne, sind 17 Juden ermordet wurden: Markus Brander, Scheindel Brander, Ernestine Dankner, Moses Dankner, Sure Dankner, Josef Diamant, Fanny Flaster, Siegfried Hamsel, Marianne Hauser, Oskar Hauser, Rosa Hauser, Rudolf Knotek, Hermann Mandel, Alfred Schireno, Markus Schönfeld, Regine Schüler, Max Seidl.

In der Erdbergstraße, wo ich zur Schule gehe, wurden 86 Menschen deportiert und getötet.

Im Rahmen des Projekts »A Letter To The Stars« versuchen wir Jugendliche, die Lebensgeschichte eines Opfers zu recherchieren – der damals so alt war wie wir heute sind, der im selben Ort, in der selben Straße gelebt hat, der zur selben Schule gegangen ist. Wir wollen den Opfern damit einen Teil ihrer Würde zurückgeben. Und wir begegnen im Projekt jenen Menschen, die den Holocaust überlebt haben. Im Rahmen meiner Matura durfte ich Susanne Lamberg treffen, die fünf Konzentrationslager überlebt hat und nun zu uns sprechen wird."

Rede von Susanne Lamberg, Nacht des Schweigens, 12. März 2008

"Mein Name ist Susanne Lamberg.

Ich bin heute 82 Jahre alt – weil ich den Holocaust überlebt habe. Jener Mensch, ja, es war ein Mensch wie wir es sind, dem hier, vor 70 Jahren, auf diesem Platz, Hunderttausende Menschen zugejubelt haben, wollte, dass mein Leben als Kind ausgelöscht wird. Und viele, sehr viele Österreicher, die in diesen Tagen vor 70 Jahren gejubelt und sich gefreut haben, waren später an der Shoa beteiligt, haben am Massenmord mitgewirkt, ihn unterstützt, ihn gutgeheißen, haben weggeschaut oder verdrängt.

Dass ich an diesem 12. März 2008 zu Ihnen sprechen darf, ist nur deshalb möglich, weil ich an der Rampe des KZ Auschwitz nicht sofort ins Gas geschickt wurde – wie meine Mutter und so viele meiner Familienmitglieder und Freunde. Ich habe fünf Konzentrationslager überlebt. Zufällig. Nur deshalb kann ich heute erzählen.

März 1938.
Ich war ein Kind, 12 Jahre alt. Von meinen Eltern vor allem Schlechten behütet. Ich habe noch mit einer Puppe gespielt. Und doch habe ich gespürt, dass meine Mutter und mein Vater unruhig waren und angespannt.

Draußen wurde es immer lauter, herinnen immer leiser. Dann hat mich eine Mitschülerin „Judensau“ geschimpft. Dabei hatte ich nicht einmal gewusst, dass ich jüdisch bin. Ich wurde aus der Ballettschule geschmissen. Ich musste die Schule verlassen. Ich durfte nicht mehr weggehen – nicht ins Kino, nicht in ein Lokal, nicht in den Park. Mich hat der Hausbesorger geholt, wenn Schnee geschaufelt werden musste. Uns haben sie einfach die Wohnung weggenommen. Dann musste ich den Judenstern tragen. Und mit einem Mal war ich endgültig gezeichnet.

Ein Mädchen, mit dem sich keiner mehr zu sprechen traut, das man demütigt und verhöhnt, das man meidet und erniedrigt, das man weg haben möchte. Wie lästiges Ungeziefer.

Die SS hat uns schließlich abgeholt. Ganz ruhig. Ohne Schläge. Ohne Schreie. Die Endlösung wurde nüchtern geplant, kühl kalkuliert und konsequent durchgezogen. Die Züge in die Konzentrationslager hatten immer Vorrang. Wir wurden nach Theresienstadt deportiert, ich, meine Mutter, mein Vater, meine Großmutter. Doch das war erst der Beginn.

Nach zwei Jahren fuhr der nächste Zug – nach Auschwitz. Da war ich 17.  Meine Mutter wurde noch an der Rampe von mir getrennt. Sie ist sofort ins Gas gegangen. »Dort brennen eure Eltern«, haben sie gesagt. Mein Vater ist später in Dachau umgekommen.

Ich habe überlebt.

1945 war ich 20 und am Ende. Ich war todkrank, wog 35 Kilogramm. Ich habe meine Familie verloren. Ich habe so viele Leichen gesehen wie kaum jemand. Doch ich wollte weiterleben. Und zurück nach Hause. Österreich und Wien waren mein Zuhause. Trotzdem. Und weil ich ja kein anderes Zuhause hatte. So bin ich zurückgekommen. Und geblieben.

März 2008.
Ich kann noch immer keine Schornsteine sehen. Ich beginne zu zittern, wenn jemand an der Haustür Sturm läutet. Ich bin stolz, dass Sie heute Abend hier sind. Es berührt mich sehr, dass sie gekommen sind, um all der Menschen zu gedenken, die ermordet wurden. Wir können keinen der Ermordeten wieder lebendig machen, ihr Leben wurde ausgelöscht.

Aber die Zehntausenden Lichter, die wir heute Nacht entzünden, können die Geschichte und die Geschichten dieser Menschen dem Vergessen entreißen. Es ist noch nicht einmal ein Menschenleben her, dass Menschen über Nacht zu Unmenschen gemacht wurden, zu Opfern. Und dass Menschen über Nacht zu Unmenschen wurden, zu Tätern.

Gedenken heißt für mich vor allem darüber nachzudenken: Haben wir etwas gelernt aus der Geschichte. Sind wir heute menschlicher? Zeigen wir heute mehr Zivilcourage? Stehen wir heute auf gegen Hass und Rassismus? Setzen wir uns heute ein, wo Mitmenschen ungerecht behandelt werden? Haben wir heute weniger Angst? Ich weiß es nicht. Aber ich habe erfahren, dass jeder von uns immer, in jeder Lebenssituation, die Möglichkeit hat, hilfreich oder niederträchtig, mutig oder feig, menschlich oder unmenschlich zu sein, hinzusehen oder wegzuschauen. Wir müssen jeden Tag aufs Neue lernen, Mensch zu sein. Jetzt, wenn es den meisten von uns gut geht, wenn wir in guten Zeiten leben, in Demokratie und Frieden.

Nur so können wir uns gegen neue Feindbilder, neue Aggressionen, neue Ausgrenzungen und gegen neue Führer immunisieren.

Wir brauchen keine besseren Menschen zu werden. Es reichte schon, wenn wir es schaffen, Menschen zu sein. Es geht ums Tun – und nicht ums Siegen. Und wenn die Lichter, die wir heute entzünden, morgen wieder ausgehen, wenn es wieder einmal dunkel wird, dann müssen wir neue entzünden. Immer und immer wieder. Das ist anstrengend. Aber es ist unsere einzige Chance.

Denn, was ich gelernt habe, ist: Kein Mensch soll das aushalten müssen, was er aushalten kann.

"Man ging ins Gas ..."

Julia Smetana interviewt Susanne Lamberg.

Wann und wo wurden Sie geboren?

Ich wurde am 3. November 1925 in Wien geboren.

Sie sind geborene Jüdin, wann sind Sie das erste Mal mit dem Nationalsozialismus in Kontakt gekommen?

Bei Hitlers Einmarsch im März 1938.

Wie haben sie das miterlebt?

Eigentlich habe ich im ersten Moment nicht viel davon mitbekommen, weil ich sehr kindisch erzogen wurde. Meine Eltern haben alles böse von mir ferngehalten. Ich habe von Politik überhaupt nichts verstanden und dadurch habe ich das nicht wirklich verstanden.

Sie wurden dann in Konzentrationslager eingeliefert. In welchen Lagern waren Sie?

Ich war zuerst in Theresienstadt, dann war ich ganz kurz in Auschwitz, von Auschwitz bin ich dann in ein Arbeitslager in Schlesien gekommen.
Gegen die Lager, die ich dann erlebt hab, war Theresienstadt noch - ein Sanatorium wäre stark übertrieben - aber es ist mir dort im Verhältnis gegen das, was dann gekommen ist, noch gut gegangen. Ich hatte eine Arbeit, ich habe in einer Maschinentischlerei gearbeitet und habe im ganzen Ghetto die Betten aufgestellt. Ich war in der Montagegruppe und bekam durch Bekannte zusätzliche Essensportionen, beziehungsweise habe ich auch eine Schwerarbeiterkarte gehabt. Das bedeutete wieder eine halbe Portion mehr. Ich habe, muss ich ehrlich sagen, zu den Leuten gehört, die nicht so fürchterlich gehungert haben.

Haben Sie Ihre Familie im Ghetto noch sehen können, oder...?

Ja, mit meiner Familie war ich noch zusammen - sprich mit meinen Eltern – Vater, Mutter und Großmutter.

Ich würde gerne genauer aufs Lagerleben eingehen. Wie haben Sie die Ankunft in den verschiedenen Lagern erlebt?

Die Ankunft in Theresienstadt hat sich so abgespielt, dass wir das Gepäck, welches wir mitnehmen durften, selbst tragen mussten. Es war damals ein ziemlich langer Weg von der Bahnstation bis hinein ins Lager und dann kam natürlich der übliche Papierkram. Danach wurden wir auf die verschiedenen Wohngelegenheiten aufgeteilt, soweit man das als Wohnen bezeichnen konnte.Die erste Zeit haben wir ganz normal  - also normal – auf einem Dachboden auf Holzbritschen geschlafen. Später sind wir dann aufgeteilt worden. Ich bin in einer Kaserne in ein Mädchenzimmer gekommen, meine Mutter – es waren meistens Männer und Frauen getrennt – ist in eine Frauenkaserne gekommen und mein Vater in eine Männerkaserne. Später hatte mein Vater eine höhere Position als Arzt und dadurch hatte er die Möglichkeit, mit seiner Frau, also meiner Mutter zusammen in einem Zimmer zu wohnen. Dort habe ich dann meine Eltern auch regelmäßig besucht. Wir haben damals auch Pakete mit Trockengemüse und anderen Dingen bekommen. Also wir hatten etwas mehr zu Essen.

Hatten Sie Freundschaften in Theresienstadt beziehungsweise konnten Sie welche aufbauen?

Ja, sogar sehr viele. Du musst verstehen, dass ich in Wien eigentlich keine Teenagerzeit, also keine Jugend gehabt habe. Wir konnten ja nirgendwo hingehen. Wir haben uns höchstens in Wohnungen getroffen. Natürlich hatte ich hier auch Freunde und in Theresienstadt konnten wir, wohl auch nur bis acht Uhr am Abend, ausgehen und es gab kulturelle Veranstaltungen. Ich habe sogar sehr viel Kontakt mit tschechischen Freunden gehabt und habe natürlich auch Tschechisch erlernt. Wir konnten uns dort, innerhalb des Ghettos, fast freier bewegen, als wir es in Wien konnten. In Wien haben wir diesen den gelben Stern getragen und damit waren wir ja gekennzeichnet und konnten nirgendwo hingehen.

Wie war das Lagerleben zum Beispiel in Auschwitz?

In Auschwitz sind wir angekommen und mussten uns als erstes unseren Kleidern entledigen. Dann hat man uns sämtliche Haare abgeschoren, danach hat man uns Kleidung verpasst - ich glaube damals waren es schon die blau-weiß gestreiften Sträflingsjacken - dazu haben wir diese holländischen Holzschuhe bekommen. Wir sind dort eigentlich nie richtig in einer Wohnunterkunf untergekommen, aus dem Grund weil man uns gesagt hat: „Entweder geht ihr auf Arbeit oder ihr geht auch ins Gas.“ Meine Mutter ist ja sofort von mir getrennt worden und ins Gas gegangen, mein Vater wurde auch von mir getrennt, ist aber auch bei den so genannten Selektierten - also ausgesuchten - geblieben, die dann in ein anderes Lager, sprich in ein Zweitlager von Dachau gekommen sind.

In Auschwitz selbst sind wir nur in einem Raum gestanden, einer an den anderen angelehnt, wir hatten kaum Platz, dass wir uns niedersetzen konnten. Wir sind nur am Fußboden gesessen mit angezogenen Knien. Wir haben wohl etwas zu Essen bekommen. Dann ging es wieder hinaus zum Zellappell und dann wieder hinein.

Also wir wurden eigentlich diese 3 oder 5 Tage, ich weiß es nicht mehr genau, ich hab sehr viel Zeitbegriffe verloren, beziehungsweise vergessen, haben wir... Wir sind dann noch einmal gebadet worden, wobei wir nicht einmal wussten, ob das jetzt wirklich ein Bad ist, oder ob da Gas hinauskommt. Wir wurden dort aufgefüllt, also unsere Gruppe wurde aufgefüllt auf 1000 Personen, und das waren Lagerinsassen, die schon länger dort waren. Wir haben ja im ersten Moment gar nicht gewusst, was in Auschwitz überhaupt los ist, dass es dort Gaskammern gibt und dass dort Menschen nachher verbrannt wurden. Und wir haben dann immer Angst gehabt, wenn man uns in diese so genannten, sie haben dort gesagt es ist die Sauna, das war eigentlich ein riesengroßer Duschraum, und da hat man uns mehr oder weniger, das waren Schikanen, gesagt: „Ja ihr geht jetzt wieder in die Sauna“ und die so genannten Gaskammern haben genauso ausgesehen wie die Duschräume nur ist in diesen Gaskammern statt Wasser dieses Zyklongas gekommen.

Hatten Sie irgendeine Sicherheit, dass das keine Gaskammer war?

Nein, das war russisches Roulette sozusagen.

Wie war generell der Tagesablauf im Lager? Was mussten Sie wann tun?

Na ja, im ersten Lager, da hatten wir schon unsere Arbeitszeit. Aber es war halt so, dass wenn wir mit unserer vorgeschriebenen Arbeit fertig waren - das haben wir uns so eingeteilt - dann konnten wir schon nach Hause gehen. In Auschwitz haben wir gar nichts gearbeitet.

Im Arbeitslager haben wir, ich weiß nicht mehr genau wie viele Stunden, auf jeden Fall von in der Früh bis am Nachmittag, Erdarbeiten verrichtet. Das heißt wir haben Panzerfallen gegraben und Schützengräben und das haben wir dann so lange gemacht - das war im Winter - bis die Erde so zugefroren war, bis man nicht mehr arbeiten konnte. Dann haben sie uns in den Wald geschickt und aus dem Wald haben wir dann Baumstämme hinunter tragen müssen. Und dann haben wir schon den Kanonendonner gehört und da ist dann die russische Front näher gekommen.

Eines Tages mussten wir unsere Sachen zusammenpacken – was heißt Sachen - wir haben ja nichts gehabt, außer einer Minarsschüssel[1], einem Löffel, einem Schlafsack aus Papier und das war es eigentlich – außer noch  die Kleidung, die wir am Leib hatten.

Da sind wir dann auf den Todesmarsch gegangen - das war im Winter - und es war sehr, sehr kalt. Wir sind dann marschiert und marschiert und etliche Leute sind zusammengebrochen. Die sind dann meistens erschossen worden. Gesehen habe ich das eigentlich nie, man hat immer nur die Schüsse gehört.

So sind wir dann ins Lager Groß-Rosen gekommen und in Groß-Rosen haben wir dann wieder nichts gearbeitet. In Groß-Rosen waren wir eigentlich wieder nur kurze Zeit und dann sind wir eines Tages – da mussten wir wieder antreten - und sind dann in offene Kohlenwaggons verfrachtet worden.

In diesen Kohlenwaggons war unten noch der ganze Kohlenstaub. Da sind wir hinein und waren wieder vollkommen zusammengepfercht, wie die Sardinen. Natürlich konnte man nicht die ganze  Zeit stehen, sondern man hat sich hingesetzt und es war halt so, dass man - Mann an Mann beziehungsweise Frau an Frau - gesessen ist, mit angezogenen Knien und dann der nächste.

Seine Notdurft konnte man nur verrichten - eine hat dann damals ihre Minarsschüssel geopfert - das hat man dann als Toilette verwendet und der Inhalt wurde dann über die Bordwand geschüttet.

Wir sind dann nach Weimar gekommen und in Weimar hätte man uns in ein anderes Lager bringen wollen – das war Buchenwald – da sind wir am Bahnhof gestanden und dann hat es geheißen, dass sie uns nicht nehmen, weil sie erstens voll waren und zweitens überhaupt keine Frauen mehr nehmen wollten. Weimar wurde damals bombardiert und da hatten wir natürlich fürchterliche Angst. Wir sind dann in diesen offenen Kohlenwaggons gesessen und haben direkt auf die Flieger hinauf geschaut und haben direkt verfolgt, wie die Bomben herunterfallen. Sie haben den Bahnhof damals zum Glück nicht getroffen, sonst würde ich jetzt nicht mehr sein.

So sind wir dann letztendlich in Bergen-Belsen angekommen. An diese Ankunft kann ich mich nicht mehr erinnern. Auf jeden Fall war das bestimmt das schlimmste Lager. Gearbeitet hat man dort gar nichts, das Einzige, was wir gemacht haben, war, dass wir uns gegenseitig die Läuse herunter geholt haben. Aber man hat uns dort keine Arbeit mehr zugewiesen.

Wissen Sie warum? Gab es keine Arbeit?

Es gab keine Arbeit. Die wollten uns aushungern lassen, Gaskammern gab es dort auch keine. Zu Essen haben wir nur sehr, sehr wenig bekommen und die letzte Zeit - die letzte Woche bevor wir von den Engländern befreit wurden - sind wir dann, weil wir schon fürchterlichen Hunger gehabt haben, zum dortigen Misthaufen gegangen und haben uns Küchenabfälle geholt.

Die haben wir dann - es waren meistens Erdäpfelschalen und Rübenschalen - und die waren natürlich schmutzig, in Betonbecken mit Wasser abgewaschen. Das hat nicht viel gebracht, denn auf der einen Seite haben wir diese Abfälle abgewaschen, auf der anderen Seite haben die Leute, die schon Typhus gehabt haben, ihre Unterwäsche ausgewaschen.

Also dieses Wasser war natürlich total verseucht und so haben wir natürlich auch bald Typhus bekommen.

Sie haben vorher gerade von einem Todesmarsch erzählt. Was passierte dort genau?

Ich weiß nicht wie viele Kilometer wir an einem Tag gegangen sind, aber wir wussten nicht wohin es geht. Wir sind nun auf der Landstraße marschiert, mit Bewachungspersonal natürlich. Es hat sich immer alles in Fünferreihen abgespielt. Die haben immer gesagt „Aufholen, aufholen!“, also mussten wir schön marschieren, wirklich wie die Soldaten. Wir  haben dann in Scheunen übernachtet und am nächsten Tag sind wir wieder weiter gegangen und so ging es bis nach Groß-Rosen. Es war fürchterlich kalt damals.

Ich kann mich noch erinnern dass wir uns da irgendwo unterwegs Rüben organisiert haben - auf einem Feld - und die haben wir mitgenommen. Wir haben uns damals aus dem Polsterüberzug, den wir hatten - das heißt der war sowieso nur mit Holzwolle gefüllt -  Rucksäcke gebastelt. Da haben wir die Rüben drinnen gehabt, aber es war so wahnsinnig kalt damals - das muss Jänner oder Februar gewesen sein - dass uns diese Rüben eingefroren sind und dann wieder ungenießbar waren. Wir haben sehr wenig zu Essen bekommen.

Die Bewachung hat dann irgendwo etwas organisiert, was weiß ich auch nicht mehr. Übernachtet haben wir dann in irgendwelchen Scheunen.

Ist das Bewachungspersonal mitgegangen, oder sind die gefahren?

Nein, sie sind mitgegangen.

Okay.

Bitte, vielleicht sind welche gefahren, aber jede Gruppe hat ihren Wachmann gehabt. Möglich, dass noch ein paar mitgefahren haben. Wir waren so 1000 Leute und wir waren in solche Hundertschaften eingeteilt und jede Hundertschaft hat einen oder zwei Bewacher gehabt.

Was hat Sie das ganze Lagerleben lang am Leben gehalten?

Als ich von Theresienstadt weggekommen bin, war eigentlich noch in einer sehr guten Konstitution, weil ich mir dort noch einen Speck angegessen hab.
Ich mein mit Kartoffeln und solchen Sachen, ich habe ja gesagt, dass ich wenig Hunger gelitten habe, zum Unterschied von vielen anderen, vor allem von den alten Leuten. Also mein gesundheitlicher Zustand hat mich am Leben erhalten und mein eisener Wille, das durchzustehen und der Optimismus, dass ich wieder dort rauskommen möchte.

Außerdem habe ich das Drumherum mehr oder weniger ausgeschalten, ich hab nicht nachgedacht. Das einzige war: „Ich möchte wieder dort raus, ich möchte wieder ein freier Mensch sein!“

Haben Sie auch irgendwann daran gedacht aufzugeben, oder war für Sie immer klar, dass sie überleben wollen?

Für mich war immer klar, dass ich überleben will!

Haben Sie mitbekommen, dass Leute aufgegeben und sich umgebracht haben?

Ja, selbst gesehen hab ich es nicht, aber es wurde davon erzählt, dass Leute gegen den mit Starkstrom geladenen Stacheldrahtzaun gelaufen sind, um sich umzubringen.

Wie war die generelle Lebensmittelversorgung im Lager? Sie haben gesagt in Theresienstadt gut.

Für mich persönlich war es in Theresienstadt gut, weil ich wie gesagt Bekannte bei der Essensausgabe gehabt habe, die mir recht oft eine doppelte Portion gegeben haben. Dann hatte ich ja auch noch diese halbe Zusatzportion, also ich hab an manchen Tagen sogar bis zu drei Portionen gegessen. Das Essen war natürlich weder vitaminreich noch nahrhaft. Wir haben auch Fleisch bekommen und so Eintopfgerichte und Suppen und manchmal sogar Germknödel, das war recht gut und im Arbeitslager haben wir auch noch Essen bekommen und eine gewisse Ration Brot haben wir gehabt.

Ich habe sogar manche Sachen in Theresienstadt dazu verdient, weil ich gepfuscht habe. Ich habe Stellagen und Betten gebaut und wurde mit Naturalien bezahlt, also hatte ich mehr Brot, Margarine, Zucker oder irgendwas anderes. Im Arbeitslager haben wir auch noch ein Eintopfgericht gehabt mit Brot, aber da begann schon der Hunger und dann in den anderen Lagern ging es weiter. Sowohl in Groß-Rosen als auch in Bergen-Belsen gab es sehr, sehr wenig zu Essen. Ich hab fast 70 Kilo gehabt, als ich ins Lager gekommen bin und ich glaube, dass ich die in Theresienstadt sogar gehalten habe und als ich befreit wurde, habe ich mit 20 Jahren noch 35 Kilo gehabt, also die Hälfte.

Wann und durch wen wurden Sie befreit?


Durch die englische Armee, der Kommandant war damals Montgomery.

Wissen Sie noch wann das ungefähr war?


Ich hab es gewusst, das war im April, ich müsste nachschauen. Es war im April 1945.

Wie haben Sie Ihr Leben aufgebaut nach dem Lager? Ging es schnell oder langsam und hatten Sie Hilfe?

Sicher hatte ich Hilfe, durchs Rote Kreuz. Wir sind dann nach einer Zeit von diesem Barackenlager aus Bergen-Belsen in andere Baracken gekommen, das war ein ehemaliges Offizierslager und da haben wir natürlich unter viel besseren Bedingungen gewohnt.

Wir haben ordentliche Betten gehabt und ich glaube wir hatten sogar ordentliches Bettzeug. Aber ich wurde mehr und mehr krank und kam dann dort in ein Lazarett und war sehr schwach. Ich hatte dann Typhus und dann habe ich eine Beckenfellentzündung gehabt und Tuberkulose und bin dann von diesem Lazarett liegend mit dem Schiff nach Schweden gekommen.Diese Transporte hat damals der Graf Volker Bernhard organisiert und so bin ich nach Schweden gekommen. Die Schweden haben mich gesund gepflegt und ich hatte dann die Möglichkeit zu arbeiten.

In Schweden wurde uns freigestellt, welche Arbeit wir machen wollen. Also entweder in einem Haushalt, in einer Fabrik oder in einem Krankenhaus. Ich bin dann ins Krankenhaus arbeiten gegangen, das war im Dezember 1945. Ich bin eigentlich ganze 4 Jahre in Schweden geblieben.

Ich habe zwei oder dreimal versucht, nach Wien zu kommen, es waren so Repatrierungstransporte, das ist mir aber misslungen. Es war witterungsbedingt, ich hab damals auf einer Insel gearbeitet, da ist meine Anmeldung zu spät nach Stockholm gekommen, da wurde ich in diesem Transport nicht mehr mitgenommen. Das zweite Mal hat mich diese Einladung überhaupt zu spät erreicht, ich weiß gar nicht mehr wieso. Also ich weiß nicht was alles war, auf jeden Fall hab ich gesagt, anscheinend soll es nicht so sein, also ich bleibe noch da.

Und so bin ich 1949 dann auf eigene Kosten nach Wien gefahren, weil ich wusste, dass meine Großmutter aus Theresienstadt zurückgekommen ist und hier in Wien eine Wohnung hatte. Ich bin hergekommen und hatte eigentlich die Absicht wieder nach Schweden zurückzukehren, aber wie ich dann hier in Wien war und bei der Großmutter in der Wohnung – die hatte so eine größere Wohnung – da hatte ich dann endlich ein Zuhause.

Das heißt ich hatte ein Zimmer für mich alleine, denn im Lager waren wir sowieso nur in großen Mengen untergebracht, immer viele Leute, fremde Leute natürlich und als ich im Spital gearbeitet habe, habe ich im Schwesternheim gewohnt, ich bekam ja nicht viel Geld und konnte mir keine eigene Wohnung oder Zimmer leisten und da war ich auch immer mit einer Kollegin zusammen.

Ich glaub das letzte halbe Jahr hab ich dann alleine das Zimmer gehabt aber das war halt kein Zuhause in dem Sinn. Es war eingerichtet, es war nicht schlecht, es war sehr gut, aber - wenn du so lange Zeit mit fremden Leuten zusammenleben musst - ist man natürlich heilfroh, wenn man alleine leben kann.

Wie fühlen Sie sich jetzt, wenn Sie über solche Erlebnisse erzählen müssen, also über das Lager...?

Mein Gott, ich hab es ja im Großen und Ganzen, bis auf meinen gesundheitlichen Zustand, gut weggesteckt. Nachdem ich ja jetzt wirklich schon etliche Interviews gegeben habe, ist es jetzt schon bald Routinesache.

Gut, vielen Dank.

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